Prioritäten der ökologischen Lebenskunst
Oft fragen mich Leute, was das eigentliche Thema meiner Kolumne Ökosex sei. Wenn ich von so faszinierenden Dingen wie Warmwasservorschaltgeräten für Waschmaschinen schreibe, schwärme ich im Grunde von der Leichtigkeit des Seins. Wenn ich damit angebe, dass ich in meinem Haushalt keine fossilen Brennstoffe mehr verbrenne, geht es natürlich um die faszinierende Idee vom guten Leben. Kolumne von Martin Unfried
Ja, da bin ich dabei eine Art “ökologische Lebenskunst” zu beschreiben. Am nächsten Wochenende darf ich über eine solche Lebenskunst diskutieren, bei einer interessanten Konferenz in Berlin (www.ueber-lebenskunst.org). Der Begriff Lebenskunst klingt natürlich ein bisschen philosophisch verstaubt, trifft es aber schön. Wie sollen wir leben in den Zeiten des Klimawandels und des Porsches Panamera?
Dazu habe ich einige Bücher gelesen und Vorträge gehört von Gelehrten, die das A und O des nachhaltigen Lebens theoretisch hübsch beschrieben haben. Interessanterweise habe ich aber unter diesen Gelehrten selten Profis getroffen, die mir von ihrem eigenen spektakulären ökologischen Leben vorgeschwärmt haben. Eher habe ich erfahren, dass viele Umweltexperten im Privatleben häufig blutige Amateure sind. Nach dem Motto: “Whow, ich habe jetzt einen Golf Bluemotion und fliege ein bisschen weniger.”
Weil das sowohl sympathisch als auch symptomatisch ist, plädiere ich dafür den Ball flach zu halten. Nein, wir sollten den homo oecologicus nicht überfordern. Obwohl ich selbst hobbymäßig einen Heidenspaß am ökologischen Leben habe, ist mir klar, dass es in erster Linie politische Entscheidungen sind, die gesellschaftlich eine echte Wende bringen könnten. Weniger Duschen hilft meistens nicht. Bestes Beispiel: Privatleute hätten edel und gut viele Solaranlagen bauen können. Wenn es das geniale Instrument der Einspeisevergütung nicht gegeben hätte, und damit einen intelligenten ökonomischen Rahmen, wäre die Photovoltaik niemals in die Massenfertigung gelangt und zur Perle der globalen Energiewende geworden.
Merke: politisches Engagement ist ein wesentlicher Teil ökologischer Lebenskunst, wenn sie denn nicht nur dem eigenen Wohlgefallen dienen soll. Also zum Bürgermeister rennen und den Windpark im Dorf fordern, kann ebenso wichtig sein, wie eigenes Biogemüse pflanzen.
Andererseits irritiert mich, dass es sehr wohl höchst private ökologische Tugenden gibt, die bis heute immer noch völlig unterschätzt werden. Wenn die atomkraftkritischen Haushalte (also so um die 30 Millionen) bereits vor Jahren ihre Geschäftsbeziehungen mit Atomkonzernen beendete hätten, dann wäre diese Technik für Eon und Co. rucki zucki untragbar gewesen. Hier hätte ich mir ein wenig mehr gesellschaftliche Lebenskunst gewünscht in Sachen Stromkündigung. Die Abhängigkeit von Atomkonzernen brechen ist doch ein anderes Kaliber als Energiesparlampen reinschrauben.
Ökologische Lebenskunst bedeutet deshalb für mich vor allem Prioritäten erkennen und gegebenenfalls verändern. Der erneuerbare 100% Haushalt kann beispielsweise heute ein schönes privates Ziel sein. Das heißt eben in Sachen Klimaschutz, keine fossilen Brennstoffe mehr im Haus zu dulden. Strom natürlich grün, am besten auch mit eigener Produktion, und die erneuerbaren Potentiale im Wärmebereich, bei der Heizung angehen. Ist ja heute kein Kunststück mehr. Und wenn das erledigt ist, wird es echt interessant: wie machen wir in naher Zukunft unsere private Mobilität 100% erneuerbar? ÖPNV oder solarer Carport? Dafür braucht es künstlerische Kreativität – echte Lebenskunst, eben.
Quelle
Martin Unfried 2011Ökosex 2011