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Zwei Grad mehr in Deutschland

Wie der Klimawandel unseren Alltag verändern wird. Zwei Grad C – oder mehr oder weniger? Zu einem Buch Klimaforschern und Sozialwissenschaftlern. Von Rupert Neudeck

Es war spannend das Buch in den Tagen der zweiten Hälfte März 2013 zu lesen. Denn das ist der Monat, der nach dem Volkslied dazu führt, dass im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt und sich daran macht, die Fluren und Felder zu pflügen. Davon konnte in Deutschland wirklich nicht die Rede sein. Es war 2013 ein Kältewinter, so wie es 2003 den Hitzesommer gegeben hatte.

Die Autoren melden, dass es je nach Arbeits- und Umgebungsbedingungen eine optimal komfortable Temperatur für die Arbeit in unserem Lande gibt, die bei 28 Grad liegt. Bei 30 °Celsius erbringen Büroangestellte nur noch 70 Prozent ihrer Leistung. Während der Leistungsabfall bei körperlich malochenden sogar 50 Prozent betragen kann. Auf diesen Grundlagen berechnen die Autoren, dass Sommerhitze in Deutschland eine Minderung des BIP (Bruttoinlandprodukt) um 540 Millionen bis 2,4 Milliarden Euro mit sich bringt.

Manchmal wirkt es geradezu wie eine Werbung für z.B. Klimaanlagen, wenn die Autoren betonen, dass bei Hitze es eben auch zu mehr Verkehrunfällen kommen kann. Im Stadtverkehr nehmen bei einer Temperatur von 32 Grad C im Auto die Unfälle um 22 Prozent zu. „Klimaanlagen in Autos tragen also erheblich zur Verkehrssicherheit bei – aber auch zum Klimawandel selbst“.

Es heißt sehr vollmundig, dass in und mit diesem Buch zum „ersten mal Klimaforscher und Sozialwissenschaftler gemeinsam an einem Szenario gearbeitet hätten, das die Folgen des Klimawandels für den Alltag, die Wirtschaft und die Sozialsysteme zeigt“. Das ist nur bedingt richtig, denn kurz vorher ist „Die Klimafalle“ des Klimaforschers Hans von Storch und des Kulturwissenschaftlers Werner Krauß erschienen, das ähnlich ambitioniert ist in dieser Richtung, Untertitel: „Die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung“ (Hanser München 2013)

Das Buch hat in dem, was die Autoren „soziologische Phantasie“ nennen, auch literarische Qualität. Am Ende werden zwei Szenarien aufgemacht über das Deutschland 2040, die sich wie die Extrapolation einer wissenschaftlichen Analyse in die Form eines Romans lesen lassen. Das zweite optimistische Szenario sieht ein gewachsenes demokratisches Selbstbewusstsein, eine Bundespräsidentin vor, das Erscheinen eines wichtigen Bestsellers 2035, als die Folgen und Schäden der Hitzewelle 2031 allmählich abebben: „Die neue Gelassenheit“.

In diesem „berühmten und vieldiskutierten Buch“ war bekennerisch festgestellt worden, dass es „keinen Verlust an Lebensqualität bedeutet, nicht immer jedes Produkt und jede  Dienstleistung rund um die Uhr sofort zu bekommen und nicht alles auf die Sekunde genau planen zu können“. Ironisch habe es in dem Buch geheißen (der Leser des Papier-Buches bei S- Fischer möchte natürlich gern wissen, ob es 2035 noch Papier- oder nur noch e-books geben wird?), dass auch die Souveränität, nicht alles kontrollieren zu müssen eine Stärke sei. Und die optimistische Variante sieht vor, dass wird schon 2040 und nicht, wie vorgesehen erst 2050 schon 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Bei der Windflaute komme zwar die Stromversorgung an Grenzen, aber dank neuer Speicherungstechniken und des Ausbaus der Stromnetze kann das System solche Schwankungen ausgleichen, so dass Produktionsausfälle nicht mehr wie früher vorkommen.

Das pessimistische Szenario sieht Hitzetote noch und noch vor, das Ausbichsen der Bevölkerung in Fernreisen mit zunehmendem Flugverkehr, Lebensmittel-Kühlhäuser werden zu Leichenhallen umfunktioniert, es kommt zur Sperrung von Waldgebieten wegen Insektenbefalls, Versprühen von Insektiziden oder Waldbrandgefahr.

Wie gesagt, das macht den Leser als demokratischen Bürger ganz heiß, weil ihm dann noch zwei Alternativen angesagt werden und das auch noch literarisch anheimelnd.

Was die Autoren am Ende nur andeuten können, ist die Frage, wieweit nationale oder auch EU – kontinentale Politik noch bei globalem Klimawandel möglich sein kann?  Wir wissen aber, betonen die Autoren, dass die „Wirkungen des Klimawandels in anderen Teilen der Welt viel dramatischer ausfallen dürften (oder bereits ausfallen) als in Deutschland“. Dann wäre auch noch zu bedenken, dass der Klimawandel nicht bei zwei Grad plus haltmachen wird. Das sei lediglich die Entwicklung, die nicht mehr abzuwenden sei. Danach werde sich das Klima weiter abhängig von unseren Emissionen erwärmen, um drei, vier oder mehr Grad in den kommenden 100 Jahren.

Aber immerhin sind die Herausgeber zwei Koryphäen in ihren Fächern, die auch als Autoren mehrere Kapitel geschrieben haben. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe ist Professor für Klimatologie an der Humboldt-Universität in Berlin und gehört auch dem renommierten Potsdam Institut für Klimafolgenforschung als Meteorologe an. Harald Welzer ist wiederum  Professor an der Universität Flensburg für Transformationsdesign. Von ihm gab es 2008 das Buch  „Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird“ und 2011 „Soldaten. Protokolle von Kämpfen, Töten und Sterben“

Das Buch diskutiert das Verhältnis von Natur und Gesellschaft im Klimawandel in acht Kapiteln. Im ersten werden Szenarios für eine mögliche Zukunft ausgebreitet. Dann geht der Blick auf das Klima in Deutschland um 2040: „Was verändert sich?“. Das dritte Kapitel geht den Folgen des Klimawandels für den Wasserhaushalt und den Wald in Deutschland nach. Das vierte Kapitel versucht die Auswirkungen auf alltägliche Lebensbereiche im Klimawandel darzulegen. Das fünfte Kapitel widmet sich den je verschiedenen Auswirkungen des Wandels auf die Städte und das Land und besonders die Landwirtschaft. Das vorletzte Kapitel handelt von den sich schon ergebenden Anpassungsänderungen in den Institutionen und Segmenten der Gesellschaft, um im Schlusskapitel „Deutschland 2040“ noch mal zwei Varianten der deutschen (und globalen) Zukunft zu zeichnen.

Aber wie so oft muss man solchen wissenschaftlich geschriebenen Büchern nachrufen: Wären sie verständlicher geschrieben, würden sie von mehr interessierten Bürgern gelesen werden. Es scheint ein neues Wort auf der Kammspitze der Modeworte eine Starkarriere zu beginnen: Resilienz. Nach meinem etymologischen Wörterbuch etwa: Toleranz eines Systems gegenüber Störungen. Von lateinisch resilire: Abprallen oder zurückspringen.

Bei der Frage, wie man auf den Klimawandel handelnd auch als Bürger und als Staat zu reagieren habe, sind die Autoren so weit einzugestehen, dass es nicht mehr reicht, eine Planstelle auf Nachhaltigkeit aufzulegen. „Mit einem zusätzlichen Nachhaltigkeitsressort oder Beauftragten lässt sich Nachhaltigkeit nicht erreichen“. Dazu muss man nicht studiert haben, um das zu begreifen.

Das Buch unterscheidet die verschiedenen Arten, die Klimaanpassung zu erreichen. Der erste ist der „risikobasierte“. Auch das ein wissenschaftliches Modewort das einfach nur heißt, wir konzentrieren uns auf die Gefahren und Risken. Der zweite Ansatz geht darauf, betroffenen Gruppen zu helfen. Der dritte Ansatz „zielt auf Erhöhung der gesellschaftlichen Resilienz“.

Das kann man nach dem Buch beschwören: das wird in den nächsten zehn Jahren Aktivität ersetzen als Begriff. Dann kommt noch ein Satz, wie ihn kein vernünftiger mit Kant aufgeklärter Bürger und Leser herausbringen würde: Theoretisch gesprochen sei der Resilienzansatz am ehesten ideal und wünschenswert, „aber in der Praxis werde seine Zukunftsorientierung zum Problem, weil sie oft im Konflikt mit Interessen der Gegenwart steht“. Dazu noch ein schwerst verständlicher Erklärsatz: „Problemorientierte technische Maßnahmen können genau genommen nur funktionieren, wenn Klarheit über das jeweilige Problem besteht, was hinsichtlich der Zukunft eher die Ausnahme ist“. So verunklaren sich Inhalte unnötig durch eine zu begriffliche und universitäre Sprache.

Quelle

Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013

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