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Bundeshaushalt: „Die Transformation der Industrie darf jetzt nicht beendet werden“

Klima- und wirtschaftspolitisch muss das Jahr 2024 anders laufen als 2023, sagt Sabine Nallinger, Vorständin der Stiftung Klimawirtschaft. Die Transformation der Industrie sieht sie als Chance für Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz, gute Jobs und Wohlstand.

Klimareporter°: Frau Nallinger, in Deutschland gebe es ein klimapolitisches Rollback, erklärten Sie im November auf der Jahrestagung Ihrer Stiftung Klimawirtschaft. Eine Haushaltskrise, ein aufgeschobenes Klimageld und dann Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds – wo stehen wir jetzt? Beim doppelten Rollback?

Sabine Nallinger: Wir müssen doch sehen: Wo sind wir denn hergekommen? Wir hatten beim Thema Klimaneutralität vor vier Jahren richtiggehend eine Aufbruchstimmung. Der Eindruck herrschte, dass neben der Wirtschaft auch die Politik immer mehr verstand, dass die Gesellschaft beim Klimaschutz mitmacht, gerade die jungen Leute.

Dann kamen – angefangen mit der Pandemie – zahlreiche Krisen. Es folgten die Kriege in der Ukraine und in Nahost. Die schnelle Bewältigung der Krisen hatte Priorität. Die Aufmerksamkeit für das Thema Klimaschutz sank.

Derzeit hat die Wirtschaft wirklich hart zu kämpfen mit der sich abzeichnenden Rezession. Dazu kommen höhere Zinsen, die Investitionen schwieriger machen.

Schauen wir auf Europa, beunruhigen mich zwei Dinge besonders. Zum einen zieht es gerade viele Unternehmen mit ihren Investitionen ins Ausland. Gegenwärtig investieren deutsche Unternehmen dreimal so viel außerhalb von Europa wie ausländische Unternehmen hierzulande. Das muss die für den Wirtschaftsstandort Zuständigen nervös machen.

Und was beunruhigt Sie als Zweites?

Wirklich fatal ist die Reaktion der Politik auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds. Das Urteil stellt die Wirtschaft vor große Herausforderungen, die es nun zu lösen gilt. Sonst droht der Wirtschaft die Luft auszugehen.

Hat die Wirtschaft das Thema Klimaneutralität nicht zu sehr auf die leichte Schulter genommen? Künftig reicht es nicht mehr, sich beispielsweise ein effizientes Erdgaskraftwerk zuzulegen oder zu versuchen, die CO2-Emissionen mit zweifelhaften Kompensationen auszugleichen. 2045 muss eine glaubwürdige Null bei den Emissionen stehen. Ist das nicht eine neue Qualität von Klimaschutz?

Rückblickend ging für mich alles 2015 los, als sich die Staatenlenker:innen in Paris zum 1,5-Grad-Ziel bekannten. Bis die Wirtschaft verstand, was das für sie bedeutet, dauerte es ein paar Jahre.

Irgendwann aber wurde klar: Nicht nur Europa, sondern alle bedeutenden Wirtschaftsräume beschäftigen sich mit Klimaneutralität. Das Thema wurde spätestens dann relevant, als gesehen wurde, welche Anstrengungen China unternimmt.

Das Ziel Klimaneutralität wird kurz über lang jede Branche treffen. Die Unternehmen sind dazu im Interesse ihrer eigenen Zukunft auch motiviert.

Bei Ihrer Tagung im November gab es mehrfach den Satz zu hören: Klimaneutralität ist noch kein „Business Case“, also kein Geschäftsmodell. Was ist damit gemeint?

Gemeint ist: Die Mehrkosten für das Erreichen der Klimaneutralität können wir nicht auf die Produkte umlegen, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht bereit sind, das zu bezahlen.

Ist es so einfach?

Schauen Sie auf die Stahlindustrie. Sie hat riesige Beträge in die Hand genommen, um ihre Prozesse in Richtung grüner Stahl zu treiben. Es wird aber mittelfristig mehr kosten, klimaneutralen statt konventionellen Stahl zu produzieren.

Unternehmen müssen diese Mehrkosten tragen. Und da gibt es eben noch keinen „Business Case“, keine grünen Leitmärkte, also keine Unterstützung oder Kooperationen mit den Industrien, die grünen Stahl verarbeiten, wie Automotive, Elektronik und so weiter.

Damit grüner Stahl wettbewerbsfähig wird, erprobt die EU derzeit den sogenannten Grenzausgleichsmechanismus, kurz CBAM. Wird konventioneller CO2-intensiver Stahl nach Europa importiert, muss künftig ein Ausgleichszoll entrichtet werden. Das soll den Kostennachteil des grünen Stahls ausgleichen.

Zudem baut der Bundeskanzler seinen Klimaklub auf, um grüne Leitmärkte zu schaffen. Und schließlich unterstützt die öffentliche Hand die Umstellung auf grünen Stahl mit Milliardenzuschüssen. Ist das alles nichts?

Das alles hilft exportorientierten Unternehmen überhaupt nicht, solange der Stahl, der hier produziert wird, generell teurer ist. Die Unternehmen sind absehbar auf dem Weltmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig. Das ist so. Ganz einfach.

© Philip Nürnberger

Die Bemühungen der Regierung, die Unternehmen zu unterstützen, gehen in die richtige Richtung, aber sie reichen noch nicht aus.

  • Sabine Nallinger ist Vorständin der Stiftung Klima­wirtschaft, einer Initiative von Vorstands­vorsitzenden, Geschäfts­führer:innen und Familien­unter­nehmer:innen. Von 2008 bis 2020 machte sie für die Grünen im Münchener Stadtrat Energie-, Stadt­entwicklungs- und Verkehrs­politik. Sie ist Mitglied im Aufsichts­rat der Vattenfall Wärme Berlin AG, im Fach­beirat des Klima­schutz­instituts Ikem und im Berater­kreis der Fraport AG.
Quelle

Das Interview wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Jörg Staude) 2024 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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