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Bigi Alt

© Bigi Alt | Arktis Christiansund

Wird Grönland grün?

Im Juli 2011 waren meine Frau und ich auf Grönland und Island in der Arktis und ein Jahr zuvor in der Antarktis. Wir wollten auf einem Expeditionsschiff zusammen mit Wissenschaftlern den Klimawandel studieren.

Im Juli 2011 waren meine Frau und ich auf Grönland und Island in der Arktis und ein Jahr zuvor in der Antarktis. Wir wollten auf einem Expeditionsschiff zusammen mit Wissenschaftlern den Klimawandel studieren.

Grönland ist die größte Insel der Welt, fünfmal so groß wie Deutschland, aber hat nur etwa so viele Einwohner wie Baden-Baden. Grönland, das sind großartige arktische Landschaften, Fjorde mit blau-weißen  und türkisfarbenen Eisbergen, kristallklares Wasser,  vielfarbige Eskimosiedlungen und wahrscheinlich mehr Schlittenhunden als Menschen. Aber Grönland – Grünland hatte Erik der Rote aus Island die Insel vor 1000 Jahren getauft – bietet auch für jeden mit offenen Augen den stärksten Anschauungsunterricht für die größte Bedrohung der menschlichen Spezies: den Klimawandel. Die Bundeskanzlerin spricht von der „Überlebensfrage der Menschheit“.

  85 % der Insel sind vom noch „ewigen Eis“ bedeckt. Grönlands Eiskappe ist 2.000 Kilometer lang, 1.000 Kilometer breit und bis zu dreitausend Meter dick. Wir erleben Grönlands weiße Unendlichkeit. Wer vor einem Eisberg oder Gletscher steht, dem ist als ob er an einem weißen und stillen heiligen Tempel Halt gemacht hätte.

Während ich diese Zeilen schreibe, erreicht mich folgende Meldung: „Arktis schmilzt im Rekordtempo“. Noch nie seit Beginn der Klimaaufzeichnungen ist das Meereis im hohen Norden so dramatisch zurückgegangen wie im Sommer 2011. Von ähnlichen Beobachtungen haben uns Forscher ein Jahr zuvor in der Antarktis berichtet.  Das Schmelzen des Eises gilt als der wichtigste Indikator für das Fortschreiten des Klimawandels. Wird Grönland grün?

Der Klimawandel schreitet zurzeit an den Polen unseres Planeten etwa doppelt bis dreimal so schnell voran wie in anderen Regionen. Das berichtet die Fachzeitschrift „Nature Climate Change“. Im Vergleich zu 1950 ist 2011 die Hälfte des damaligen Sommereises in der Arktis verschwunden. Zurzeit schmelzen dort jedes Jahr 250 Kubikkilometer Eis. Das ist etwa das fünffache Volumen des Bodensees.

In der Arktis und Antarktis wird es immer wärmer. Wir haben zwei Tage im Juli erlebt, an denen es in Grönland wärmer war als in Deutschland. Der Sommer 2011 hatte Grönland im Schwitzkasten. Im ersten Halbjahr lag die Temperatur durchschnittlich um 1,5 bis 2,5 Grad über dem Niveau der letzten 30 Jahre – regional waren es sogar bis zu sieben Grad.  Die uns begleitenden Wissenschaftler erwarten einen völlig eisfreien Arktis-Sommer schon bis 2020.

Die gesamte Nordost-Schifffahrtsroute zwischen Grönland und Ostasien ist jetzt im Sommer erstmals ohne Eisbrecher befahrbar. Das gleiche gilt für die Nordwest-Passage zwischen Grönland, Alaska und Kanada. Im letzten Bericht des UN-Klimarats (IPCC) im Jahr 2006 war diese Situation für das Jahr 2070 erwartet worden.

Der Meeresspiegel könnte nicht nur um 60 Zentimeter bis zum Ende unseres Jahrhunderts ansteigen wie im letzten IPCC-Bericht angenommen, sondern um einen bis fünf Meter. Schon bei einem Anstieg um einen Meter wären bis zu 150 Millionen Menschen betroffen, die dann keinen Boden mehr unter ihren Füßen hätten und fliehen müssten. Hauptsächlich Menschen in Millionenstädten an den Küsten rund um den Globus: zum Beispiel In Shanghai und Hongkonk, in Calcutta und Bombay, in Kairo und Alexandria, in Rio und in Buenos Aires.

In der Arktis taut bereits der Permafrostboden auf und setzt den Klimakiller Methan frei. Ein Methangas-Molekül zerstört das Klima etwa 22mal mehr als das Haupttreibhausgas CO2. In den Eisschichten Grönlands sind gewaltige Kohlenstoffvorkommen eingelagert, die sich dort in Jahrhunderten aus absterbenden Pflanzen gebildet haben.

300 Kilometer nördlich des Polarkreises fliegen wir mit einem Hubschrauber über den Ilulissat-Fjord, der Weltnaturerbe der UNESCO ist. Hier kommen die größten Eisberge Grönlands zur Welt. Eisberg heißt auf grönländisch „Ilulissat“.  Vor über 100 Jahren brachte ein Eisberg, der von diesem Fjord kam, die Titanic zum Sinken.

Grönland: weißer Schnee – weiß-blaue Eisberge – kahl-schwarze Bergkuppen. In die 1.8 Millionen Quadratkilometer große Insel könnte Deutschland fünfmal hineinpassen und die Zugspitze würde darin verschwinden. Doch das einzigartige Naturparadies in Weiß scheint dem Untergang geweiht. Unsere Wissenschaftler diskutierten nicht mehr wie noch vor einigen Jahren die Frage, ob das Eis verschwindet, sondern nur noch die Frage, wann das sein wird. 20 Kilometer schrumpfte der Ilulissat-Gletscher in  letzten 10.000 Jahren vor 1850. Allein in den letzten sieben Jahren schmolz das Eis um 10 Kilometer.  Das Gebiet, das von der Eisschmelze betroffen ist, wächst permanent. Beim Flug lassen wir uns zeigen wie der Gletscher noch vor 150 Jahren fast den gesamten Fjord bedeckte. Doch heute ist der Fjord voller Eisberge, die vom Gletscher abgebrochen sind. „Die Gletscher kalben“, nennen die Wissenschaftler das Phänomen. Der ganze Fjord ist voller „Kälber“. Schließlich stehen wir am Rande der Abbruchkante des Gletschers. Es „ kalbt“ und kracht und poltert hier pausenlos. Auf acht Kilometer Länge „kalbt“ hier der Gletscher täglich mehr Eis in den Fjord wie in den Alpen alle Gletscher in einem Jahr zusammen.

Auf einer Karte haben die Wissenschaftler die Eisschmelze des Gletschers seit 1850 dokumentiert. Wir erschrecken über das zunehmende Tempo. So dramatisch hatten wir uns den Klimawandel nicht vorgestellt. In meinen weltweiten Vorträgen zu diesem Thema und zu den Erneuerbaren Energien gibt es immer noch gelegentlich Zweifel am Klimawandel. Ich werde künftig diese Bilder zeigen und die Skeptiker fragen: „Warum schmilzt in Grönland das Eis, wenn es keinen Klimawandel gibt?“

Quelle

Eine
Reportage von Franz Alt (Text) und Bigi Alt (Fotos)

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