Welt der Lager: Zur „Erfolgsgeschichte“ einer Institution
Lager – keine Heimat und keine Lösung. Zu einer Darstellung der sog. Lager- Erfolgsgeschichten. Von Rupert Neudeck
Das Buch hinterlässt den Leser mit starken Gefühlen. Es ist ein Buch, das alle Lagersysteme, die in der Regel Gefängnisse waren, beinhaltet, Aber es fehlen die Auswirkungen, der Menschen, die in Homelands leben, die vertrieben wurden aus ihren Wohngebieten im Apartheidstaat Südafrikas. Es fehlen die Palästinenser, die auf Grund der Wehrsiedlungen von jüdischen Siedlern sich in immer engere Bantustans zwängen müssen und manchmal so eingeschlossen sind von Mauer und Sicherheitsstrassen und Zäunen, dass sie nur zu willkürlich festgelegten Zeiten zu ihrem Vieh gehen können.
Es sind sehr sorgfältig ausgearbeitete Essais und Fallstudien über Lagersysteme, die wir in der ganzen Welt mittlerweile als Institution haben, sowohl in Kriegszeiten für Kriegsgefangene wie in Friedenszeiten für Flüchtlinge. Das Buch lebt von einer Collage von sehr eindrucksvollen und sprechenden Bildern, die das Weltsystem der Lager einfangen: einem Kriegsgefangenenlager in Peterborough 1797 über die Konzentrationslager in Südafrika 1900 in Bloemfontain bis zu einer Innenansicht des Gefangenenlagers in der kubanischen Enklave Guantanamo. Die Fallstudien sind das Spannende dieses Buches. Claudia Siebrecht macht bekannt mit den Konzentrationslagern der deutschen Kolonialmacht in Deutsch-Südwestafrika 1904 – 1908.
Dann gibt es einen Versuch über die Ausformung von Lagern zu Stätten der Moderne, in denen die Kriegspropaganda sagen konnte: Wir versorgen Eure Gefangenen gut, wie macht ihr das. Es kam im Ersten Weltkrieg zu einem Wandel des Zusammenwirkens von Bürokratie und Gefangenenwesen. Das Gefangenenlager verwandelte sich in eine Art Kriegsgebiet, „wobei insbesondere die Bürokratisierung der Entindividualisierung der Gefangenen Vorschub leistete. Diese Prozesse bezeugen „Formen der Entmenschlichung, die der Modernisierungsprozess der Gefangenschaft hervorbringen konnte. Man konnte nunmehr auch mit diesen Gefangenen arbeiten: Da sie zumeist als numerische Einheiten – als Arbeitskräfte oder Geiseln – galten, konnte der Staat sie als uniforme verwaltete Masse behandeln, um im Namen größerer Effizienz die rationellsten wirtschaftlichen Ziele zu verfolgen. Die zeitgenössischen Fetische gingen von „Rationalisierung“ zur „Effizienz“.
Ein erschreckendes Bild bietet uns der Artikel über den GULAG im stalinistischen Sowjetsystem. Insgesamt waren wohl an die 30 Mio. Menschen im Gulag. Es gab Gemeinsamkeiten wie Unterschiede zu den deutschen Konzentrationslagern. Der größte Unterschied bestand darin, dass im GULAG die Ausbeutung der Arbeitskraft bis hin zur Erschöpfung und zum Tode der Arbeiter im Vordergrund stand. Unterschiedlich agierte auch das Gulagsystem, aus dem immer wieder viele Menschen entlassen wurden, pro Jahr wohl an die 20 bis 40 Prozent. Gleichartig war der Aufbau der Lager, es gab die Funktionshäftlinge, die Spitzel (Suka) und eine entsprechend auf Schichten der Lagerinsassen. Solschenizyn hat das Bild des Gulag Systems bei uns sehr beeinflusst. Er beschrieb den Gulag Komplex als einen, in dem die Kriminellen die Politischen unterdrückten. Dieses Bild musste postsowjetisch etwas korrigiert werden. Zumal die Kriminellen keine solche homogene Gruppe waren, wie Solschenizyn das sehen wollte. Es kam schon 1931 zu einem wahnwitzigen Größtprojekt, dem Weißmeer-Ostsee-Kanal, an dem in zweijähriger Arbeit 170.000 Häftlinge beteiligt waren, buchstäblich mit den Händen. 25.000 wurden durch Arbeit vernichtet. „Der Weißmeer-Ostsee-Kanal gilt als Symbol für ebenso sinnlose wie tödliche Auswüchse sowjetischer Despotie“.
1948 wurden auch noch Sonderlager für besonders gefährliche Häftlinge gegründet. Die Absicht war, schwer kontrollierbare Häftlinge von ruhigeren zu trennen. Die Sonderlager erwiesen sich als Pulverfässer. In der Folge kam es zu Aufständen im Gulag. Natürlich wurden die Aufstände niedergeschlagen, aber der Gulag erwies sich als ein Wirtschaftskomplex, der mehr Kosten verursachte als Vorteile brachte. In den Jahren 1951 und 1952 erfüllte keine der GULAG Hauptverwaltungen noch den Plan. Berija wollte die schon loswerden, Stalin nicht. Als Stalin auf seinem Sofa in Kunzewo seine Faust noch einmal erhoben hatte, dann aber eingeschlafen und gestorben war, konnte zynische Sachlichkeit im Kreml sich durchsetzen.
Bis heute ist die Existenz von Lagern und der Völkermord der deutschen Besatzungstruppen in Südwestafrika ein Skandal, immer noch nicht so geklärt, dass wir Deutschen damit zufrieden sein können. Es kam dann im August 1904 zur Entscheidungsschlacht von Waterberg. Für die Herero war das die verlustreichste Schlacht des Krieges. Ein Großteil der Herero wurde in die angrenzende Omaheke Wüste getrieben und dort ihrem Schicksal überlassen. Es gab den Vernichtungsbefehl im Oktober 1904 des Oberbefehlshabers Lothar von Trotha. Im Schutzgebiet wurden dann 14 Lager errichtet. Die Missionare wollten für die Herero Reservate einrichten. Aber der Reichskanzler von Bülow wollte nicht die Last der Versorgung und Ernährung der Herero tragen. Deshalb wies er den Generalleutnant Trotha an zur Einrichtung von Konzentrationslagern. Es wurde rücksichtslos abgeknallt, nicht einmal die Hererofrauen geschont. Der Gouverneur protestierte beim Auswärtigen Amt auch aus Sorge um den Erhalt der Arbeitskräfte. So wurde der Vernichtungsbefehl am 8. Dezember 1904 zurückgenommen. Es gab noch lange die Angst der rachenehmenden Herero, die auch in der Wüste eine Reihe von Wasserlöchern bohrten und damit ihre Existenz ermöglichten. Es ist gut, dass die Deutschen keine weitere koloniale Landnahme mit brutaler Armeeführung gehabt und geplant haben.
Das was in dem Schlussbeitrag von Bernd Greiner angedeutet ist, findet nun trotz günstiger weltpolitischer Gemengelage nicht statt. Der große Hoffnungsträger hatte das Zeug, Guantanamo und alle sonstigen international versteckten Foltergefängnisse in der Welt aufzulösen. Am 22. Januar 2009 unterschrieb Obama – 48 Stunden nach seiner Amtseinführung zwei Executive Orders zur Tilgung politischer Altlasten. Guantanamo sollte innerhalb eines Jahres und die Geheimgefängnisse des CIA mit sofortiger Wirkung geschlossen werden. Es war vorher zu einer Explosion von Extralegalität im amerikanischen Regierungs- und Armeenetzwerk gekommen.
Am 18. Januar 2002 teilte der damalige Präsident George W. Bush nur mit, dass die Genfer Konventionen für die USA suspendiert wären. Es sind unglaubliche Verletzungen der Menschenrechte geschehen, alles im Auftrag der Sicherheit der USA. Was sich ein Verteidigungsminister wie Donald Rumsfeld erlauben konnte, als unumschränkter Neben-Präsident, raubt einem den Atem. In Anlehnung an das bei Guantanamo bei Militärs übliche Kürzel GITMO setzte Rumsfeld ein neues in der Folge mörderisches Wort und Verb in die Welt: To GITMO-ize the Iraq“ Rumsfeld schickte gleich einen hartgesottene Vertreter, der das durchführte. Im Grunde bleibt die Frage für Europäische Gesellschaften, ob es möglich sein kann, mit einem Land verbündet und sogar befreundet zu sein, das die Genfer Konventionen einfach nach Opportunität außer Kraft setzt. Ich kann mir nicht gut vorstellen, dass wir gut beraten sind, solche Verhältnisse und extra Legalität einfach mitzumachen. Das ist mindestens genau so wichtig wie die Völkermordkonvention oder der Asylparagraph oder Artikel 1 unserer Verfassung.
Über die Zwangsumsiedlungen aus militärischer Absicht in Malaya, Kenya, Algerien und Vietnam berichtet gleichsam aus der Letzten Phase des westlichen Kolonialismus Moritz Feichtinger. Wie da von allerchristlichen Nationen gegen die Rechte von Menschen sich vergangen wurde, kann man diesem Kapitel entnehmen. 1952 beim Kampf gegen die kommunistisch ausgerichtete Guerilla siedelten die britischen Militärs die 570.000 Kleinbauern in 480 neue Dörfer um. Gleichzeitig wurde die Staatsbürgerschaft vom Kolonialherrn den Chinesen vermacht. In Kenya kam es 1954 zum wütenden Volksaufstand gegen die Herrschaft der Briten. Sie transferierten mit Gewalt 1,1 Millionen Menschen in 800 Dörfer. Das war das sog. Programm der Villagization oder der Disziplinierung der Kikuyus. In Algerien gingen die französischen Militärs vor – noch unter dem Schock der Niederlage von Bien Bien Phu -, wurden 2.3 Millionen Algerier in sog. Camps de regroupement verlegt. Ähnlich brutal wurden ab 1961 von dem US-Counterinsurgency Program die strategischen Wehrdörfer aufgebaut. Strategic Hamlet Program. Auch das entwickelte sich verheerend, die Amerikaner hatten in Ihrer Arroganz nicht bedacht, dass sich die Vietnamesen nicht einfach das Herumschubsen im eigenen Lande gefallen ließen. Diese Umsiedlungen in dem Antiguerilla Kampf galten damals als scheinbar humane Alternative zum rein militärischen Vernichtungsprogramm des Search and Destroy.
Es werden jetzt in der Flüchtlingskrise in Europa auch wieder die Flüchtlings-Lager gepriesen, die aber für Menschen, die ein bürgerliches und professionelles Leben in Syrien geführt haben, keine Lösung sind. Man sollte diese Lager provisorisch meinen und sich mit noch größerer Verve auf die wirklich Lösung des Syrien Krieges einlassen: Flugverbotszone, Rückführung von Flüchtlingen mit bewaffneter Blauhelmbegleitung in die Heimatdörfer und Städte, Beginn des Wiederaufbaus in Syrien.