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Seegras: Der Dämmstoff aus dem Meer

Bei dem Wort Seegras denken manche vielleicht spontan an das Gras, das auf Dünen wächst, Strandhafer, gemeint ist jedoch ein Gras, das in großen Wiesen unter Wasser wächst, und zwar in einer Tiefe von bis zu 10 Metern. Die Familie der Seegrasgewächse (zostera) ist  auf der ganzen Welt verbreitet.

Im Herbst stirbt es ab, das bewegte Wasser reißt die Halme ab, und sie treiben in großen Mengen an den Strand. Vor allem an der Ostseeküste gehört Seegras zum Strandbild, genau wie die Bagger, die in den frühen Morgenstunden sich bemühen, es möglichst gründlich für die Touristen zu beseitigen. Denn wenn es in großen Haufen mit Algen vermischt liegen bleibt, fängt es nach einiger Zeit an, einen intensiven Küstengeruch zu verströmen, den nicht alle Menschen angenehm finden. Und Badende waten natürlich auch nicht gerne durch Tangschwaden.

Wenn allein die Gemeinde Scharbeutz (nördlich von Lübeck) zum Beispiel im Jahr 8000 Tonnen Seegras beseitigen muss, kann man sich vorstellen, dass die Gesamtmenge an der deutschen Ostseeküste gigantisch ist.

Was passiert damit?

Seegras gilt als Sondermüll: es ist schwer verrottbar und nicht brennbar und muss entsorgt werden. Das geschieht zum Teil durchs Verstreuen auf Äcker und durchs Vergären in Biogasanlagen. Aber ein gern gesehenes Material ist es sicherlich nirgendwo.

Seegrasnutzung

Bis auf die Baustellen einiger wenigen unverbesserlichen Ökofreaks, die dem Charme dieses optisch etwas wie Tabak oder Schwarztee anmutenden Naturrohstoffs erlegen sind und in purer Meeresromantik schwelgen! Anstatt es wegzubaggern und zu vernichten kann man es nämlich auch trocknen und zu Dämmzwecken in Hohlräume einbringen. Und es liebevoll Seeheu nennen. Denn pures Seegras getrocknet hat tatsächlich einen dezenten angenehmen Duft. Eben ein bisschen Meeresaroma. Und wer mag das nicht?

Getrocknetes Seegras kann mit vielen positiven Eigenschaften aufwarten:

Da es aus dem Wasser stammt, kann es mit Wasser gut umgehen. Das heißt, wenn es nass wird, sieht es fast wieder lebendig aus. Wasser schadet ihm nicht, es sei denn, es ist dauerhaft Feuchtigkeit ohne Verdunstungsmöglichkeit ausgesetzt. Irgendwann fängt auch Seegras an zu schimmeln, aber dafür braucht es schon wirklich harte Bedingungen. Also: Wird als Dämmung eingebautes Seegras feucht, und hat es die Möglichkeit, die Feuchtigkeit durch eine diffusionsoffene Schicht mit Hinterlüftung wieder abzugeben, gibt es überhaupt kein Problem.

Seegras wird von Milben, Mäusen und anderem sogenannten Ungeziefer gemieden. All diese guten Eigenschaften verdankt es dem hohen Silikatanteil. (Silikat ist Hauptbestandteil von Sand und Glas.)

Andere Dämmstoffe wie zum Beispiel die aus Zellulose werden mit Borsalz behandelt: gegen Feuer, Schimmel und Schädlinge. Das braucht Seegras nicht, das hat es schon.

Versucht man, Seegras zum Brennen zu bringen, erlebt man ein kurzes Aufglimmen und schnelles Erlöschen. Das liegt am Silikat.

Was getrocknetes Seegras besonders attraktiv für Altbausanierer macht: Es passt sich allen Formen, Ecken und Nischen an, es lässt sich überall lückenlos (selber!) mit der Hand einbringen, es muss sich keiner Norm anpassen.

Da das Meersalz eine wasseranziehende Wirkung hat, ist ein wichtiger Schritt beim Gewinnen des Dämmmaterials das „Abwettern“: einige Wochen liegt das frisch eingesammelte Seegras auf Wiesen ausgebreitet und wird vom Regen gewaschen und von Sonne und Wind getrocknet.

Tradition

Seegras hat natürlich Geschichte. In Deutschland z.B. ist die Seegrasmatratzenproduktion erst vor ca. 50 Jahren zu Ende gegangen, als die Welt von Erdölprodukten überschwemmt wurde. Alleine in Dänemark erreichte die Seegrasproduktion zu Hochzeiten 1913 eine Jahresproduktion von 8 Mio. Tonnen (dreimal mehr als die gesamte Heuernte desselben Jahres).

Manchmal findet man in alten Polstermöbeln und Matratzen noch Seegraspolster, nach Jahrhunderten noch in einer Qualität fast wie neu geerntet.

Die nördlichste dänische Ostseeinsel Laesoe ist für die urigen (zwischen 200 und 300 Jahre alten) Seegrasdächer bekannt. Sie sind dicker und schwerer als Reetdächer – und langlebiger. Sie sehen aus wie Torf und sind bewachsen von bunten Wiesenblumen.

Wenn man ein wenig recherchiert, kann man herausfinden, dass es ähnliche Dächer in anderen Ländern gab/gibt und schon lange vor den Wikingern Seegras als Dacheindeckung verwendet wurde.

Ab Anfang 1900 wurden dann in den USA und Europa, (z.B. auch in Wismar) Dämmmatten hergestellt aus doppellagigem Packpapier mit eingestepptem Seegras. Z.B. der Rockefeller Center in New York ist mit Seegras (englisch „eelgrass“) gedämmt.

Eine nette Anekdote ist auch, dass der berühmte Südpolforscher Scott sein Basislager mit solchen Seegrasmatten, die er aus dem Norden mitbrachte, dämmte.

Warum ist Seegras zwischenzeitlich vom Markt verschwunden?

Vermutlich weil die Menschen modern sein wollten und künstlichen Produkten die besseren Eigenschaften zutrauten. Inzwischen ist ja bekannt, wie extrem gesundheitsschädigend viele „moderne“ Baustoffe sind, besonders wenn ein Haus mit künstlichen Bau- und Dämmstoffen abbrennt, wird Luft und Grundwasser stark mit Schadstoffen belastet.

Moderne Ernte- und Verarbeitungstechnik

Wenn man Seegras als kostbares Geschenk des Meeres nimmt und nicht als unerwünschtes Abfallprodukt, dann hütet man sich beim Einsammeln davor, dass es mit Sand und Müll oder älteren Seegrashaufen vermischt wird. Nur das beste Material wird getrocknet und wie Heu zu Ballen gepresst. Dies erfordert keine besonderen Geräte, nur die normalen landwirtschaftlichen, die sowieso jeder Bauer hat.

Dänische Bauern pflegen diese mehrere Generationen alte Tradition und gewinnen so ein wirklich hochwertiges Material. Hier kommt die Ware her, die der schleswig-holsteinische Seegrashandel zur Zeit vertreibt.

Quelle

seegrashandel.de 2013Joern Hartje und Swantje Streich 2013

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