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Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren

„Aus kontrolliertem Raubbau“ ein Sittengemälde unserer Öko-Politik-Programme. Und wie schlecht sie durchgesetzt werden. Von Rupert Neudeck

Vielleicht ist die Sprache manchmal zu bombastisch, in der die ausgewiesene Autorin den kapitalistischen Raubtieren die Leviten liest. Schon der Titel ist etwas danebengegangen. Aus kontrolliertem Raubbau. Will das sagen: Sie berichtete aus einer Welt, die nur aus kontrolliertem Raubbau besteht. Der Untertitel ist noch gewaltiger: Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren. Was der Autorin fehlt, ist der Schalk im Nacken. Denn allein, wenn ich das Vorwort lese, das die Autorin sehr genau beschreibt: Im gläsernen Palast des Maritim Hotels am Düsseldorfer Flughafen sind an die tausend Gäste versammelt, die zumeist eingeflogen werden, die den „Deutschen Nachhaltigkeitstag“ begehen werden. An dem 22. November 2013 wird zum sechsten Mal der deutsche Nachhaltigkeitspreis verliehen.

Die Autorin kann da eigentlich nicht erscheinen, sie könnte wie Wallraff einst sich dafür herausputzen: Denn da in Düsseldorf „sitzen keine Ökos mit langen, ungewaschenen Haaren, sondern Männer in Anzügen und Frauen in Kostümen. Viele sind Unternehmensvertreter und sie repräsentieren die deutsche Industrie von A-Z“. Der Begründer des Nachhaltigkeitspreises, Stefan Schulze-Hausmann schwärmt von einem „Familientreffen der Nachhaltigkeit“.

Man könnte ironisch natürlich davon sprechen, dass wir bei solchen verlogenen Gelegenheiten die Geburt  einer Wachstumsbranche erleben. So wie sich jede gut beleumundete Organisation mittlerweile einen Terrorismus- und einen Islam-Experten zulegen muss, auch eine Wachstumsbranche, so brauchen die Wirtschaftsunternehmen alle  einen „Nachhaltigkeitsmanager“. So hat der deutsche Chemiekonzern Henkel auch einen Nachhaltigkeitsmanager namens Uwe Bergmann, der dann auch später erklärt: „Nachhaltigkeit hat mit Business zu tun“.

Das ahnte ich immer schon, jetzt erfahre ich es. Ich würde deshalb das total missbrauchte, vergewaltigte und verschluderte Wort streichen und vor Scham nicht mehr benutzen. Die Sorge weht untergründig im Raum, dass der deutschen Wirtschaft ihre Profite und ihr grenzenloser Wachstumsdrang durch so etwas wie Klimaschutz gebremst werden könnte. Dann eigne man sich lieber die Kritik an. Die „Klimakanzlerin“ Merkel ist zum Dritten Mal Schirmherrin dieser Veranstaltung.

Zu Beginn des Buches sagt die Autorin, wie verlogen die Bilanz in Sachen „Nachhaltigkeitsexzellenz“ aussieht. „Zwischen 2004 und 2012 hat Deutschland den Transport von Waren mit dem Flugzeug, dem klimaschädlichsten Fortbewegungsmittel, um mehr als 50 Prozent gesteigert. Der Export der deutschen Industrie ist zwischen 2007 bis 2013 auf 43 (von 35) Prozent gestiegen, parallel dazu natürlich der CO2 Ausstoß. Die neue Zauberformel heiße „Green Economy“. Die Idee wurde geboren, „Wachstum und Naturverbrauch mit Hilfe neuer Technologien zu entkoppeln“. Das Buch zeigt, wie diese Formen der neuen technologischen Versuchungen alle gescheitert sind und scheitern werden. Auch wenn sich ehemalige Ökos dazu bekennen, wie z.B. der Vorstand der Heinrich Böll Stiftung, Ralf Fücks.

Der Fücks fährt aus der Haut, beschreibt die Autorin: „Wie wollen Sie denn einen globalen Wachstumsstopp implementieren? Das halte ich für so was von menschenfeindlich! Die Menschen würden Ihnen den Vogel zeigen und sagen, Ihr habt die Party hundert Jahre gefeiert, und wir sollen jetzt die Segnungen des Fortschritts verzichten“.

In Bezug auf unsere Entwicklungshilfe ist die Autorin unerbittlich. „Vertreibung als Entwicklungshilfe. Das Land erhält Wachstumskorridore. Vorher wurde es von kleinen Bauern bestellt. In Mosambik gibt es drei solcher Korridore an Orten, die über das meiste Wasser des Landes verfügen, zu dem folglich nicht mehr die Bevölkerung, sondern nur noch die Großindustrie Zugang hat. In Burkina Faso sollen 3000 Menschen umgesiedelt werden, weil im Bagre-Growth-Pole Korridor ein riesiges Bewässerungssystem errichtet wird. Nicht ein Viertel des Landes geht zurück an die Kleinbauern. Die Strukturanpassung hat einen Großteil der afrikanischen Landwirtschaft zerstört. Zur Zeit der Entkolonialisierung war Afrika noch in der Lage, sich selbst mit Nahrungsmitteln zu versorgen, ja es exportierten einige Staaten sogar Nahrung. Heute 2015 importiert Afrika ein Viertel seiner Nahrungsmittel und Hungersnöte kommen verlässlich wieder. 75 Prozent der landwirtschaftlichen Böden in Afrika sind degradiert, deshalb hungern 200 Millionen Menschen. Die EU ist seit Ihrer Entstehung an der Degradierung dieser Landwirtschaft beteiligt und bis heute hat die entwicklungspolitisch und afrikasympathische Lobby es nicht geschafft, das zu beenden.

Die Autorin geht zu Recht mit dieser Entwicklung scharf ins Gericht. Aber sie hat sich auch einen weiteren Feind zugelegt: Bill Gates, den Bauernfreund. Auch hierbei hält sich die Autorin sehr lange an den High Society Accessoires der Verleihung des Bambis durch den Medienkonzern Hubert Burda auf, den 2013 eben jener Bauernfreund bekam. Und sehr zum Unwillen wurde der Preis auch noch überreicht von Günter Jauch. Gates ist mit seinem Privatvermögen von 72,9 Mrd. US Dollar auf dem Platz eins der Forbes Liste der reichsten Menschen. Und Jauch sei auch einer der beliebtesten deutschen Multimillionäre. „Für einen Moment sind die beiden Stars mit ihren graumelierten Haaren, ihrer dunklen umrandeten Nerd-Brille und ihrem spitzbübischen Grinsen kaum auseinander zu halten.“

Gates habe nie in einer Garage getüftelt. Das hat die Autorin doch auch nicht. Seine reichen Eltern hätten ihn auf eine Privatschule geschickt, um sein mathematisches Talent und sein Computerinteresse zu fördern. Na und?, kann der Leser nur fragen. Das Geld könnte, wenn es wirklich in eine ganz konzentrierte Entwicklung in einem Land eingesetzt würde, seine heilende Wirkung tun. Aber die beiden Gates geben ihre Gelder großzügig an Pharmariesen. Manchmal verheddert die Autorin sich dann und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wenn die Gates Foundation in Nigeria bei dieser schwierigen Infrastruktur ein Impfprogramm finanziert. Dass man die Kinder dort gegen Polio und Masern immunisiere, ist ganz wunderbar. Die Kinder im Ebocha im Niger Delate leiden an Atemwegserkrankungen. Tagtäglich atmen sie hochgiftige Rauschwaden ein, weil die Ölfirmen das Gas einfach abfackeln. 2007 habe die Stiftung 218 Mio. in Impfungen gesteckt. Gleichzeitig aber doppelt so viel, 423 Mio Dollar in Aktien der Ölgiganten BP, Chevron, Exxon und Shell investiert.

Nächst dem Buch von Naomi Klein ist es das radikalste Buch, das uns den Kopf wäscht. Es schlägt uns alle Neben- und Schleichwege über den grünen Kapitalismus aus der Hand. Es haut uns auch die letzten Reste von Marktgerechtigkeit weg. Die Autorin hat sich eben selbst vor Ort mit den Kämpfern gegen Unilever und die großen Giganten der Palmölwälder-Ausbeutung gemein gemacht, die manchmal ihres Lebens nicht sicher sind. Niemand kommt ungeschoren davon, weder der TÜV Rheinland, noch die deutsche GIZ noch Unilever noch der deutsche Nachhaltigkeitspreis. Im dritten Teil – betitelt „Kolonialismus mit Herz“ – beschreibt die Autorin, was die großen Firmen mit dem exorbitanten profit-output von bis 80 Milliarden Dollar alles machen und wen sie sich dabei sehr geschickt auf die Seite gezogen haben. Wilmar, Weltbank und Unilever erlebt sie am „Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl“. Das begreife, wer will, nach der Lektüre kann man es nicht mehr begreifen.

Sie schont niemanden, auch nicht die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). In deren Berliner Großraumbüro wird wieder so eine Abkürzungsblüte gegründet: „Forum für nachhaltiges Palmöl“ (FORNAP). Die Karriere des scheinheiligen und für jeden dreckigen Zweck offenbar benutzbaren Wortes Nachhaltig wird in dem Buch noch vermieden. Diese FORNAP setzt sich stolz und pathetisch zum Ziel, „gemeinsam tragfähige Lösungen für die Verbesserung der Praktiken im Palmölsektor zu erarbeiten“. Zu den Gründungsmitgliedern gehören genau die, von denen man sagen würde, dass sie als allererste nicht dazugehören, sondern bekämpft werden müssten: Die Konzerne, die riesige Mengen Palmöl brauchen – Unilever, Henkel, Rewe. Man wolle deutsche Firmen dabei unterstützen, 100 Prozent „nachhaltiges Palmöl“ zu beziehen. Für den grünen Anstrich sorge der WWF, der schon längst nur ein Schatten dessen ist was er mal war und nur noch den Schein dessen trägt, was er mal versprach. WWF ist die einzige sog. NGO in der Runde. Auf eine NGO kommen 30 Unternehmen, darunter Bahlsen, Beiersdorf (Nivea), Edeka, Kaufland, Lidl und Nestle, auch Naturkosmetikfirmen wie Annemarie Börlund und Weleda.

Der TÜV Rheinland war für mich bisher ein staatliches Unternehmen, das für die Sicherheit auf Deutschlands Straßen zuständig war. Nun aber erfahre ich „Mit dem TÜV Rheinland als Partner für Lieferkettenzertifizierung erreichen Sie national und international einen besseren Marktzugang, verbessern Sie ihr Image und ihre Reputation, versichern sie, dass Ihre Organisation Verantwortung für die Umwelt ernst nimmt und Projekte für die Bewahrung natürlicher Ressourcen und Biodiversität umsetzt“. Das ist ein Eigenspruch des TÜV Rheinland, mit dem er für sich wirbt.

Seit 2009 hat der TÜV Rheinland 24 Palmölplantagen und sechs Palmöl verarbeitende Unternehmen geprüft und Ihnen das RSPO Siegel ausgestellt. Er ist eines der 22 Prüfunternehmen, die der „Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl für die Zertifizierung zulässt“. Was man alles erfährt, wenn man sich mit der Autorin auf den Weg nach Indonesien, Sumatra, Medan macht: dass der TÜV Rheinland eben kein staatliches Unternehmen, sondern eine private Aktiengesellschaft ist, die eben profitorientiert ist. Mehr als die Hälfte des Umsatzes von 1,6 Milliarden Euro macht die Prüftätigkeit außerhalb Deutschlands aus. Was wäre, wenn man nach der Lektüre des Buches die Prüfung des eigenen Autos beim TÜV Rheinland verweigern würde?

In der Kundenzeitschrift des TÜV kann man nachlesen, wie toll diese Arbeit ist: Ziel der Audits sei es, „grundlegende Sozialstandards in der globalen Lieferkette bei der Fertigung von Waren sicherzustellen und deren Einhaltung zu überwachen“. Aber: man hat zwei der Töchter des Palmölgiganten Wilmar, PT Kerry Sawit und PT Mustika Sembuluh zertifiziert. Die lokale NGO „Save our Borneo“, mit der die Autorin unterwegs war, manchmal zu gefährlichen Ausfahrten, hat nachgewiesen, dass beide illegal abgeholzt haben. Bei der PT Kerry Sawit habe man sogar Menschenhandel und schwere Ausbeutung entdeckt. Dennoch hat der TÜV Rheinland die beiden Firmen mit dem Siegel ausgezeichnet. Es wirkt alles, wenn man es so liest, wie in der alten Geschichte der USA: „If You can’t beat them, join them“. Wenn man diese Gütesiegel schon nicht brechen kann, muss man sie sich geben lassen.

Was für ein grandioser Unfug der Nachhaltigkeitspreis ist, geht allein aus der Tatsache hervor, dass Unilever den zum zweiten Mal bekommt. Bewiesen habe der Konzern nur, dass er sich nicht um die Menschenrechtsverletzungen seines Palmöllieferanten schert: deshalb protestierten kleinere radikale NGOs wie Robin Wood und „Rettet den Regenwald“ gegen den Preis für Unilever. Sed frustra, vergeblich. Günter Bachmann, der Vorsitzende der Jury und Generalsekretär des Rats für nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung, rechtfertigte die Nominierung von Unilever auf sechs Seiten. Bachmann gibt zu erkennen, dass er über die Folgen des Palmölanbaus, die Vertreibungen, die Naturzerstörungen in Bungku genau Bescheid weiß. Er hält die Strategie, Unilever weiter zu loben und zu belohnen, für wirkungsvoll. Schließlich kaufe die Firma große Mengen nachhaltig zertifiziertes Palmöl.

Die Autorin hat ein spannendes Buch geschrieben, das zwischen den im Wortsinn mörderischen Plätzen in Indonesien, Bangladesh, Brasilien, Malaysia usw. und den deutschen Hauptstädten hin und herpendelt. Am 5. März 2014 wird ein Aktivist von „Save our Borneo“ ermordet, einfach so. Puji wird mit 36 Jahren ausgelöscht. An solchen Stellen ist die Autorin in ihrem Stil unschlagbar lapidar. Das Leben von Puji ist mit 36, das von seiner Frau mit nur 29 Jahren ausgelöscht, „als wir an dem winzigen Friedhof auf der kleinen Höhe auf dem Puji begraben liegt, vorbeifahren. Erschlagen für Tütensuppen, Tiefkühlpizza und den europäischen Klimaschutz. Und an den Autofenstern ziehen schon wieder die verfluchten Ölpalmen vorbei“.

Die Autorin macht vor nichts Halt. Auch die GLS Bank kommt einmal ins Visier. Denn auch sie berufe sich auf den sog. Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl: 2013 legte die Bank einen Aktienfonds an für ihre besserverdienenden Kunden und versprach „ethisches Investment“, ein anspruchsvoller Titel. Zu den ökosozialen Unternehmen sollte auch der Düsseldorfer Chemiekonzern Henkel gehören. „Bis 2015 will Henkel seine gesamte Produktion auf nachhaltig erwirtschaftetes Palmöl gestellt haben“. Solche angekündigten Bemühungen, so die Autorin, reichen der ökosozialen Bank mittlerweile aus.
Das nächste Kapitel heißt Klimaschutz gegen Menschenrechte. Und hat sich als Motto einen Satz aus dem „Principe“ von Nicolo Macchiavelli gewählt: „Gewalttaten muss man alle auf einmal begehen, damit sie als weniger empfunden werden und dadurch weniger erbittern“.

Wichtig erscheint mir eine klare Sprache, die der ganze Nachhaltigkeitszirkus vernebelt. Vieles ist eine Frage von Macht und Interessen, aber nicht alles, deshalb kann die Autorin sich auch auf einige lokale Vertreter dort und auch hier verlassen. Das Verkaufen der Verschmutzungsrechte erinnert natürlich im Luther-Jahr an den Ablasshandel der Katholischen Kirche: Die Industrie setzte ihre Interessen immer ordnungspolitisch durch – selbst wenn das Modell funktionieren würde: es sei an die Zerstörung von Klima und Natur gekoppelt. „Die Verschmutzer werden nicht bestraft, sondern können sich ihr Recht auf Zerstörung kaufen“.

Was ich mir demnächst in einem solchen Buch wünschen würde, wäre eine Sprach- und Semantik-Kritik. Immer wenn die politische Korrektheitssprache in ein Modewort umkippt, das dann schon für die Sache selbst gilt, ist höchste Alarmstufe angesagt. Wenn die politische Semantik die „Willkommenskultur“ erfindet, ist höchste Skepsis angebracht, denn meine Mitbürger wissen genau, was sie tun sollen, um Menschen in Not willkommen zu heißen, aber sie wissen nichts von der staatlich approbierten „Willkommenskultur“.

So wurde das Wort „nachhaltig“ zu einem magischen Nummerngirl auf der Skala der politischen Korrektheit. Allein das Benutzen und Verfügen und Aufkleben des Wortes war die Magie, es musste sich an der Realität nichts ändern. Eine subkutane Semantik-Kritik bei all den Nachhaltigkeitsmanagern der großen Verpester- und Verschmutzer-Konzerne  wäre in dem Buch gut angebracht. Vielleicht schon in einer zweiten Auflage.

Karl Blessing Verlag | Kathrin Hartmann "Aus kontrolliertem Raubbau Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren"
Quelle

Rupert Neudeck 2015 Grünhelme 2015

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