Tauen gefährdet Großteil der arktischen Infrastruktur
Wenn der Permafrost taut, könnten 70 Prozent der Infrastruktur in betroffenen Regionen zerstört werden, zeigt eine internationale Studie. Potsdamer Forscher gingen auf Spurensuche: Wo und wie zeigt sich das Tauen schon? Das kann bei der Anpassung vor Ort helfen – und bei der Abschätzung der Folgen für das Weltklima.
Einfallende Häuser, absackende Straßen, einstürzende Brücken: Etwa 70 Prozent der Infrastruktur in der Arktis werden innerhalb der kommenden 30 Jahre vom tauenden Permafrost-Boden in Mitleidenschaft gezogen werden. Das hat ein internationales Wissenschaftler-Team in einer Studie abgeschätzt, die im Dezember im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht wurde.
Im Norden Sibiriens, Kanadas und Alaskas, teils auch außerhalb der Arktis wie im Hochland von Tibet ist der Boden zum Teil mehrere hundert Meter tief gefroren – der sogenannte Permafrost. Nur die oberen Schichten tauen im Sommer auf, wenn die Lufttemperatur für längere Zeit über den Gefrierpunkt steigt.
Das Problem: Durch den Klimawandel wird es wärmer, im hohen Norden sogar deutlich schneller als im weltweiten Mittel. Das bringt das Eis im Boden zum Schmelzen. Der Permafrost gilt als sogenanntes Kippelement – als ein Teil des Erdsystems, der durch die höheren Temperaturen unwiderruflich in einen anderen Zustand fallen und dann die ganze Welt beeinflussen könnte. Im Permafrostboden sind Unmengen an Kohlendioxid gespeichert. Taut er, setzt er das Treibhausgas frei und heizt den Klimawandel noch zusätzlich an.
Die Permafrost-Schmelze hat aber auch schwere lokale Auswirkungen. Sie würde zahlreichen Häusern, Schienen, Straßen, Pipelines oder Industrieanlagen den festen Boden und damit eine stabile Grundlage nehmen.
Zum Beispiel die Lhasa-Bahn, die die westchinesische Stadt Xining mit Tibet verbindet. Oder die nördlichste Bahnstrecke der Welt, die der Gazprom-Konzern sich für seine Logistik in Nordrussland gebaut hat. Oder die Ostsibirien-Pazifik-Pipeline, die russisches Erdöl Richtung Japan, China und Korea transportiert. Außerdem leben etwa 3,6 Millionen Menschen in 1.200 Siedlungen in dem potenziell betroffenen Gebiet.
Wie viel wirklich zerstört wird, hängt natürlich davon ab, wie stark die globale Erwärmung voranschreitet. Die Studie gibt aber auch keine Entwarnung für den Fall, dass die Welt es schafft, auf Kurs für die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu kommen. Die Forscher gehen davon aus, dass im Jahr 2050 mindestens 48 Prozent der arktischen Infrastruktur betroffen sein werden – im schlimmsten Fall aber sogar 87 Prozent.
„Hier in Alaska sind wir schon heute von dieser Realität betroffen und werden es in der Zukunft noch viel mehr sein“, sagte Vladimir Romanovsky von der beteiligten Universität von Alaska in Fairbanks.
Dem Tauen auf der Spur
Dass es heute schon Anzeichen für einen tauenden Permafrost gibt, kann Ingmar Nitze von der Potsdamer Forschungsstelle des Alfred-Wegener-Instituts bestätigen. „Wenn zum Beispiel Seen plötzlich größer werden, kann das auf schnelles Auftauen von Permafrost hindeuten“, erklärt er. „Andersherum kann auch ein verkleinerter See ein Symptom sein: wenn der vormals gefrorene Boden nämlich als Barriere für das Wasser gedient hat und das Wasser durch den den auftauenden Boden abfließen kann.“
Es sind diese kleinteiligen Tau-Effekte, die Nitze gerade mit einem Team von Polarforschern genau untersucht hat. Mithilfe von Satellitenbildern haben sie sich auf die Suche nach den Spuren des tauenden Permafrosts gemacht. Die Ergebnisse sind ebenfalls in Nature Communications erschienen, der frei zugänglichen Schwesterzeitschrift von Nature.
Bislang habe es kaum Daten dazu gegeben, wo genau – abseits von wenigen gut erforschten Regionen – welche Veränderung des Permafrosts auftritt. In den Klimamodellen, so Nitze, würden diese kleinen, aber weit verbreiteten Effekte denn auch zu wenig beachtet.
Dabei dürfte es sich lohnen zu wissen, wie der Permafrost taut, und nicht nur, dass er es tut. „Wachsende Seen kurbeln den Ausstoß der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan an“, erklärt Nitze. Anders sieht es aus, wenn Seen gewissermaßen auslaufen. „Dann kann sich neuer Torf bilden, Kohlenstoff wird dadurch wieder gespeichert und im Boden eingefroren.“
Andere Effekte wie Hangrutschungen sind zwar für das Erdsystem von geringerer Bedeutung – für die betroffenen Regionen, die ihren Schutz davor planen müssen, dafür umso mehr.
(Foto: Berthold Gabel/Wikimedia Commons)
Quelle
Der Bericht wurde von
der Redaktion „klimareporter.de“ (Susanne Schwarz) 2019 verfasst – der Artikel
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