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Solarfabriken statt Pipelines: Europa braucht wieder eine heimische Solarindustrie

Deutschland war einmal Weltmarktführer in der Photovoltaik-Industrie. Dann lief China uns den Rang ab – und dominiert heute unangefochten den Weltmarkt für Solarzellen. Holen wir uns die PV-Industrie zurück! Von Wolfgang Gründinger

Wer alt genug ist, blickt oft nostalgisch zurück: auf die Zeit, als deutsche Unternehmen wie Q-Cells, Solarworld oder Centrotherm zu den Weltmarktführern für Photovoltaik aufstiegen, und auch US-Solarfirmen wie FirstSolar in Deutschland ihre Fabriken errichteten. Die Nr. 1 auf dem Weltmarkt schien wie in Stein gemeißelt.

Dann betrat China die Bühne und lief Deutschland den Rang ab. Ab 2012 machte eine Fabrik nach der anderen zu. Fast die gesamte Solarindustrie wanderte nach China ab.

Heute ist China der unangefochtene Weltmarktführer. „Wir sind zu 100 Prozent von China abhängig“, sagt Mario Kohle, der Gründer & CEO von Enpal, dem Wachstumschampion der deutschen Solarbranche. Über 2.000 neue Solaranlagen pro Monat installiert Enpal zurzeit – made in China. „Dass wir keine eigene Solarindustrie mehr haben, ist eine Bankrotterklärung.“

Ein paar Zahlen: Ganz Europa kommt lediglich auf 1,25 GW Solarwafer und knapp 7 GW Module. Allein die chinesische Firma LONGi produziert 85 GW Solarwafer und 50 GW Solarmodule – siebenmal so viel wie ganz Europa. (Solarwafer sind aus Silizium gesägte dünne Scheiben, die zu Solarzellen weiterverarbeitet werden.)

Im Jahr 2021 kamen knapp 75% aller weltweit verbauten Solarmodule aus China, so die Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA). Bei den Solarzellen, aus denen die Module gefertigt werden, sind es über 85%. Und bei Wafern, wiederum das Vorprodukt zu den Zellen, sind es fast 97%.

China dominiert den Weltmarkt nicht nur. China ist der Weltmarkt.

Wertschöpfungskette für Photovoltaik

Quelle: IEA

Nachfrage und Produktion von Photovoltaik nach Region

Quelle: IEA

Vom Weltmarktführer zum Außenseiter

Die Gründe für den Abstieg Deutschland sind vielfältig. Einerseits kann China kostengünstiger produzieren: dank billiger Arbeit, billiger Energie, größeren Fabriken und gigantischer staatlicher Kreditgarantien.

Aber manche Probleme waren auch hausgemacht: Die Regierung Merkel kürzte 2012 die Einspeisevergütung für Solarstrom drastisch, sodass die heimische Industrie nicht schnell genug die Kosten reduzieren konnte – und dann von der Politik im Stich gelassen wurde. Zugleich machten auch die Unternehmen selbst einige Managementfehler. Beispielsweise schloss einer der damaligen Weltmarktführer einen langfristigen Abnahmevertrag über Silizium – rückblickend ein Verlustgeschäft, als Silizium nicht mehr knapp und teuer war, sondern reichlich und günstig angeboten wurde.

Mit der Abwanderung nach China gingen 80.000 Arbeitsplätze in der heimischen Solarindustrie verloren. Die Politik schaute zu und ließ es geschehen.

Zwar ist die Solarindustrie nicht ganz verschwunden. Einige Hersteller konnten sich halten, so etwa Solarwatt. Die schweizerische Meyer Burger baut in Sachsen ein neues Werk für Solarzellen und -module, teils in der einstigen Solarworld-Fabrik. Allerdings: Auch diese Unternehmen beziehen viele Vorprodukte aus China.

Der Unterschied zu russischem Gas

Es gibt aber einen gravierenden strukturellen Unterschied zur Abhängigkeit von russischem, saudischen oder katarischem Gas und Öl: Fossile Energierohstoffe werden verbrannt und müssen daher laufend importiert werden.

Völlig anders dagegen Solarmodule: Sind die Solarmodule erst einmal in Deutschland auf den Dächern, produzieren sie 30 Jahre lang saubere Energie aus der Sonne – keine weiteren Importe nötig! Jede weitere Solaranlage, egal ob aus China oder anderswo, erhöht also unsere Unabhängigkeit und Souveränität.

Heimische Solarindustrie wiederaufbauen

Fragt man die deutschen Solarinstallateure, loben sie die Verlässlichkeit der chinesischen Partner. Am liebsten, so heißt es, würde man weiterhin aus China bestellen. Man kennt und vertraut den chinesischen Partnern, es gibt gute Qualität zu günstigen Preisen.

Aber es gibt Unwägbarkeiten. Fällt China als Lieferant einmal aus – egal ob aufgrund von Sanktionen, anderer politischer Handelsbeschränkungen, oder weil Fabriken oder Häfen wegen Covid-Lockdowns geschlossen werden – dann steht die Installation von Solaranlagen still. Und damit haben Firmen und Handwerker plötzlich keine Aufträge mehr.

Europa braucht wieder eine heimische Solarindustrie. Und zwar schon rein aufgrund Risikodiversifizierung, jenseits geopolitischer Überlegungen. Also nicht als politische Maßnahme „gegen“ China – sondern als rationale Diversifizierung der Lieferkette.

Ebenso wie Chip- und Batteriefabriken wieder gezielt angesiedelt wurden, so müssen auch Solarfabriken wieder in Europa neu Fuß fassen. Solarenergie ist ein gigantischer Zukunftsmarkt mit unfassbarem Wertschöpfungspotenzial, das Europa sich nicht entgehen lassen sollte. Zugleich würden hunderttausende gut bezahlte Jobs entstehen.

26 führende Unternehmen der europäischen Solarwirtschaft haben nun einen Appell an Robert Habeck gerichtet. Ihr Vorschlag: Der Staat muss die Anschubfinanzierung machen: mit Investitions- und Betriebskostenzuschüssen für einen begrenzten Zeitraum. Die Förderung sollte gekoppelt werden an ein „TopRunner“-Programm nach chinesischem Vorbild: Unternehmen erhalten nur dann staatliche Unterstützung, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen, wie etwa die Erreichung niedriger Produktionskosten, besonders gute Effizienz oder hohe Umweltstandards.

Außerdem muss der Staat in Forschung und Entwicklung investieren. Das ist entscheidend, um langfristig global wettbewerbsfähig zu sein. Der amerikanische Inflation Reduction Act blendet diesen Aspekt völlig aus. Umso wichtiger, dass Europa hier die Führung übernimmt.

Eine Fertigung in Europa kann sich nach dieser Anschubfinanzierung auch selbst wirtschaftlich tragen, so sagt die Unternehmensberatung McKinsey. Sobald nennenswerte Skaleneffekte erreicht sind, kann also auch die Förderung wieder auslaufen.

„Europa hat eine wahnsinnige Chance“, sagt Enpal-Gründer Mario Kohle. „Die Solarenergie erlebt einen weltweiten Boom. Die USA haben das begriffen. Und mein Wunsch ist, dass auch die EU das begreift. „

Die USA haben mit ihrem Inflation Reduction Act (IRA) vorgemacht, wie eine Regierung ihre heimische Solarindustrie unterstützen kann. Auch andere Länder betreiben bewusst eine solare Industriepolitik.

Europa darf nicht länger zaudern. Jetzt müssen wir vom Wollen zum Handeln kommen. Und zwar schnell.

Quelle

Mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Gründinger 2023 / Auch veröffentlicht bei The Pioneer

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