Wenn Mütter bereuen
„O hätte ich nie geboren!“ Sollen Mütter bereuen? Von Rupert Neudeck
Man kann die Lektüre dieses Buches kaum aushalten. Nicht nur, weil das Thema sich in andauernden Wiederholungen oder wiederholenden Variationen erschöpft. Auch, weil es wohl wirklich ein gebrochenes Tabu darstellt, wie die Autorin Orna Donath es behauptet, vielleicht auch in einem anderen Sinne als dem der Autorin. In diesem Fall lohnt sich die Wiedergabe der Kapitel-Titel. Im ersten beschreibt die Autorin die „Wege zur Mutterschaft. Das Diktat der Gesellschaft gegen die Erfahrungen der Mütter“. Das zweite Großkapitel belegt die Forderungen und Ansprüche aus der Gesellschaft an die Mutterschaft. „Wie Mütter aussehen, handeln und sich fühlen sollen“.
Das dritte ist dann der Aufschrei der Autorin, die sich zum Sprachrohr all derer macht, mit denen sie als Soziologin an der Ben Gurion Universität des Negev in Beersheva Umfragen und Übungen gemacht hat: Warum der Titel des Buches und die Überschrift des 3. Teils (wie des ganzen Buches!) englisch sein muss, weiß niemand zu sagen: „Regretting Motherhood: Wäre ich doch niemals Mutter geworden!“
Das vierte Kapitel geht noch mal auf die Zwangsjacke der Gesellschaft und ihrer Erwartungen gegenüber den Müttern ein: Mutterschaft und Reue. „Wie Frauen in einem unerlaubten Gefühl leben“. Das Ganze steigert sich dann noch in dem fünften Kapitel, das aber auch wieder nur das gleiche Thema ansagt: „Wer bist Du, Mama? Regretting Motherhood zwischen Schweigen und Reden“. Das sechste Kapitel gibt uns dann noch mal das durchgängige Thema an die Hand: „Mütter –Subjekte. Was uns Reue über die Lage von Müttern sagen kann“.
Dem allgemeinen Thema unserer schrumpfenden Gesellschaft, noch nicht und damit vielleicht überhaupt keine Kinder zu gebären, setzt die Autorin die Reue entgegen: Oh hätte ich nicht geboren! An keiner Stelle des Buches sagt die Autorin, die ja sich durchaus zu erkennen gibt, wie sehr sie die eigene Mutter und die Generation ihrer Mütter bedauert, die ja in gleicherweise die oder in ihrem Falle: Ihre – der Autorin – Geburt bereut haben müssen. Und welches ehrende oder verachtende Andenken sie ihrer Mutter entgegenbringt. Da die Autorin diese gesellschaftliche Erwartung als Diktat und Diktatur und feindselige Haltung den Frauen gegenüberstellt, müsste ja die eigene Existenz als geborenes Kind auch in Frage gestellt werden.
Das geschieht aber nicht. Die eigene Mutter hatte nicht die Alternative der „Mutter von Niemandem“ und dann wäre die Autorin auch nicht da. Aber wie gesagt, in dem Überschwang der feministischen Lektüre von Geschichte und Soziologie vergisst sie, dass sie auch bereuen müsste, dass es sie als Tochter gibt. Die Autorin scheibt gegen Schluss des Buches: „Als Frau, als Tochter natürlich und als Soziologin und Feministin glaube ich, dass die Frage umgekehrt laufen müsste: Welche Folgen hat es, wenn das Bereuen der Mutterschaft zum Schweigen gebracht wird? Wer zahlt den Preis, wenn sie getan wird, als gäbe es diese Reue nicht?“ Das setzt noch mal den Generalverdacht frei: wer nämlich einfach behauptet, er kenne als Frau und Mutter diese Reue nicht, weiß noch nicht, was sich wirklich mit ihr dumpf und von außen geleitet abgespielt hat.
Und, sie variiert das noch mal mit der Aussage: „Als Frau, als Tante von drei Nichten, als Soziologin und als Feministin“ glaube sie, dass die Frauen durch Wahlmöglichkeiten in die Lage versetzt werden müssen, selbst über ihren Körper und ihre Leben zu bestimmen. Im Hintergrund ahnt man immer die klare Einschätzung: Man kann das nur richtig tun, man hat seine Selbstverwirklichung nur durchgeführt, wenn man als Berufstätige und als Feministin sich entschieden hat, „Mutter von Niemandem“ bleiben zu wollen. Das eine, der Königsweg der Feministin ist sich ganz und ohne Umschweife gegen die oder das Kind zu entscheiden. Das ist die Entscheidung der Autorin. Sie entscheidet sich damit gegen das Zwangssystem der Gesellschaft, die gar nichts anderes zulässt denn das Kinderkriegen.
Damit wendet sie sich auch gegen die Vorstellung, man müsse nur die Belastungen für die berufstätige Mutter ausschalten, Dann könnte die Mutterschaft mit der weiblichen Identität verbunden sein. In vielen Forschungen, so schreibt sie, werde die Vorstellung übernommen, „es gäbe eine Art authentisches Mutterverhalten jenseits aller gesellschaftlichen Zwänge, die Vorstellung, als sei eine Frau von Natur aus eine Mutter, wenn wir sie nur von den Lasten der Gesellschaft und der Aufzucht der Kinder befreien könnten“.
Oder anders ausgedrückt, wo in der Nähe genügend agile Großeltern sind und eine freundliche Verwandtschaft, da könne es das „authentische Mutterverwalten jenseits aller gesellschaftlichen Zwänge geben“. Es gibt wohl auch im Feminismus eine romantisierte Vorstellung von Mutterschaft, romantisierte von Frauen und Männern wie im19. Jahrhundert, die die Tugenden des ‚cult of domensticity‘ besangen. „In dem sie mit Mutterschaft dieselbe Terminologie benutzen, mit der die Sexisten suggerieren, Frauen seien grundsätzlich lebensfördernde Ernährerinnen, verstärken feministische Aktivistinnen noch die wesentlichen Grundlagen der männlichen Überlegenheitsideologie“.
Die Autorin propagiert den Mythos einer „völlig freien Entscheidung“, aber wir werden schon nicht durch unsere Entscheidung geboren, wir werden nicht durch unsere Entscheidung als Mann oder Frau geboren. „Wenn eine Frau Mutter wird, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, ob sie es überhaupt will, lässt das sich wohl kaum als völlig freie Entscheidung bezeichnen“. Wir sind nicht durch unsere eigenen Entscheidung und das Jonglieren mit Wahlmöglichkeiten auf der Welt.
Andere Frauen, so die Autorin, werden mit dem Übergang zur Mutterschaft Einsamkeit und Langeweile ein Ende setzen wollen. Sie zitiert mit Ablehnung die französische Autorin Corinne Maier: „Ich selbst habe die Kinder aus einem traurigen Grund bekommen: Ich hatte Angst einmal einsam zu sein“. Muss das nur ein trauriger Grund sein? Das wird eine große Gefahr und Sorge für die rasant wachsende ältere Bevölkerung in Deutschland. Es gibt niemanden, der sich für sie interessiert.
Die Autorin wählt immer wieder Zwangsbilder, um die Alternativmöglichkeit gar nicht erst zum Ausdruck kommen zu lassen. Im ersten Kapitel heißte es: „Frauen an die Mutterschaft zu fesseln, ist das eine, ausnahmslos alle an dieselben strengen Vorgaben zu ketten, wie sie Mutter zu sein haben, das andere“. Um die Reue als theologische Tugend bemüht sich die Autorin, so dass sie einmal in die Beziehungsgeflechte der drei monotheistischen Religionen hineintaucht. Im Christentum müsse man bereuen, wenn man die Vergebung seiner Sünden erreichen will. Der Beichtstuhl sei ein architektonisches Symbol das uns einlädt unsere Sünden zu bekennen. Im Judentum gibt es jedes Jahr bestimmte Tage –Rosch Haschanah (jüdische Neujahrsfest), die „Zehn Tage der Umkehr“, der Versöhnungstag am John Kippur – der Reflexion und der Reue und Umkehr. Und der islamische Fastenmonat Ramadan sei darauf ausgerichtet, Reue für begangene Sünden auszudrücken. Korangelehrte würden meinen, dass Allah die Reue nur von jenen wirklich annimmt, die ihre Handlungen wirklich bereuen und sich an ihn wenden um Vergebung zu erlangen.“
Ich habe noch nie ein Buch gelesen, in dem die Vorstellung der Selbstverwirklichung ohne Rücksicht auf die Generationenfolge, auf die Abfolge von Eltern-Kinder-Kindeskinder so ins Abseits gestellt wurde, wie in diesem Buch. Und dann noch jeweils mit triumphaler Geste. Außerdem mit einer Fülle an Text, der- da er zur Hälfte aus der Variation des immer gleichen Themas spricht durchaus hätte etwas kürzer sein dürfen.
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