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Helfried Weyer

© Helfried Weyer

Galapagos: Die Zauber-Inseln im Pazifik

Darwins Evolutionstheorie sagt, dass Gott die Lebewesen nicht einzeln gemacht hat, sondern dass alles Leben zusammenhängt.

Das gibt es nur einmal in der Welt: Am Strand räkeln sich Seelöwenweibchen während ihre Männer die Bäuche in Richtung Sonne strecken. Die neugeborenen Jungen blinzeln noch unsicher ins grelle Sonnenlicht. Spottdrosseln nesteln an den Rucksäcken von Touristen. Nur wenige Meter entfernt tanzen Blaufußtölpel. Urzeitliche Lava-Echsen flitzen zwischen den schwarzen Felsbrocken umher. Über dem höher gelegenen Felsplateau segeln Albatrosse majestätisch in der Luft. 

Selbst ein Fotografie-Muffel wie ich greift zur Kamera. Meine Frau schießt hunderte Bilder. Du kannst gar nicht anders. Du hast nicht einen Fotoapparat – er hat Dich. Es fotografiert. Weil Du einmalige Motive siehst, wohin du auch schaust. 
Wir sind auf Inseln, die anmuten wie der Beginn der Schöpfung. Wir sind Anfang Juni diesen Jahres auf den Galapagos-Inseln etwa 1.000 Kilometer westlich von Ecuador im Pazifischen Ozean. Am Morgen und am Abend haben wir ein unbeschreiblich zartes Licht – ideal zum Fotografieren. 

Als Charles Darwin 1832 bei seiner Weltreise mit der „Beagle“ hier fünf Wochen Station machte und fünf der 14 größeren Galapagos-Inseln besuchte, notierte er in sein Tagebuch: „Wir scheinen hier jener großen Tatsache, jenem Geheimnis aller Geheimnisse, dem ersten Erscheinen neuer lebendiger Wesen auf der Erde, nähergebracht zu werden.“ 

Seit Darwin wissen wir: Alles Leben geht auf denselben Ursprung vor über drei Milliarden Jahren zurück. Die vielen Stammbäume des Lebens bilden zusammen den „Baum des Lebens“. Hier hat die Natur Darwin erstmals zugeflüstert, dass Homo Sapiens vom Affen, von Säugetieren und Wirbeltieren, Einzellern und von Bakterien abstammt. Und dass sich das einzelne Leben nicht einem planenden Gott, sondern einem Prozess verdankt. Wer aber ist die Ursache dieses Prozesses? 

Wer ist der Organisator? Darwin hat nie bestritten, dass jede Wirkung ihre Ursache hat und dass Naturgesetze einen Gesetzgeber voraussetzen. Darwin war kein Atheist, zu dem ihn bis heute vor allem in den USA kirchliche Fundamentalisten gerne abstempeln wollen. Er schreibt vielmehr in seinen Memoiren: „Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich jedenfalls muss mich damit zufrieden geben, Agnostiker zu bleiben.“ So ähnlich argumentiert auch der christlich-mystische brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho: „Wer Gott kennt, beschreibt ihn nicht. Wer Gott beschreibt, kennt ihn nicht.“ Darwin war einer der größten Suchenden aller Zeiten. Das ist seine Größe – dies bleibt sein Verdienst.  

Seine große wissenschaftliche Leistung war, uns unsere biologische Herkunft zu erklären. Das Leben hat sich evolutionär entwickelt. Schöpfung ist ein Prozess – auf Zukunft angelegt. Ursprünglich wollte Darwin als Theologiestudent mit seiner Teilnahme an der „Beagle“-Reise die Richtigkeit der biblischen Sechs-Tage-Schöpfungsgeschichte beweisen. Doch auf Galapagos beginnt der junge Wissenschaftler zu ahnen, dass alle Lebewesen Äste eines einzigen Stammbaumes sind und sich in Abhängigkeit der verschiedenen Umweltbedingungen unterschiedlich entwickeln. Die Brisanz seiner Theorie liegt darin, dass er die menschliche Sonderstellung in Natur und Evolution verneint. Der Mensch ist jetzt nicht mehr die „Krone der Schöpfung“.

Warum hat Darwin mit der Veröffentlichung seiner Evolutionstheorie fast 30 Jahre gewartet?
Er hatte Angst. Angst vor seiner kirchengläubigen Frau, die befürchtete, ihren Mann im Himmel nicht wieder zu treffen, wenn er seine Erkenntnisse publiziert und Angst vor seiner Kirche. Doch die weltweite Akzeptanz seiner Theorie wurde dadurch nur verzögert, nicht aber aufgehalten. Darwin wurde zum zweiten Kopernikus. Seine Reise wurde die bedeutendste Wissenschaftsreise der Menschheitsgeschichte.

150 Jahre nach Erscheinen von Darwins Evolutionstheorie, die hier in ihm zu keimen begann, geht von diesen Zauberinseln immer noch ein heiliger Schauer aus. Am Anfang waren diese Vulkan-Inseln aus Feuer, Asche und Steinen ein Land ohne Erde, ohne Leben und ohne Samen. Bis heute sind sie die aktivsten Vulkan-Inseln auf unserer Erde. Erst nach Millionen Jahren regte sich erstes Leben. Die 14 großen und ebenso vielen kleineren Inseln bilden eine Landfläche von 8.000 Quadratkilometern. Der Äquator zieht sich quer durch den Galapagos-Archipel. Wir überqueren ihn mit unserer Motorjacht mit 16 Passagieren und acht Mann Besatzung öfter. Dabei haben wir es wesentlich bequemer als Darwin im Jahr 1832, dessen Schiff so lang war wie das unsere, aber 70 Mann Besatzung hatte.
Die Ost-West-Ausdehnung zwischen den Inseln Fernandina und San Christobal beträgt etwa 200 Kilometer, zwischen der nördlichsten Insel Darwin und der südwestlichsten Espanola liegen 430 Kilometer. 

Alle Inseln sind vulkanischen Ursprungs. Auf einigen hat man den Eindruck, dass Gott einst feuerrote Glut und schwarze Steine regnen ließ. Andere gleichen übergroßen Aschenhaufen inmitten des Meeres. Die erdgeschichtlich ganz jungen Inseln sind gerademal 40.000 Jahre alt – Baby-Inseln nennt sie unsere Naturparkführerin Dora – die älteren sind über fünf Millionen Jahre alt. Darwin schrieb nach seinem Besuch hier: „Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass Inseln, die meisten von ihnen in Sichtweise von einander, und aus demselben Gestein gebildet, so unterschiedlich besiedelt sein können.“

Mit besiedelt meinte Darwin Tiere und Pflanzen. Menschen wohnen erst einige Jahrzehnte hier. Heute sind es 38.000. Aber sie sind wie überall eine Gefahr für die endemischen, einheimischen, Tiere und Pflanzen. Unsere Gruppe war eine der letzten, die in der Darwin-Station noch den „Einsamen George“ gesehen hat. Nur eine Woche nach unserem Besuch starb die etwa 100 Jahre alte Schildkröte. Schildkröte heißt auf spanisch „Galapagos“! Wieder eine Art weniger auf unserer Erde. Täglich sterben zur Zeit 150 Tier- und Pflanzenarten aus. Hauptursache ist der globale Klimawandel.

Wir werden begreifen müssen: Ohne Tiere und Pflanzen wird es auch keine Menschen geben können. Mit Klimawandel und Artensterben zerstören wir unsere eigenen Lebensgrundlagen – das wird mir hier vollends klar.
Neben Tausenden von Leguanen, die wie Mini-Dinosaurier aussehen, uralten Schildkröten aller Arten, und einer insgesamt unvorstellbaren Tier- und Pflanzenvielfalt bieten die Galapagos-Inseln noch ganz andere Attraktionen: bizarre Lava-Landschaften wie von Künstlern gestaltet, eine wüstenhafte Küstenvegetation, Urwälder im Hochland, wunderschöne, touristenfreie Sandstrände, zehntausende von Seevögeln und ein bunte Unterwasserwelt. Wie an vielen anderen Orten der Welt sind auch hier die hundertausende Jahre alten Korallenbänke in den letzten Jahrzehnten allerdings durch die Klimaerwärmung komplett zerstört worden. Wir wandern an vielen Stränden über Korallen-Friedhöfe. Als Taucher blutet mir das Herz dabei.

Ein typischer Juni-Tag im Galapagos-Archipel: Blendender Sonnenschein am Äquator, weißes Schiff, tiefblaue See, am Horizont die Silhouette der kargen Lava-Inseln. Manchmal schnellen Robben aus den Wellen, Tölpel schießen wie Pfeile ins Wasser. Fregattvögel schweben um unser Schiff. Hier also haben die berühmten Darwin-Finken – in Wirklichkeit waren es Drosseln – dem begnadeten Biologen, der ursprünglich Theologe war, die Augen geöffnet. Es ist kein Zufall, dass in diesem Naturparadies die Natur erstmals direkt zu ihm gesprochen hat – über Kormorane, Pelikane, Echsen, Schildkröten, Finken und Drosseln. Hier hat Darwin zu begreifen begonnen, dass der Mensch vom Affen abstammt, von Säugetieren, von Wirbeltieren, von Vielzellern, von Einzellern, von Bakterien. Und dass sich das Leben nicht einem planenden Gott, sondern einem Prozess verdankt, der freilich einen Planer voraussetzt.

Als Ökologe frage ich mich schon am ersten Tag unserer Reise, wie lange uns dieses Paradies noch erhalten bleibt. 1960 kamen insgesamt 80 Touristen hierher, 2010 waren es schon 170.000. Aber die ecuadorianische Regierung hat jetzt beschlossen, dass jährlich nur noch 100.000 kommen sollen. Große Kreuzfahrtschiffe dürfen nicht mehr hier anlegen. Nirgendwo auf der Welt habe ich einen so vorbildlichen, ja beinahe peniblen Ökotourismus erlebt wie hier. Aber nur so wird uns dieses Laboratorium der Evolution erhalten bleiben. 
Kurz vor seinem Tod sprach Darwin vom Schöpfer-Gott. Vielleicht trifft auch auf ihn die Erkenntnis von Max Planck zu, wonach religiöse Menschen am Anfang zu Gott finden während wissenschaftliche Menschen erst am Ende zu ihm finden. Als Ergebnis meiner Galapagos-Reise plädiere ich für eine neue Allianz zwischen Wissenschaft und Religion.

Darwins Evolutionstheorie sagt, dass Gott die Lebewesen nicht – wie im Alten Testament beschrieben – einzeln gemacht hat, sondern dass alles Leben zusammenhängt. Gott entwickelt also nicht das einzelne Leben, aber er sorgte dafür, dass sich das Leben einzeln entwickeln kann.

Was Leben wirklich ist, wissen wir immer noch nicht genau. Am Ende unserer Reise kommt mir eine Erkenntnis des großen Lebensfreundes Albert Schweitzer in den Sinn: „Leben ist Leben, das leben will inmitten von Leben, das ebenfalls leben will.“ Dem hätte Darwin sicher zugestimmt. Das Leben bleibt für ihn so sosehr ein Geheimnis wie das Göttliche.

Download:
HÖRZU WISSEN 84/2012 „Insel der Drachen“

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Quelle

Eine Reportage von Bigi Alt ( Fotos) und Franz Alt (Text) 2012

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