30 Jahre Aufbruch Ost: Von Pleiten und Hoffnungen
Ende 1989 stand die Wirtschaft der DDR vor dem Ruin. Ab Mitte der 90er entstanden neue Fabriken: für Solarzellen, Solarmodule und Stromspeicher. Heute bietet die Branche viele hoch qualifizierte Jobs und stellt wieder kräftig ein. Von Heiko Schwarzburger
Die Solarwirtschaft ist eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte, auch wenn der Weg dorthin mehr als steinig war. Und er ist mit den Grabsteinen vieler hoffnungsvoller Gründungen gepflastert. Denn das Auf und Ab in der politischen Unterstützung hat manchen hochfliegenden Plan beerdigt.
Eine Fabrik für Wismar
Thomas Rudolph aus Hamburg hatte 1996 die Firma Solara gegründet, als B2B-Vertrieb für Solarmodule und Zubehör. Weil es damals kaum Lieferanten gab, baute er ab 2001 in Wismar ein Werk für Module auf, die Solara Sonnenstromfabrik. „2006 haben wir Solara und die Sonnenstromfabrik in die neue Firma Centrosolar eingebracht“, erinnert sich Thomas Rudolph. „Auch Biohaus und die heutige Renusol beteiligten sich.“
Rudolph erinnert sich noch gut an die Krisenjahre, als die Einspeisevergütung für Sonnenstrom überhastet gekürzt wurde: „Das war eine bedrückende Stimmung, auch wenn viele Mitarbeiter von Centrosolar anderweitig gut unterkamen. Ich musste Entlassungen und enorme Verluste hinnehmen, weil wir auf der produzierten Ware sitzen blieben. Die Banken haben das nicht überbrückt.“
Centrosolar hat die Krise nach 2012 nicht überlebt. Die Sonnenstromfabrik jedoch wurde von Investoren übernommen und baut ihre Kapazitäten seit Jahren sukzessive aus.
Schwerpunkt in Sachsen
Sehr früh begannen Unternehmen in Dresden und Chemnitz, Solarmodule zu fertigen. 2001 startete Heckert Solar in Chemnitz, im September 2003 rollte das erste Solarmodul vom Band.
Heckert hat die schwierigen Jahre gut überstanden und kann bei den Installateuren mit qualitativ hochwertigen Produkten punkten. Um weiter zu expandieren, sucht der sächsische Solarhersteller wieder neues Personal. Ähnlich bei Solarwatt in Dresden: Während der Krise ins Trudeln geraten, entwickelte sich der Anbieter von Solarmodulen und Stromspeichern seit dem Einstieg der Familie Quandt zu einem der Premiumanbieter für Solarkunden in Deutschland und Europa.
Module und Speicher aus Dresden
Ein Zeitzeuge ist der Elektrotechniker Dieter Winkler aus Dresden. Er war am 1. Oktober 1990 – noch als Bürger der DDR – in die AEG eingetreten. In der Technischen Vertriebsniederlassung (TVN) Dresden der AEG war er zuständig für den Verkauf von Solarmodulen in Ostdeutschland. Denn das 1.000-Dächer-Programm wurde mit der Wiedervereinigung zwei Tage später auch auf die neuen Bundesländer ausgedehnt.
Die AEG unterhielt seinerzeit eine Fertigung für Solarmodule in Wedel bei Hamburg und für Solarzellen in Heilbronn. Die Wafer für die Solarzellen kamen aus Freiberg, vom damaligen Volkseigenen Betrieb (VEB) Spurenmetalle, zur Wende umbenannt in Freiberger Elektronikwerkstoffe (FEW). Diese Firma wurde von der Treuhand an Wacker Chemie verkauft und ausgebaut. Das war der Beginn einer integrierten Fertigung, wie sie später in den Firmen Bayer Solar, Deutsche Solar und Solarworld realisiert wurde.
Viele sind verschwunden
Diese Unternehmen sind wieder verschwunden, doch die 1993 in Dresden gegründete Solarwatt Solar-Systeme nicht. Die Gründer waren Siliziumexperten aus dem Zentrum für Mikroelektronik in Dresden, die sich in der DDR vor allem mit Mikrochips befasst hatten. Weitere Gründungsgesellschafter waren Udo Möhrstedt und seine Frau Gerti Moll-Möhrstedt, die in der Solarbranche vor allem durch die Firma IBC Solar in Bad Staffelstein bekannt sind. Die Möhrstedts hatten bereits 1982 mit Photovoltaik begonnen.
Solarwatt übernahm später die Zellfabrik der AEG in Heilbronn. Dieter Winkler – dem wir diese Informationen verdanken – gehörte 1993 zum Solarwatt-Personal der ersten Stunde.
Schwierige Phasen durchgemacht
Auch Solarwatt hatte schwierige Phasen. Mit dem Markteinbruch 2012 durchlief die Firma eine Insolvenz in Eigenverwaltung. Die Sanierung gelang, nun ist BMW-Hauptaktionär Stefan Quandt der Hausherr. Neben Solarmodulen ist Solarwatt auch in die Herstellung und den Vertrieb von Stromspeichern eingestiegen. 2014 konnten die Dresdner die Vertriebsteams von Centrosolar in Frankreich und den Niederlanden übernehmen.
Auch bei Solarwatt geht es weiter bergauf, zumal sich die Modulpreise stabilisieren. Wie die anderen Hersteller in Deutschland sind es vor allem monokristalline und Glas-Glas-Module, mit denen sich die Produzenten von der chinesischen Konkurrenz absetzen.
Inzwischen ist Solarwatt auch mit Stromspeichern erfolgreich. In Dresden wurde neben der Modulfertigung eine moderne Fabrik für Speichersysteme etabliert.
Aleo Solar macht weiter
Überlebt hat Aleo Solar, einst als Solar-Manufaktur Deuschland (SMD) in Prenzlau gegründet. 2009 stieg Bosch ein, 2014 wieder aus. Nun gehört das Werk einem asiatischen Konsortium. Die Geschäftslage hat sich stabilisiert, der Umsatz entwickelt sich sehr gut. Wie die oben genannten Beispiele stellt auch Aleo Solar neue Mitarbeiter ein. Prenzlau liegt etwa eine Autostunde nordöstlich von Berlin.
Anders als Chemnitz oder Dresden ist das eine strukturschwache Region, wo es kaum industrielle Arbeitsplätze gibt. Gleiches gilt für Bitterfeld/Thalheim, das nördlich von Leipzig liegt. Dort startete 1999 die Firma Q-Cells mit enormen Kapazitäten, zunächst für Solarzellen, später für Solarmodule. Vom Solar Valley war damals die Rede, Politprominenz von Bund und Ländern gab sich die Klinke in die Hand.
Q-Cells hat überlebt, durch den rettenden Einstieg des koreanischen Hanwha-Konzerns. Die früheren Fabrikhallen sind heute weitgehend verwaist, lediglich das Forschungszentrum und eine Pilotlinie werden weiter betrieben. Immerhin: Sie bilden das technologische Herz der Solartechnik bei Hanwha Q-Cells, einem der zehn weltgrößten Hersteller von Solarmodulen. Auch Q-Cells sucht neue Leute, das Geschäft ist auf Wachstum ausgerichtet.
Zweite Deindustrialisierung
Generell lässt sich sagen: Die Solarbranche startete in den neuen Bundesländern als Hoffnungsträger für zukunftsorientierte Jobs. Sie wirkte der Deindustrialisierung der alten DDR-Wirtschaft entgegen: mit neuer Technologie und enormen Chancen. Doch der politisch motivierte Zusammenbruch der Solarwirtschaft nach 2012 hat dem Osten eine zweite Deindustrialisierung beschert.
Insgesamt hat die Politik deutschlandweit rund 80.000 Jobs in der Solarbranche geopfert, um 20.000 Jobs in der Braunkohle zu stützen. Geschätzt zwei Drittel bis drei Viertel der Arbeitsplätze fielen in Ostdeutschland weg.
Ruinen in Frankfurt (Oder)
Die krassesten Beispiele sind Fürstenwalde und das nahe gelegene Frankfurt an der Oder, unmittelbar an der Grenze zu Polen. Dort ballte sich die Solarwirtschaft mit großen Produzenten wie Conergy, First Solar und Odersun.
Mehrere Tausend Arbeitsplätze gingen nach 2012 den Bach runter, weil die Ministerpräsidenten der Länder den damaligen Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) nicht in die Schranken wiesen.
Faktisch über Nacht kürzte er die Einspeisevergütung unter die Herstellungskosten, sodass die Firmen reihenweise pleitegingen. Chinesische Anbieter konnten sich mit milliardenschweren Staatskrediten über Wasser halten. Heute decken sie 85 Prozent des Weltmarkts ab.
Nach der Krise konsolidiert
Die letzte verbliebene Firma Astronergy (einst Conergy) in Frankfurt (Oder) stellte im April 2019 ihre Maschinen ab. Sie konnte dem Preisdruck aus Fernost nicht standhalten.
Ähnlich lief es bei Solon in Berlin, bei Sovello in Thalheim, bei Sulfurcell (später: Soltecture) in Berlin und am bekanntesten bei Solarworld in Freiberg und Erfurt. Solarworld – einst Deutschlands größter Hersteller von Solarzellen und Solarmodulen – rutschte 2018 in die Pleite.
Auf Wachstum eingestellt
In Ostdeutschland sind heute nur noch wenige Produzenten übrig – immerhin mehr als im Westen der Republik. Sie haben sich konsolidiert und sind auf Wachstum eingestellt. Aus der Solarindustrie entstanden andere Unternehmen, die beispielsweise mit Stromspeichern erfolgreich sind, etwa Senec in Leipzig oder Tesvolt in Wittenberg.
Tesvolt hat gerade die neue Gigafabrik bezogen und will bis Jahresende die erste automatische Fertigung für Gewerbespeicher aufbauen. Die freien Stellen zu besetzen ist eine der schwierigsten Aufgaben, die derzeit zu meistern sind. Denn die Speicherbranche wächst noch schneller als die Solarindustrie.
Inhaltsübersicht
- Von Pleiten und Hoffnungen
- Dr. Paul Grunow/Photovoltaik-Institut Berlin
- Sven Lehmann/Photovoltaik-Institut Berlin
- Ulrich Vollert/Siemens
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „photovoltaik“ (Heiko Schwarzburger) 2019 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | photovoltaik.eu
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