Steuerzahlern drohen Milliardenlasten, weil Deutschland seine Klimaschutzziele verfehlt
Deutschland hat sich in Abstimmung mit den anderen EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die CO2-Emissionen von Gebäuden, Verkehr und Landwirtschaft deutlich zu mindern. Die europarechtlich verbindlichen Ziele werden ohne Trendumkehr in jedem der kommenden Jahre weit verfehlt werden.
Um die Defizite auszugleichen, muss Deutschland bis 2030 für bis zu 60 Milliarden Euro Emissionsberechtigungen von anderen EU-Ländern zukaufen. Sinnvoller wäre es, Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland voranzubringen und so auch Wachstum und Innovationen zu fördern.
Die bisherigen Klimaschutzanstrengungen Deutschlands reichen nicht aus, um die Klimaschutzziele für 2020 sowie für die Jahre von 2021 bis 2030 in den Bereichen Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft zu erreichen. Dadurch drohen dem Bundeshaushalt von 2020 an Jahr für Jahr Belastungen in Milliardenhöhe. Denn die Klimaschutzziele in dem sogenannten Nicht-ETS-Bereich sind EU-rechtlich bindend: Erreicht Deutschland sie nicht durch eigene Maßnahmen, muss es bei anderen EU-Ländern Emissionsrechte in Höhe des Defizits zukaufen. Statt jährlich Steuereinnahmen in Milliardenhöhe in andere EU-Länder zu überweisen, scheint es sinnvoller, wirkungsvolle Maßnahmen zuhause zu ergreifen: für Investitionen in energiesparende Gebäude, für eine schnellere Sanierung des Gebäudebestands, für das Voranbringen der Verkehrswende und für größere Klimaschutzbeiträge der Landwirtschaft. Neben dem Klimaschutz würden so auch Wachstum und Innovation gefördert. Das analysieren die beiden Thinktanks Agora Energiewende und Agora Verkehrswende in einer gemeinsamen Studie.
Die Verpflichtungen Deutschlands, die Klimaschutzziele in den Sektoren Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Teilen der Industrie (also jene Bereiche, die nicht unter den EU-Emissionshandel fallen, deshalb als „Nicht-ETS-Bereich“ bezeichnet) zu erreichen, fallen für die Zeit bis 2020 unter die EU-Effort-Sharing-Entscheidung, für den Zeitraum von 2021 bis 2030 unter die EU-Climate-Action-Verordnung. Diesem EU-Recht hat die Bundesregierung im Rahmen von Entscheidungen des EU-Rats zugestimmt. Es verpflichtet Deutschland, seine Treibhausgasemissionen in den Nicht-ETS-Sektoren bis 2020 um 14 Prozent und bis 2030 um 38 Prozent im Vergleich zu 2005 zu senken. Dabei gilt für jedes Jahr von 2013 bis 2030 eine bestimmte Emissionsobergrenze.
Schon heute steht fest, dass Deutschland sein Klimaschutzziel 2020 im Nicht-ETS-Bereich deutlich verfehlen wird, voraussichtlich um 93 Millionen Tonnen CO2. Das entspricht in etwa den jährlichen CO2-Emissionen aller privaten Haushalte der Bundesrepublik. Um das Defizit auszugleichen, muss die Bundesregierung Emissionsberechtigungen in entsprechender Höhe bei anderen EU-Mitgliedstaaten erwerben. Die Kosten für diese Rechte können 2020 bis zu zwei Milliarden Euro betragen – je nachdem, ob der aktuelle Preis von CO2-Emissionszertifikaten im Rahmen des Europäischen Emissionshandelssystems ETS angesetzt wird oder ob Deutschland dafür einen „politischen Preis“ zahlt, der beispielsweise in der Unterstützung eines anderen Mitgliedstaats bei einem für diesen wichtigen Thema besteht.
Während überschüssige Emissionsrechte anderer EU-Mitgliedstaaten bis 2020 noch reichlich vorhanden sind, weil diese Länder ihre Klimaschutzziele im Gegensatz zu Deutschland sogar übererfüllt haben, wird das Angebot nach 2020 infolge insgesamt schärferer Ziele deutlich knapper werden. Bei Fortschreibung des aktuellen Trends verfehlt Deutschland sein rechtlich verbindliches Nicht-ETS-Klimaschutzziel für die Jahre 2021 bis 2030 um konservativ geschätzte 616 Millionen Tonnen CO2. Der Ausgleich dieses Defizits könnte den Bundeshaushalt im nächsten Jahrzehnt insgesamt mit Kosten in Höhe von 30 bis 60 Milliarden Euro belasten. Bereits für 2021 existiert ein Kostenrisiko von 600 Millionen bis 1,2 Milliarden Euro.
Weil für jedes Jahr eigene Emissionsobergrenzen gesetzt werden, wird auch für jedes Jahr, in dem diese Obergrenzen überschritten werden, ein Nachkauf von Emissionsrechten nötig werden. „Klimaschutz ist daher von jetzt an auch Sache des Bundesfinanzministers“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Unterlassene Klimaschutzbemühungen in Deutschland werden für den Steuerzahler zu einer teuren Angelegenheit.“
Angesichts der drohenden Haushaltsrisiken durch unterlassenen Klimaschutz erscheinen nationale Klimaschutzanstrengungen in einem anderen Licht. Denn im Gegensatz zu Kompensationszahlungen ziehen Klimaschutzinvestitionen in den Verkehr, in Gebäude und in die Landwirtschaft Wachstum und Innovation nach sich. Auch die Haltung der Bundesregierung zu europäischen Regulierungen wie den künftigen CO2-Pkw-Standards, ist hoch relevant: Laxere Klimaschutzstandards auf EU-Ebene führen über die Verpflichtung, die nationalen Klimaschutzziele einzuhalten, automatisch zu einem höheren Bedarf an Emissionsrechten. „Elektrische und verbrauchsarme Fahrzeuge sind nicht nur für den Klimaschutz wichtig. Auch die Steuerzahler werden in Zukunft von ihnen profitieren, weil Deutschland weniger Emissionsrechte bei Nachbarstaaten kaufen muss. Wer bei den in Kürze beginnenden EU-Verhandlungen über neue CO2-Standards für Pkw bremst, riskiert deshalb Belastungen in Milliardenhöhe“, warnt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende.
Die Studie „Die Kosten von unterlassenem Klimaschutz für den Bundeshaushalt“ steht unten zum Download bereit. Sie beschreibt die Mechanismen der Nicht-ETS-Klimaschutzverpflichtungen und schätzt die Kompensationskosten bis 2030 für unterschiedliche Szenarien ab. Die Studie umfasst 48 Seiten und legt in zahlreichen Grafiken und Tabellen die untersuchten Annahmen offen.
- Die Kosten von unterlassenem Klimaschutz für den Bundeshaushalt | Die Klimaschutzverpflichtungen Deutschlands bei Verkehr, Gebäuden und Landwirtschaft nach der EU-Effort-Sharing-Entscheidung und der EU-Climate-Action-Verordnung