‹ Zurück zur Übersicht
fotolia.com | mc

© Fotolia.com | mc | Was die Anti-Atomkraft-Bewegung schon seit Langem sagt, ist jetzt amtlich: Die Endlagersuche dauert 100 Jahre.

Die Asse vor dem Absaufen?

Das marode Atomlager bei Wolfenbüttel soll eigentlich geräumt werden. Doch nun droht die Asse unkontrolliert mit Wasser vollzulaufen. Auf lange Sicht kann eine Kontaminierung des Grundwassers nicht mehr ausgeschlossen werden.

Das marode Atommüll-Lager Asse II südöstlich von Wolfenbüttel in Niedersachsen droht unkontrolliert mit Wasser vollzulaufen. Damit wäre längerfristig eine Kontaminierung der Umgebung nicht ausgeschlossen.

In dem alten Salzbergwerk liegen rund 126.000 Fässer mit schwach und mittel radioaktiven Abfällen, deren Inhalt auszutreten droht. Atomkritiker befürchten, dass statt der geplanten Bergung der Fässer „eine absichtliche Flutung des Bergwerks“ durchgeführt werden könnte, und fordern die Betreiberin, die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), auf, dieses Szenario zu verhindern.

In das Atomlager dringt seit Jahrzehnten Salzwasser ein, was Fachleute schon lange um die Stabilität der 13 mit Atommüll gefüllten Kammern fürchten ließ. Der damalige Betreiber GSF hatte von 1967 bis 1978 die Fässer mit Abfällen aus Atomkraftwerken, Versuchsreaktoren und Laboratorien dort hineingestapelt – teils aber auch unkontrolliert abgekippt.

Bisher war es gelungen, das von außen in den Salzstock eindringende Wasser, rund zwölf Kubikmeter pro Tag, praktisch komplett aufzufangen und an die Oberfläche zu bringen. Inzwischen aber lässt sich etwa die Hälfte davon nicht mehr aufhalten und verschwindet durch eine inzwischen undicht gewordene Folie, die das Wasser eigentlich aufhalten soll, wie BGE-Chefin Iris Graffunder vorige Woche im Umweltausschuss des Bundestages berichtete.

„Das Wasser bleibt irgendwo anders, das beunruhigt uns“

Fachleute warnen vor folgendem Szenario: Der gefährliche Inhalt der ohnehin teils aufgerissenen und verrosteten Fässer vermischt sich mit dem Wasser, wird durch den Druck des Gesteins aus der Tiefe nach oben gepresst und verseucht dann irgendwann Grundwasser und Gewässer in der Umgebung.

Das strahlende Inventar besteht unter anderem aus 104 Tonnen Uran, 81 Tonnen Thorium sowie 29 Kilogramm Plutonium. Außerdem lagern dort Giftstoffe wie Arsen, Quecksilber und nicht mehr zugelassene Pestizide, die ebenfalls in der Asse „entsorgt“ wurden.

Graffunder hatte auf die sich zuspitzende Lage bereits im April hingewiesen. „Es ist nicht vollkommen planbar, wie sich der Berg entwickelt. Durch diese starke Veränderung des Wasserzutritts sind wir alarmiert“, sagte sie der Braunschweiger Zeitung. Die Menge des Wassers an der Hauptauffangstelle nimmt laut BGE seit einigen Monaten ab. „Das heißt, das Wasser bleibt irgendwo anders. Das beunruhigt uns“, so Graffunder.

Der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer (Grüne) zeigte sich besorgt über die neue Lage. „Das Atomdesaster in der Asse schreibt ein neues Kapitel“, sagte er. Die BGE müsse schnellstmöglich Maßnahmen ergreifen, um die unkontrollierte Ausbreitung von Salzlösung im Bergwerk zu verhindern und die Rückholung der radioaktiven Abfälle aus der Asse nicht zu gefährden.

„Bergen statt fluten“

Die Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt kommentierte: „Statt eine absichtliche Flutung des Bergwerks vorzubereiten, muss die BGE mit aller Kraft an der Bergung des dort abgekippten Strahlenmülls arbeiten. Alles andere hätte unkalkulierbare Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt der ganzen Region.“

Die BGE hat die komplette Sanierung der Haupt-Auffangstelle beantragt, die auf der 658-Meter-Ebene in dem Bergwerk liegt. Derzeit versuchen die Fachleute in der Asse, mögliche Schadstellen ausfindig zu machen und zu reparieren.

Laut BGE ist der Wasseranfall unterdessen auf der tiefer gelegenen 725-Meter-Ebene von 0,8 auf drei Kubikmeter angestiegen. Bei den noch tiefer liegenden Sammelstellen direkt vor den Atommüll-Kammern auf der 750-Meter-Ebene sei „aktuell kein Anstieg des Salzwasserpegels zu beobachten“. Ende Mai sollen die Verantwortlichen im Umweltausschuss des niedersächsischen Landtags in öffentlicher Sitzung Stellung nehmen und Fragen der Mitglieder beantworten.

Der Bundestag hat in der „Lex Asse“ 2013 beschlossen, dass die 126.000 Asse-Fässer geborgen, an die Oberfläche befördert und neu endgelagert werden sollen. Bisherige Planungen gingen davon aus, dass die Bergung 2033 beginnt und in den 2060er Jahren abgeschlossen wird. Die Kosten wurden offiziell auf rund 4,5 Milliarden Euro beziffert. Kann das aktuelle Leck nicht abgedichtet werden, stellt das möglicherweise den Bergungsplan infrage.

Hatte Michael Sailer recht?

Damit kämen Konzepte wieder ins Rennen, die vor dem Lex-Asse-Beschluss diskutiert, aber verworfen worden waren. So hatte der frühere Vorsitzende der Entsorgungskommission des Bundes, Michael Sailer, eine Bergung der Atomfässer als unrealistisch bezeichnet und alternativ vorgeschlagen, Dichtbarrieren vor die Atommüll-Kammern und anderswo im Bergwerk zu bauen sowie restliche Hohlräume in der Asse mit Feststoff zu verfüllen.

„Die Rückholung entwickelt sich immer mehr zur ‚Mission Impossible'“, sagte Sailer, der damals auch Geschäftsführer des Öko-Instituts war, 2012 der Frankfurter Rundschau. Mit diesem Konzept konnte er sich aber nicht durchsetzen.

Ein „Schließungskonzept“ des früheren Asse-Betreibers, des Helmholtz-Zentrums München, hatte sogar vorgesehen, das Bergwerk aktiv mit großen Mengen gesättigter Salzlauge zu fluten, um dessen Stabilität erhöhen. Allerdings hätte das die Gefahr einer Grundwasserverseuchung provoziert.

Unter anderem deswegen hatte die damalige Bundesregierung 2008 einen Betreiberwechsel angeordnet.

Schachtanlage Asse
Die Asse ist ein altes Bergwerk im Landkreis Wolfenbüttel in Niedersachsen, in dem von 1899 bis 1964 Kali-Dünger und feines Steinsalz (Markenname: „Asse Sonnensalz“) abgebaut wurden – auf 13 Sohlen in 490 bis 750 Metern Tiefe.
1965 kaufte der Bund die Anlage für 600.000 D‑Mark, um dort „versuchsweise“ Atommüll einzulagern, der im staatseigenen Kernforschungszentrum Karlsruhe (KFZ) angefallen war. Ein Großteil stammt aus den 13 Atomkraftwerken, die in dieser Zeit am Netz waren – teils über den Umweg des KFZ, in dem abgebrannte Brennstoffe wiederaufgearbeitet wurden und strahlende Reststoffe anfielen.
Die Einlagerung von insgesamt 125.787 Fässern mit schwach und mittel radioaktivem Material begann 1967. Gestoppt wurde sie 1978 durch den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU). Er hatte die – berechtigte – Sorge, dass aus dem „Versuchslager“ unter der Hand ein Endlager geworden war.
Die Fässer wurden nur anfangs ordentlich, also theoretisch rückholbar, in den Salzkammern aufgestapelt. Später kippte man die Fässer einfach ab und schüttete Salz darüber – fertig. Sie sind teils zerbeult und rosten vor sich hin.
Wie dramatisch die Lage in der Asse ist, wurde 1988 klar, als festgestellt wurde, dass Wasser aus dem Deckgebirge eintritt, pro Tag rund zwölf Kubikmeter. Es wurde aufgefangen, gesammelt und über Tage gebracht. Seither ist die Sanierung der Asse ein heißes Thema in Politik und Gesellschaft.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2024 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren