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Bienensterben: EU als Retterin?

Niemand scheint sich zu fragen, warum diese hochgiftigen Insektizide überhaupt auf dem Markt gelangt sind? Angesichts des Bienensterbens wird die EU-Kommission gerne zur Retterin hochstilisiert, die das Verbot dreier bienenschädlicher Pflanzenschutzmittel trotz des verantwortungslosen österreichischen Umweltministers durchsetzt. Niemand scheint sich zu fragen, warum diese hochgiftigen Insektizide überhaupt auf dem Markt gelangt sind? Gibt es in der Europäischen Union nicht Institutionen, die dafür Sorge tragen, dass in die Umwelt eingebrachte Stoffe unbedenklich sind?

Theoretisch schon. Die im italienischen Parma ansässige europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA spielt eine Schlüsselrolle in der Zulassung von tausenden von Produkten, die früher oder später auf unseren Tellern landen: Pestizide, Lebensmittelzusatzstoffe und Produkte der Gen- und Nanotechnologie. Die EU-Kommission hat die Behörde 2002 geschaffen, als Antwort auf eine Reihe von Lebensmittelskandalen, die für Verunsicherung in der Bevölkerung gesorgt hatten.

Die Insektizide aus der Gruppe der Neonikotinoide wurden ab Mitte der 1990er Jahren zugelassen, damals noch auf Basis eines kommissionsinternen Gutachtens. Seitdem laufen ImkerInnen Sturm gegen den Einsatz dieser Mittel. Eine Flut an wissenschaftlichen Studien belegte die Gefährlichkeit. Doch erst mussten Milliarden Bienen sterben, erst musste die wissenschaftliche Beweislage sich so stark erhärten, dass selbst die als industriefreundlich bekannte EFSA den Zusammenhang nicht mehr leugnen konnte.

Absurd ist, dass derzeit über strengere Zulassungskriterien für harmloses Saatgut diskutiert wird, während die Zulassungstests für Herbizide, Fungizide, Pestizide und sonstige –zide vergleichsweise lasch bleiben sollen. Konkret gibt es zwar EU-Richtlinien über die Tests, die diese Produkte bestehen müssen, bevor sie auf den Markt kommen, in der Praxis hat aber die EFSA als umsetzende Behörde beträchtlichen Gestaltungsspielraum.

Sorglose Vergabe von Zulassungen

Wie sehen nun die Zulassungsverfahren aus, die potentiell gefährliche Produkte derzeit durchlaufen müssen? Angenommen, ein Unternehmen möchte ein neues Pestizid auf den Markt bringen, so muss es als ersten Schritt wissenschaftliche Untersuchungen über dessen Ungefährlichkeit für die menschliche Gesundheit und die Umwelt vorlegen. Natürlich wird die Gefährlichkeit der Produkte in diesen Studien generell niedrig eingestuft, da das Unternehmen ein Interesse daran hat, das Produkt zu vermarkten. Die EFSA selbst betreibt keine Studien, sie bildet sich lediglich ein Urteil auf Basis der vorgelegten Studien.

Diese institutionelle Fahrlässigkeit, sich auf Studien zu verlassen, die die Industrie selbst finanziert, wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass die meisten dieser Studien unter dem Deckmantel des „Schutzes von Geschäftsgeheimnissen“ niemals veröffentlicht werden. Dadurch wird die Überprüfung der Ergebnisse durch unabhängige Wissenschaft verunmöglicht, obwohl dies zu den grundlegenden Pfeilern der Wissenschaftlichkeit zählt. Selbst wenn unabhängige wissenschaftliche Studien veröffentlicht werden, die Mängel von zugelassenen Produkten aufzeigen, so berücksichtigt die EFSA diese nur unzureichend (CEO et al. 2012).

Den Agro-Konzernen wird nicht nur erlaubt, ihre Produkte selbst zu testen und die Studien unter Verschluss zu halten; ihnen wird auch beträchtliche Mitgestaltung bei der gesetzlichen Formulierung der Tests zugestanden. Beispielsweise wurde bei der Überarbeitung der EU-Richtlinie 91/414, die Zulassungsverfahren für Pestizide festlegt, auf Anraten einer von der Industrie gesponserten Expertengruppe nur ein akuter Toxizitätstest für Bienen als notwendig festgelegt. Dabei sind Bienen typischerweise den Pestiziden chronisch, nicht akut, ausgesetzt, wenn sie Pollen und Nektar sammeln oder pestizidverseuchtes Wasser aufnehmen. Auch wenn diese minimalen Dosen sie nicht sofort umbringen, so entstehen doch über eine längere Periode ernsthafte Auswirkungen auf die Gesundheit der Bienenvölker.

Selbst innerhalb dieses zweifelhaften Zulassungs-Apparats lässt sich der Zusammenhang zwischen Pestiziden und Bienengesundheit nicht mehr verheimlichen, weshalb nun die Kommission tätig wurde. Sogar die EFSA hat 2012 in einer Bewertung der Verfahren enorme Mängel festgestellt: Desorientierung der Sammelbienen, Toxizität für Bienenlarven und langfristige Effekte von Pestiziden werden bei der Zulassung nicht getestet.

Fazit: Es gab bis jetzt nicht einmal brauchbare Richtlinien, um das Risiko für Bienen durch Pestizide angemessen abzuschätzen. Doch zugelassen hatte man die Mittel schon seit Jahrzehnten. Lobbygruppen der Industrie sorgen nun mit fachlich zweifelhaften Argumenten dafür, dass es auch in Zukunft nicht zu strengeren Zulassungsverfahren kommt, weshalb der vorgeschlagene Leitfaden der EFSA immer noch nicht beschlossen wurde.

Umdenken notwendig

Der Effekt dieses dürftigen Zulassungssystems ist, dass die Zivilgesellschaft die Gefährlichkeit von Produkten nachweisen muss, oft Jahre nachdem das Produkt auf den Markt kam und bereits erhebliche Schäden entstanden sind. Ein bekanntes Beispiel für die Mängel eines solchen Systems ist die Tabakindustrie, die durch gesponserte Wissenschaft jahrzehntelang gesetzliche Einschränkungen vermeiden konnte. Ein neueres Beispiel ist nun das Bienensterben. Bei ernstzunehmender Beachtung des Vorsorgeprinzips hätte den Neonicotinoiden die Zulassung niemals erteilt werden dürfen; schließlich lässt sich leicht feststellen, dass der Toxizitätsgrad dieser Insektizide um ein 7000faches höher liegt als jener von DDT (Bonmatin 2009). Es ist an der Zeit, dass sich die europäische Öffentlichkeit der grundsätzlichen Mängel des Zulassungsprozesses bewusst wird, wenn wir nicht weiterhin vermeidbare ökologische und gesundheitliche Schäden in Kauf nehmen wollen.

Dafür ist auch ein Umdenken notwendig, was die „konventionelle“, also die gängige und normale Form der Landwirtschaft anbelangt. Letztlich entscheiden die politischen Institutionen der EU auf Basis des EFSA-Gutachtens darüber, ob ein Pestizid zugelassen wird. Dabei fließen auch andere Überlegungen mit ein: etwa die Annahme, dieses Pflanzenschutzmittel sei unbedingt notwendig, um bestimmte Krankheiten oder Schädlinge in Zaum zu halten. Solange also unsere politischen VertreterInnen sich kein anderes Landwirtschaftsmodell vorstellen können als das konventionelle chemie-basierte, wird weiterhin ein giftiges Pestizid durch ein anderes giftiges Pestizid ersetzt werden. Dabei zeigen ökologische LandwirtInnen seit Jahrzehnten vor, dass es auch anders geht. Es ist höchste Zeit, dass dieses Wissen durchsickert.

Quellen:

  • Bonmatin, J.M. (2009) Conclusions Round Table on intoxication of bees due to pesticides: results from scientists, presentation at 41th Apimondia Congress, 15-20 September 2009, Montpellier.
  • Corporate Europe Observatory & Earth Open Source (2012) Conflicts on the menu.
  • A decade of industry influence at the European Food Safety Authority (EFSA)
  • EFSA Panel on Plant Protection Products and their Residues (2012) Scientific Opinion on the science behind the development of a risk assessment of Plant Protection Products on bees (Apis mellifera, Bombus spp. and solitary bees).
  • EFSA Journal 2012, 10(5) 2668.
  • EU-Richtlinie 91/414 vom 15. Juli 1999, konsolidierte Fassung vom 1. August 2011
Quelle

oekonews.at | Mag. Astrid Österreicher 2013

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