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Energiemärkte sind spekulative Tollhäuser geworden

Dass die Energiemärkte heiß laufen würden, war schon Wochen vor dem Ukraine-Krieg klar. Ein Kommentar von Sebastian Sladek

Mit Preisbremsen und Erlösabschöpfung kriegt die Regierung jetzt nur noch eine Notbremsung hin, die kleine und mittlere Akteure, vor allem aber Energiewende und Klimaschutz beschädigt. Das hätte auch die Groko geschafft.

Um ein Höchstmaß an diplomatischer Höflichkeit bemüht, möchte ich zunächst feststellen, dass die von mehreren Berufspolitikern teils polemisch-populistisch vorgetragene Unterstellung, Energieversorger seien allesamt potenzielle Betrüger, nicht nur wenig hilfreich, sondern definitiv kontraproduktiv ist – und sogar höchst gefährlich, wenn sie mit dem Aufruf zum „vorsorglichen Widerspruch“ gegen zum Jahresanfang drohende Preiserhöhungen verbunden wird.

Dazu später mehr. An dieser Stelle ist zunächst die Feststellung ausreichend, dass derartige Eingriffe in die Geschäftsautonomie, wie sie die Preisbremsen vorsehen, nur zu rechtfertigen sind durch ebendiese Unterstellung, für fast jeden Energieversorger seien Betrug und Geschäftsabschluss Synonyme, Missbrauch sei die Regel und müsse also durch Vorschriften verhindert statt nachgewiesen und geahndet werden.

Eine detaillierte Herausarbeitung erspare ich mir, indem ich es bei dem Hinweis belasse, dass in meinem Ohr das seit Jahrzehnten angestimmte „Der Markt regelt alles und alles zum Guten“-Mantra noch sehr deutlich nachklingt.

Grundsätzlich braucht jedes neue Dogma auch eine neue Terminologie. Wenn der Dogmenwechsel gar nicht erkannt wird, vielleicht nicht erkannt werden soll, dann werden Begriffe kreiert, die sich zunächst und beim oberflächlichen Lesen gut an jene des bisher gültigen Dogmas anfügen.

Doch schon auf den zweiten Blick erzeugen die neuen Schlagworte Stirnrunzeln und Irritation, und schließlich erkennt man, dass damit oftmals genau jene Wirkungszusammenhänge beschrieben werden, die das Markt-Dogma doch eigentlich ausschalten sollte.

Sehr deutlich wurde das nach meinem Empfinden beispielsweise beim „Übergewinn“, den es abzuschöpfen gilt, und nun also auch bei der „missbräuchlichen Preiserhöhung“.

Eine solche „missbräuchliche Erhöhung“ kann es, folgt man den gängigen Markttheorien, doch eigentlich ausschließlich bei illegaler Bildung von Preiskartellen geben, oder übersehe ich da etwas?

Ein Preismonopol auf existenzielle Güter ist aus meiner Sicht per se missbräuchlich – ausgenommen vielleicht, wenn solche Monopole von Exekutivstrukturen demokratischer Staaten ausgeübt werden. Und der Konsumgut-Monopolist erhöht den Preis, solange der vom Kunden bezahlt wird – da sehe ich dann ebenfalls keinen Missbrauch.

Das sah eher nach Wettbewerb als nach Missbrauch aus

Aber wie sieht es beim deutschen Markt für Energielieferangebote aus? Bis Mitte 2021 buhlte dort eine vierstellige Zahl von Anbietern in einem intensiven Verdrängungswettbewerb und ausgestattet mit einer deutlich fünfstelligen Anzahl an Angeboten um die Energiebelieferung von Endkunden.

Mit einer missbräuchlichen Preisgestaltung war damals eher ein „Preisdumping“ gemeint. Für als „zu hoch“, geschweige denn als „missbräuchlich hoch“ empfundene Angebotspreise fanden sich sofort Alternativen in Hülle und Fülle.

Seitdem haben vielfältige Einflüsse zu bis dato nie gesehenen Turbulenzen an den Energiemärkten geführt und diese in unberechenbare spekulative Tollhäuser verwandelt. Bereits infolge dieses Marktgeschehens wurde das Angebotsspektrum erheblich eingedampft. Eine Auswahl, wenn auch auf deutlich höherem Preisniveau, gab es aber weiterhin.

War hier bereits „missbräuchliche Preiserhöhung“ im Spiel? Kartellabsprachen erscheinen angesichts einer Preisspanne von „teuer“ bis „exorbitant teuer“ eher unwahrscheinlich, ganz im Gegenteil zeigt sich hier die ganze Bandbreite möglicher Beschaffungspreise in einem extrem volatilen Markt.

Das Marktgeschehen – zumindest der letzten zwölf Monate – sieht eher nach Wettbewerb als nach Missbrauch aus. Wenn, dann würde ich auch für diesen Zeitraum einen Missbrauchsverdacht eher in Richtung eines möglichen Preisdumpings sehen, zum Beispiel beim Blick auf die Tarifentwicklung dieses Jahres bei dem einen oder anderen sehr großen Grundversorger.

Ein Generalverdacht gegen die Versorger erwächst also wohl nicht aus dem jüngeren beziehungsweise aktuellen Marktgeschehen. Vielmehr scheint der Bundesregierung mittlerweile aufgegangen zu sein, in was für eine unkomfortable Lage sie sich da manövriert hat mit ihrem Bemühen, der „Retter der Energieverbraucher“ zu sein – vor allem im Bemühen um die breite öffentliche Wahrnehmung als ebendieser Retter.

Folgerichtig durfte jeder Einfall, wie halbgar oder aberwitzig er auch sei, in den vergangenen Wochen auf den Tisch kommen. Nicht, dass er dort unter dem kritischen Blick der Öffentlichkeit seziert worden wäre. So manche Vorstellung zeigte sich in ihrer weiteren Ausformulierung erschreckend naiv, holzschnittartig und frei von hinderlichen Kenntnissen, sodass man sich als Branchenakteur gelegentlich nur noch mit Grausen abwenden konnte.

Dem Publikum aus Branchenlaien konnte vieles nicht auffallen, viele Fragen brauchte es sich nicht zu stellen, zumal die Botschaft wiederholt und deutlich wahrzunehmen war: „Liebe Verbraucher, die Politik federt für euch die Energiekostenanstiege deutlich ab, euer Energieversorger organisiert das.“

Modell Gießkanne

Was passiert jetzt genau? Als einziger echter Fakt steht weiterhin nur der Jahreswechsel als der Zeitpunkt fest, ab dem jene Energiekostenanstiege eintreten, auf die man ja reagieren will. Der 1. Januar 2023 ist der einzige Fixpunkt bei den geplanten Bremsmanövern – und das, obwohl das Datum seit Langem als der ideale Beginn einer Bremswirkung bekannt ist.

Eigentlich sollten die Maßnahmen und die Vorgaben für ihre Umsetzung seit Monaten beschlossen und bekannt sein. Dass die Energiemärkte heiß und aus den Fugen laufen würden, war bereits Ende 2021 mehr als nur eine Ahnung und Anfang 2022, schon Wochen vor dem Überfall auf die Ukraine, eine Gewissheit.

Unvermittelt stellt sich ein sehr unbehagliches Déjà-vu bei mir ein: Das späte Erkennen einer energiewirtschaftlichen Problemlage, ein noch späteres Reagieren mit der Ankündigung, erst einmal nachdenken zu wollen – und am Ende reicht es jetzt gerade noch für eine Notbremsung, die kleine und mittlere Branchenakteure, vor allem aber Energiewende und Klimaschutz mit erheblichen Beulen zurücklässt.

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Quelle

Der Kommentar wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (SebastianSladek) 2022 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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