Das zweite Cradle-to-Cradle-Forum zeigt: In den Markt ist Bewegung gekommen
Von einem Dornröschenschlaf kann nicht mehr die Rede sein, vielmehr ist die Bau- und Immobilienbranche hellwach und setzt Cradle to Cradle in ersten Projekten in die Tat um.
Dies wurde beim zweiten Cradle-to-Cradle-Forum von Drees & Sommer am 23.4.2015 im Stuttgarter Schloss Solitude klar: Bauherren, Investoren, Projektentwickler, Finanzierer und Architekten diskutierten über den Zukunftsweg der Branche und stellten ihre Entwicklungen den über 100 Gästen vor. Das Cradle-to-Cradle-(Von der Wiege zur Wiege)-Prinzip beruht auf der Idee, verwendete Rohstoffe immer wieder in der gleichen Güte neu einzusetzen. Alle Produkte sollen so entwickelt werden, dass sie für die Umwelt und die Gesellschaft nützlich sind. Heute wird die Frage nach dem Warum nicht mehr gestellt – die globale Mittelschicht wird sich bis 2030 auf fünf Milliarden Menschen verdoppeln, sie alle brauchen Rohstoffe. Wie die C2C-Idee Realität werden kann, hierfür gibt es zahlreiche verschiedene Ansätze. „Cradle to Cradle kommt unausweichlich“, ist sich Dr. Peter Mösle, Partner der Drees & Sommer AG, sicher. „Die Entwicklung unserer Industrie zu einer Informationsgesellschaft beschleunigt Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft in hohem Maße. Nach C2C gestaltete Immobilien decken die neuen Wertebedürfnisse der Gesellschaft ab, sie bieten mehr Gesundheit, größere konstruktive Flexibilität, einen hohen Beitrag für die Gesellschaft und eine rentable Wertsicherheit – bei Gebäuden der nächsten Generation gibt es sogar ein Wertsteigerungspotenzial von bis zu 10 Prozent.“
Urban Farmers – der Salat füttert den Fisch
Ein Geschäftsmodell ganz im Sinne einer verschwendungsfreien Kreislaufwirtschaft haben die Urban Farmers aus Zürich entwickelt. Auf Brachflächen und Dächern betreiben sie Fischzucht und Gewächshäuser. „Unser Konzept gründet auf einer natürlichen Symbiose von Pflanzen und Fischen. Im Kreislauf reinigen die Pflanzen das Wasser und liefern Nährstoffe für die Fische. Letztlich landet beides frisch auf den Tellern“, erklärt Tom Zoellner, Director Business Development des Start-up-Unternehmens Urban Farmers Zürich, das System. Ein 1.000 Quadratmeter Gewächshaus mit 50 Kubikmetern Wasser produziert jährlich drei bis fünf Tonnen Fisch, 20 Tonnen Gemüse und ernährt 340 Personen mit Fisch, 250 Personen mit Gemüse – frei von Rückständen und Schadstoffen. Diese lokale Nahrungsmittelproduktion macht Schule: Nach dem Pilotprojekt im Dreispitz wird derzeit eine Dachfarm in Den Haag entwickelt. Mit einem IRR (Internal Rate of Return) von 6,7 Prozent verzeichnen die urbanen Bauern auch einen erheblichen wirtschaftlichen Erfolg.
Zeche Zollverein: RAG Montan Immobilien baut RAG Campus – inspiriert durch Cradle to Cradle
Das UNESCO-Welterbe Zeche Zollverein ist bekannt als ein Ort der Architektur, der Kultur und der Kreativwirtschaft. Grund genug für RAG Montan Immobilien, ihren neuen Campus dort und nach C2C-Kriterien zu bauen. „Unser Campus wird ein Rohstofflager. Wir wissen von Anfang an genau, was wo verbaut werden wird. Das Gebäude wird auch ein Kraftwerk, mit dem Ziel ‚Energie Plus‘. Und es wird ein Lebensraum mit gesunden, ästhetischen Stoffen und Materialien“, so Prof. Dr. Hans-Peter Noll, CEO RAG Montan Immobilien. Das Unternehmen versteht sich als Impulsgeber: Flächenrecycling sei der erste Schritt zu nachhaltigem Handeln. Darüber hinaus kooperiert die RAG Montan Immobilien mit dem Naturschutzbund und engagiert sich unter anderem im Stadtbienennetzwerk.
BMW fährt auf der Schnellstraße zur nachhaltigen Produktion
„95 Prozent der in einem BMW i3 verbauten Materialien sind rezyklierbar“, erklärt Manfred Pernitsch, Leiter Planungssteuerung und Beratung, Architektur und Bauprojekte BMW Group. Was mit dem i3 bei Automobilen begann, wird auch bei konzerneigenen Immobilien umgesetzt – beispielsweise beim Ausbau des Forschungs- und Innovationszentrums (FIZ) in München. Bis zu 15.000 neue Arbeitsplätze sollen dort zusätzlich geschaffen werden. Hier wird eine innovationsfördernde Arbeitsumgebung kreiert, welche die Mitarbeiter und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Das Cradle-to-Cradle-Prinzip ist dabei eine wichtige Grundlage innerhalb der strategischen Ausrichtung. Der Fokus liegt auf einer gesunden Arbeitsumgebung, die nicht zur Belastung für künftige Generationen wird und schon heute einen positiven Fußabdruck hinterlässt. Pernitsch ist sich sicher, dass sich dies auch auf die Produkte positiv auswirken wird: „Im Produkt sieht man, in welcher Umgebung es entwickelt wurde.“
Einfach auf dem 3D-Printer ein Gebäude ausdrucken und nach der Nutzung recyceln
„Research by Doing“ ist das Motto des Amsterdamer Büros DUS Architects. Und es tut sich derzeit einiges: Anhand eines Pilotgebäudes aus dem 3D-Drucker werden die Potenziale der neuen Technologie 1:1 erforscht und in der Praxis erprobt. Dabei kommen biobasierte und vollständig rezyklierbare Materialien zum Einsatz. Nach der Nutzungsdauer können diese wiederaufbereitet und erneut in den Drucker gefüllt werden. Dabei sind die Grundstoffe formflexibel. Bis zu fünf Meter hohe Häuserelemente lassen sich mit dieser Technik herstellen. Die Printer können direkt auf der Baustelle installiert werden, sodass ein langer Transport entfällt. Darüber hinaus wird auch an Ästhetik und Wirtschaftlichkeit gedacht: „Nur mit digitaler Produktion lässt sich ein detailliertes, individuelles Design zu vernünftigen Preisen noch umsetzen. So entsteht eine persönliche Architektur mit globaler Haltung“, begründet Hedwig Heinsman, Co-Founder der DUS.
Christoph Ingenhoven – Orte, die begeistern
„Wir haben weltweit Gebäude nach den jeweils höchsten Zertifizierungskategorien realisiert. Wichtig ist uns aber, dass es darüber hinaus ein umfassendes Commitment gibt. Die Herausforderung liegt darin, mehr zu tun, als der Mindeststandard von uns verlangt. Wir nennen das ‚supergreen“, so Architekt Christoph Ingenhoven über seine Ziele. Dass dazu auch Cradle to Cradle gehört, steht für ihn außer Frage. Die Menschheit wächst und mit ihr die gebaute Umwelt. Ingenhoven fokussiert sich vor allem auf die Städte, darauf, Dichte in ihnen besser organisieren zu können und dabei Orte zu schaffen, die langfristig Menschen begeistern.
Ein Licht geht auf – Kreislaufwirtschaft als Business-Faktor
Philips Lighting sieht in der Kreislaufwirtschaft das Businessmodell der Zukunft. Dabei besteht das Konzept des Lichtherstellers aus vier Faktoren: Neue (Leasing)-Geschäftsmodelle, die den Kreislauf ermöglichen, intelligentes Design, Rücklauflogistik mit Herstellerverantwortung sowie Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern. Das „Circular Lighting Design“ umfasst die Möglichkeit, aufzustocken (Upgradeability), Wartung, das heißt Sicherheit sowie eine lange Lebensdauer, Modularität mit standardisierten Bauteilen und kompatiblen Schnittstellen, einfache Demontage und Recycling. Schiphol, Cofely und Philips beispielsweise sind eine Kooperation für Light-as-a-Service mit 3.700 LED-Leuchten in den Terminals am Flughafen Amsterdam Schiphol eingegangen. Schiphol zahlt für das Licht, Philips bleibt Inhaber der Anlage und ist gemeinsam mit Cofely für die Funktion und das Recycling verantwortlich. „Wir gehen neue Wege. Wenn man macht, was man schon immer gemacht hat, bekommt man auch, was man schon immer bekommen hat“, weiß Anton Brummelhuis, Senior Director Sustainability Philips Lighting.
Bei den Produktherstellern brodelt es
„Derzeit wird auf Hochtouren an den unterschiedlichsten C2C-Produkten gearbeitet“, sagt Valentin Brenner, Leiter des Expertenteams Cradle to Cradle bei Drees & Sommer. Konkrete C2C-Bauprodukte gibt es in der Zwischenzeit einige, wurde bei der Veranstaltung klar. Schüco International KG hat sich gemeinsam mit Drees & Sommer und EPEA auf den Weg gemacht, die weltweit ersten Cradle-to-Cradle-zertifizierten Fenster und Fassaden zu entwickeln. Stoll Giroflex ist ein Pionier rezyklierbaren Designs. Bereits 1992 brachte das Unternehmen die erste vollständig kreislauffähige Stuhl-Serie auf den Markt. Heute ist ein Großteil der Produktpalette nach den C2C-Prinzipien konstruiert und zertifiziert. Strähle Raum-Systeme, bekannt für hochflexible Trennwand-, Raum-in-Raum- und Akustiksysteme, setzt auf Cradle to Cradle. Derzeit bereitet das Unternehmen mit Drees & Sommer und EPEA das erste flexible C2C-Trennwandsystem für den deutschen Markt vor. Werner & Mertz setzt Maßstäbe für professionelle Gebäudereinigung. Mit der Produktlinie Green Care Professional bietet das Unternehmen erstmals ein Reinigungsmittel an, dessen Inhaltsstoffe vollständig für den biologischen Kreislauf konzipiert und nützlich für Mensch und Natur sind. Dieses Engagement wurde jüngst mit dem C2C-Zertifikat in Gold belegt. Mit dem Produkt „BioFoam“ hat Synbra den weltweit ersten Hartschaum aus nachwachsenden Rohstoffen auf den Markt gebracht. Der Cradle-to-Cradle-zertifizierte Dämmstoff ist bauphysikalisch mit EPS vergleichbar, jedoch zu 100 Prozent im biologischen Kreislauf rezyklierbar.
Die Entwicklung muss Fahrt aufnehmen
„Dank der Umweltdiskussion hat man in den letzten Jahrzehnten viel verändert. Aber Ökoeffizienzdenken alleine liefert uns keine Lösungen für Rohstoffknappheit und Müllproblematik“, resümiert Prof. Dr. Michael Braungart, Entwickler des Cradle-to-Cradle-Prinzip strebt danach, die Innovationen im Bereich C2C zu beschleunigen. Seine Aufforderung an die Experten, um an Geschwindigkeit zu gewinnen: „Bauen Sie in jedes Ihrer Gebäude ab sofort mindestens fünf C2C-Elemente ein“.
Eine Welt ohne Abfall
Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren