Der „Einsame George“ und der menschliche Erkenntnis-Gewinn
Fast alle Zeitungen der Welt berichteten in dieser Woche vom Tod des „Einsamen George“. Auf den Galapagos-Inseln ist die etwa 100 Jahre alte Pinta-Schildkröte „Lonesome George“ als letzte ihrer Art gestorben. George war nur ein prominentes Beispiel für das anhaltende Verschwinden von Tier- und Pflanzenarten.
Der WWF schätzt, dass pro Stunde allein in den tropischen Regenwäldern drei Tier- und Pflanzenarten ein für allemal aussterben. Der renommierte US-Biologe Professor Wilson geht davon aus, dass wir zurzeit pro Tag 180 Tier- und Pflanzenarten ausrotten. Wir sind die erste Generation, die Evolution rückwärts spielt. Denn die Hauptursachen des Artensterbens ist unsere falsche Energie- und Landwirtschaftspolitik.
Über Georges Tod war die Welt emotional betroffen. Er war ja auch so niedlich mit seinem langen Hälschen und so einsam ohne Weibchen. Schon seit Jahren wurde er deshalb von der gesamten Weltpresse als das ‚“einsamste Tier auf unserem Planeten“ bejammert. Ist ja auch schrecklich, wenn der letzte seiner Art ohne Frau leben muss. Alle Versuche, ihm artverwandte, attraktive Damen zuzuführen, waren einfach vergeblich.
Meine Frau und ich waren eine Woche vor Georges Tod noch auf Galapagos auf den Spuren von Charles Darwin. Selbst dort in Darwins Tier- und Pflanzenparadies hat der globale Klimawandel zugeschlagen. An den Küsten sahen wir ganze Friedhöfe von Korallen. Wie anderswo sind auch hier in den letzten Jahrzehnten sämtliche Korallenbänke abgestorben.
Das Artensterben ist in den Medien schon lange so gut wie kein Thema mehr. Dabei ist das heutige Artensterben noch den Erkenntnissen von Professor Wilson dramatischer als das letzte große Sterben vor 65 Millionen Jahren als die Dinosaurier verschwanden und mit ihnen 95 % aller damaligen Arten. Die Natur und die Evolution mussten praktisch nochmal von vorne beginnen.
Der Unterschied zwischen dem damaligen und dem heutigen Artensterben ist freilich gravierend: Vor 65 Millionen Jahren waren Naturereignisse die Ursache, heute ist es der Mensch. Das heißt aber auch, dass es noch eine Chance gibt, zumindest das Schlimmste zu verhindern. Wenn wir es wirklich wollen.
Vielleicht hilft uns ja der Tod von „Lonesome George“ zu ein wenig Erkenntnis-Gewinn. Es könnte sonst passieren, dass nicht nur George einsam war, sondern auch wir Menschen es werden.
Quelle
© Franz Alt 2012