Rote Liste: Zunehmende Nährstoffbelastung gefährdet Wildpflanzen
Über 30 % der Wildpflanzen in Deutschland sind bestandsgefährdet. Auch positive Entwicklungen sind zu verzeichnen.
Während sich der Zustand vieler Wildpflanzen in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren gravierend verschlechtert hat, sind für Arten, die von gezielten Natur- und Umweltschutzmaßnahmen profitieren, Verbesserungen zu verzeichnen. Mit 30,8 Prozent bleiben die Zahl und der Anteil der gefährdeten Wildpflanzen in Deutschland jedoch unverändert hoch. Das sind Ergebnisse der aktuellen Roten Liste der Pflanzen, die das Bundesamt für Naturschutz (BfN) in Berlin vorgestellt hat. Für insgesamt 8.650 in Deutschland heimische Farn- und Blütenpflanzen, Moose und Algen haben die Autorinnen und Autoren des siebten Bandes der Reihe „Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands“ die Bestandssituation und das Ausmaß der Gefährdung ermittelt.
„Pflanzen nehmen eine ganz elementare Rolle in den Ökosystemen ein. Ein Rückgang ihrer Artenvielfalt wirkt sich deshalb stets auch auf die große Vielfalt anderer Organismengruppen negativ aus. Die aktuelle Rote Liste belegt jetzt, dass insgesamt 30,8 Prozent aller in Deutschland vorkommenden Pflanzen in ihrem Bestand gefährdet sind“, sagt BfN-Präsidentin Prof. Beate Jessel. „Es sind dabei vor allem hohe Nährstoffbelastungen, die vielen Wildpflanzen zu schaffen machen. Auffallend viele vom Aussterben bedrohte oder stark gefährdete Arten finden sich unter den typischen Arten nährstoffarmer Gewässer und anderer nährstoffarmer Standorte wie Moore, Heiden oder Extensiväcker“, so die BfN-Präsidentin.
Besonders viele Arten (51,2%) sind etwa bei den Zieralgen gefährdet, die oft in nährstoffarmen Gewässern vorkommen. Der Anteil der gefährdeten Zieralgen ist damit doppelt so hoch wie etwa bei den Moosen (25%).
„Bei der artenreichsten Pflanzengruppe, den Farn- und Blütenpflanzen, sind insgesamt 27,5 Prozent in ihrem Bestand gefährdet und damit entweder vom Aussterben bedroht oder in unterschiedlichem Ausmaß gefährdet“, berichtet der Botaniker Dr. Günter Matzke-Hajek, ehrenamtlicher Autor der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen. „Auch unter den Farn- und Blütenpflanzen sind Arten besonders betroffen, die nährstoffarme Standorte bevorzugen, wie die stark gefährdete Wiesen-Küchenschelle, sowie Ackerwildkräuter wie das mittlerweile vom Aussterben bedrohte Flammen-Adonisröschen. Beide Arten kommen immer seltener vor, weil ihre Standorte verstärkt zu hohen Nährstoffeinträgen und Nutzungsänderungen ausgesetzt sind.“
Die neue Rote Liste der Pflanzen umfasst auf 784 Seiten die Gefährdungsanalysen von sechs Pflanzengruppen: Farn- und Blütenpflanzen (insgesamt 4.305 Arten), Moose (1.195), Braun- und Rotalgen des Süßwassers (34), Schlauchalgen (45), Zieralgen (968) und Kieselalgen des Süßwassers (2.103). Der Band gibt nicht nur Auskunft über die gefährdeten Pflanzen, sondern enthält vollständige Gesamtartenlisten der sechs Pflanzengruppen und liefert damit auch einen Überblick und ein Inventar der gegenwärtig in Deutschland vorkommenden Pflanzenvielfalt.
Die Gesamtbilanz für die in der Roten Liste bewerteten Pflanzen zeigt unter anderem, dass 119 Pflanzenarten im Verlauf der letzten etwa 150 Jahre in Deutschland ausgestorben oder verschollen sind, darunter sind 76 Arten der Farn- und Blütenpflanzen, für die in Deutschland keine natürlichen Vorkommen mehr bekannt sind, sowie 39 Moose und vier Kieselalgen.
Es gibt jedoch auch Positives zu vermelden: Erfreulich entwickelt haben sich die Bestände einiger Moos- und Algenarten. Erfolge wurden hier vor allem durch Maßnahmen des technischen Umweltschutzes erzielt. Dadurch haben bei den Moosen vor allem die auf Bäumen wachsenden Arten von einer verbesserten Luftqualität, etwa durch geringere Schwefelimmissionen profitiert. Für einige Kieselalgen-Arten hat sich die geringe Versauerung von Seen positiv auf ihren Bestand ausgewirkt. Kieselalgen sind wichtige Indikatoren für die Wasserqualität der Binnengewässer.
Auch bei 327 Farn- und Blütenpflanzen, die in den letzten 100 bis 150 Jahren zurückgingen, konnte eine weitere Abnahme in den vergangenen rund 20 Jahren aufgehalten und bei 18 sogar umgekehrt werden. Dies ist oft gezielten Artenhilfsmaßnahmen wie Ackerrandstreifen oder der Einrichtung von Schutzäckern zu verdanken. Dadurch konnten etwa die stark bedrohten Bestände der Kornrade oder der Dicken Trespe, beides früher typische Begleitpflanzen in Getreidekulturen, verbessert werden.
„Gezielte Hilfsprogramme des Naturschutzes für einzelne Arten weisen zwar gute Erfolge auf, sie können aber nur die Ultima ratio sein. Um den Artenrückgang auf breiter Front aufzuhalten müssen wir auf Ebene der Landschaft, bei einer naturverträglichen Landwirtschaft und bei einer umfassenden Verbesserung unserer Gewässer ansetzen“, hält BfN-Präsidentin Jessel fest. „Die Rote Liste unterstreicht daher einmal mehr, dass ein Umsteuern in der Landwirtschaft und in der Agrarpolitik dringend erforderlich ist. Denn die zunehmende Nährstoffbelastung gefährdet immer mehr Wildpflanzen in Deutschland – sowohl an Land als auch im Wasser.“
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Die Roten Listen gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands
In den Roten Listen wird der Gefährdungsstatus von Tier-, Pflanzen- und Pilzarten für einen bestimmten Bezugsraum dargestellt. Die Autorinnen und Autoren bewerten die Gefährdung anhand der Bestandsgröße und der Bestandsentwicklung. Diese Gefährdungsanalysen werden von einer großen Zahl von meist ehrenamtlichen Artenkennern und -kennerinnen erarbeitet und über das Bundesamt für Naturschutz fachlich geprüft und zusammengeführt. Zur aktuellen Roten Liste haben darüber hinaus mehr als tausend Expertinnen und Experten mit ihren Hinweisen, Informationen oder den zugrundeliegenden Kartierungsdaten beigetragen. Die Koordination der Roten Listen erfolgt am BfN.
Für den Schutz der Artenvielfalt in Deutschland stellen die Roten Listen eine entscheidende Grundlage dar. Sie dokumentieren den Zustand von Arten und mittelbar die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Natur. Damit sind sie Frühwarnsysteme für die Entwicklung der biologischen Vielfalt und zeigen auf, wo Handlungsbedarf besteht. Sie ermöglichen es, Naturschutzmaßnahmen zu gewichten, bei der Umsetzung Prioritäten zu setzen und zeigen zugleich Forschungsbedarfe auf.
Die Roten Listen sind hier erhältlich