Erwärmung der Arktis führt zu Wetterextremen in unseren Breiten
AWI-Forscher entwickeln Klimamodell, das den schwächelnden Jetstream erklärt.
Atmosphärenforscher des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) haben ein Klimamodell entwickelt, das den immer öfter beobachteten Schlängelkurs des Jetstreams, einer großen Luftströmung über der Nordhalbkugel, richtig abbilden kann. Dieser Durchbruch gelang, nachdem die Wissenschaftler ihr globales Klimamodell mit einem neuen Machine-Learning-Algorithmus zur Ozonchemie kombiniert hatten. Mithilfe dieses neuen Kombi-Modells können die Forscher also nun zeigen, dass der wellenförmige Verlauf des Jetstreams im Winter und die damit verbundenen Extremwetterlagen wie Kälteeinbrüche in Mitteleuropa und Nordamerika eine direkte Folge des Klimawandels sind. Die neuen Forschungsergebnisse erscheinen am 28. Mai 2019 im Nature-Online-Portal Scientific Reports.
Klimaforscher aus der ganzen Welt gehen seit Jahren der Frage nach, ob der immer häufiger beobachtete Schlängelkurs des Jetstreams über der Nordhalbkugel eine Folge des Klimawandels ist, oder aber ein zufälliges Phänomen, dessen Ursachen auf natürliche Schwankungen im Klimasystem zurückzuführen sind. Als Jetstream wird ein starkes Westwindband über den mittleren Breiten bezeichnet, welches die großen Wettersysteme von West nach Ost schiebt. Der Wind weht in etwa 10 Kilometern Höhe rund um die Erde, wird von den Temperaturunterschieden zwischen Tropen und Arktis angetrieben und erreichte früher Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 500 Kilometer pro Stunde.
Mittlerweile aber, so zeigen Beobachtungen, schwächt sich der Wind immer wieder ab. Er weht dann seltener auf einem geradlinigen Kurs parallel zum Äquator, sondern schlängelt sich öfter in Riesenwellen über die Nordhalbkugel. Diese Wellen wiederum führen im Winter zu ungewöhnlichen Kaltlufteinbrüchen aus der Arktis in die mittleren Breiten – so geschehen zum Beispiel Ende Januar 2019 als der Mittlere Westen Nordamerikas von extremer Kälte heimgesucht wurde. Im Sommer dagegen verursacht ein schwächelnder Jetstream langanhaltende Hitzewellen und Trockenheit wie sie Europa unter anderem in den Jahren 2003, 2006, 2015 und 2018 erlebte.
Machine Learning lässt Klimamodell die Rolle des Ozons verstehen
Diese grundsätzlichen Zusammenhänge sind seit einiger Zeit bekannt. Forschern war es bislang aber nicht gelungen, den Schlängelkurs des Jetstreams in Klimamodellen realistisch zu reproduzieren und einen Zusammenhang zwischen dem schwächelnden Wind und den globalen Klimaänderungen herzustellen. Diese Hürde haben die Potsdamer Atmosphärenforscher am AWI nun genommen, indem sie ihr globales Klimamodell um einen innovativen Baustein der Ozonchemie ergänzt haben. „Wir haben einen Machine-Learning-Algorithmus entwickelt, welcher es uns erlaubt, die Ozonschicht als interaktives Element im Modell darzustellen und daher die Wechselwirkungen aus der Stratosphäre und der Ozonschicht mit zu berücksichtigen“, sagt Erstautor und AWI-Atmosphärenforscher Erik Romanowsky. „Mit diesem Modellsystem sind wir jetzt in der Lage, die beobachteten Veränderungen im Jetstream realistisch zu reproduzieren.“
Demnach führt der Meereisrückgang und die damit verbundene größere Aktivität atmosphärischer Wellen zu einer durch das Ozon verstärkten deutlichen Aufheizung der polaren Stratosphäre. Da die tiefen polaren Temperaturen der Antrieb für den Jetstream sind, schwächt dieser sich durch diese Temperaturerhöhung in der Stratosphäre ab. Diese Abschwächung des Jetstreams setzt sich nun ausgehend von der Stratosphäre nach unten durch, was zu Wetterextremen führt.
Schwächelnder Jetstream ist Folge des Klimawandels
Mithilfe des neuen Modells können die Forscher nun auch die Ursachen des mäandrierenden Jetstreams genauer untersuchen. „Unsere Studie zeigt, dass die Veränderungen im Jetstream zumindest teilweise vom Rückgang des arktischen Meereises verursacht werden. Sollte die Eisdecke weiter schrumpfen, gehen wir davon aus, dass die bislang beobachteten Extremwetterereignisse in den mittleren Breiten in ihrer Häufigkeit und Intensität zunehmen werden“, sagt Prof. Dr. Markus Rex, Leiter der Atmosphärenforschung des AWI. „Unsere Ergebnisse untermauern zudem, dass die häufiger auftretenden winterlichen Kaltphasen in den USA, Europa und Asien der Klimaerwärmung nicht widersprechen, sondern vielmehr Teil des menschengemachten Klimawandels sind.“
Ein Fortschritt sind die Arbeiten auch aus technologischer Sicht: „Nach dem erfolgreichen Einsatz von Machine Learning in dieser Studie setzen wir nun erstmals künstliche Intelligenz in der Klimamodellierung ein und erreichen damit realistischere Klimamodellsysteme. Hier liegt ein riesiges Potenzial für die Klimamodelle der Zukunft, von welchen wir uns verlässlichere Klimaprojektionen und damit robustere Grundlagen für politische Entscheidungen erwarten“, sagt Markus Rex.
Auf der im September beginnenden Arktis-Expedition MOSAiC, bei welcher der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern ein Jahr lang mit dem Meereis durch die zentrale Arktis treiben wird, wollen die Forscher nun aktuelle Eis- und Atmosphärendaten sammeln. Diese sollen helfen, das neue Klimamodell in die Zukunft laufen zu lassen, um so die künftige Entwicklung des arktischen Klimas und Meereises zu simulieren „Wir wollen im Detail verstehen, wie der Meereisrückgang in der Arktis weitergehen wird. Denn erst auf Basis dieses Wissens können wir genauer beurteilen, wie und in welchem Ausmaß die Veränderungen in der Arktis zu Wetterextremen in den mittleren Breiten führen werden“, so Markus Rex.
Glossar
Der von den Forschern entwickelte künstliche Intelligenz-Algorithmus SWIFT ist ein lernendes Ozonmodul. Es stellt dem globalen Klimamodell innerhalb kurzer Zeit präzise Daten zum Verhalten der Ozonschicht zur Verfügung. Sein Wissen über die Ozonchemie wiederum stammt vom großen AWI-Chemie-Prozessmodell ATLAS. Dieses berücksichtigt bei seinen Simulationen der Ozonschicht nahezu 200 detaillierte Prozesse, die in der Atmosphäre ablaufen und welche alle mit komplexen mathematischen Formeln beschrieben werden, und ist deshalb viel zu langsam, um es in globale Klimamodelle einzubinden. SWIFT aber wird immer wieder zu Trainingszwecken mit ATLAS verbunden. Auf diese Weise lernt der Algorithmus durch die Beobachtung von ATLAS-Rechnungen für Hunderttausende verschiedene atmosphärische Bedingungen, zu welchen Ergebnissen das Prozessmodell kommt und kann diese anschließend im globalen Klimamodell reproduzieren – allerdings um mehrere Größenordnungen schneller als ATLAS. Nur so ist es möglich, die Ozonchemie als interaktives Element effizient in ein globales Klimamodell einzubinden. Hätten die Wissenschaftler versucht, ATLAS direkt in dem globalen Klimamodell mitlaufen zu lassen, so hätten die dafür benötigte Rechenleistung und -zeit alle verfügbaren Ressourcen um ein Vielfaches übertroffen.
Quelle
Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) 2019