Albert Camus: Atombomben nicht ein-schränken, sondern abschaffen!
Albert Camus wäre am 7. November 2013 hundert Jahre geworden. Die Absurdität der menschlichen Existenz spiegelte sich in diesem plötzlichen Tod, der den gerade mal 47 jährigen Camus ereilte. Der Tod ereignete sich am 4. Januar 1960 fast wie ein Straßen-Verkehrsmord. Er wirkt noch gewalttätiger in einer Zeit, in der man ja nicht mehr unbedingt früh stirbt. Camus konnte nicht mehr die Zeit des großen Aufbruchs der Studenten im Mai 1968 miterleben, die auch eine Rehabilitation in Teilen des wichtigsten Buches „Der Mensch in der Revolte“ mit sich brachte. Von Rupert Neudeck
Zehn Jahre später – 1979 – wäre Camus gewiss mit Jean-Paul Sartre zusammen beim Präsidenten Giscard d’Estaing gewesen, um ihn um Aufnahmeplätze für das französische Schiff Ile de Lumiere zu bitten, das damals neben der Cap Anamur im Süd-Chinesischen Meer Flüchtlinge rettete.
Er wäre nur 76 Jahre alt gewesen beim Fall der Mauer und dem Untergang des Kommunismus. Er hätte eine Triumphreise antreten können durch die Länder Ost- und Mitteleuropas, war er dort doch der beliebteste westliche Schriftsteller und Intellektuelle: Albert Camus – nicht Jean-Paul Sartre – hatte in einer großen Rede die Arbeiter auf der Ost-Berliner Stalinallee und anderswo am 17. Juni 1953 lebhaft in der Pariser Mutualite gefeiert.
Er war der wichtigste Freund der Dissidenten von Vaclav Havel über Czeslaw Milosz bis Alexander Solschenizyn. 79 Jahre wäre er bei dem Ausbruch des von uns allen für unmöglich gehaltenen Bosnienkrieges gewesen. Er hätte mit ansehen können, dass die „Pest“ in den Köpfen der europäischen Völker noch nicht zu Ende war. Am Vorabend des Scheiterns der Klima-Umwelt-Konferenz von Kopenhagen hätte er eine große Erklärung zur Rettung der Erde und der „zärtlichen Gleichgültigkeit“ der Natur abgegeben. Denn Albert Camus war mit seinen Erzählungen und dem Bestehen darauf, dass die politische Geschichte nicht alles ist, sondern die Menschen auch im Einklang mit der Natur leben müssen, der erste europäische Vordenker dessen, was wir Öko-Politik nennen…
Vieles wird in diesem Jahr entdeckt, was ihn auch politisch größer erscheinen lässt als den zu seinen Lebzeiten überlebensgroßen Jean-Paul Sartre. Sartre war nicht eigentlich im Widerstand gegen die Nazis, das war Camus. Camus hatte die dürftige Bürokratie der Kommunistischen Partei in Algier schon 1936 bis 1937 zwei Jahre miterlitten, ehe er sich auf Lebenszeit davon abwandte.
Camus war der heftige Verteidiger der Kriegsdienstverweigerer in Frankreich und in Algerien. Er war der glühendste Internationalist im Sinne der Vereinten Nationen, der damals den US-Amerikaner Garry Davis protegierte, der 1948 in Paris seinen Pass abgab um zu fordern, dass es künftig nur noch Streitkräfte der Vereinten Nationen geben dürfe.
Am 6. August 1945 ist es geschehen, die Atombombe wurde zum ersten und leider nicht einzigen Mal auf Hiroshima abgeworfen, drei Tage später auf Nagasaki. In Hiroshima sind es 140.000 Menschen, Japaner, die sterben, in Nagasaki sind es 73.000 Menschen. Albert Camus war damals Journalist bei der mächtigen Widerstandszeitung Combat, was zu deutsch Kampf heißt.
Er ist der einzige unter den damals mächtigen Intellektuellen, die mit größtem Entsetzen begreifen, was der Abwurf der US-.Bombe auf Hiroshima bedeutet. Er resümiert, was die amerikanischen, französischen, englischen Zeitungen alle in eleganten Sprachübungen über die Zukunft, die Vergangenheit, die Preise, die pazifistische Berufung und die kriegerischen Konsequenzen und selbst den unabhängigen Charakter der Atombombe schreiben.
Aber er hat die Konsequenz der Bombe in einen Satz zusammen gefasst: „Die mechanische Zivilisation kommt mit dieser Bombe zum letzten Ausdruck der Barbarei. Man kann also jetzt in einer frühen oder späten Zukunft wählen zwischen dem kollektiven Selbstmord und der intelligenten Nutzung der wissenschaftlichen Eroberungen.“
Zwischenzeitlich – so schreibt Camus weiter – konnten wir uns nur wundern über die Ungehörigkeit und Zumutung, die Entdeckung zu feiern, die sich im Dienst des entsetzlichen Rasens der Zerstörung ausbreitet, derer der Mensch fähig sei.
Dass man uns nur richtig versteht, fährt er fort: „Wenn die Japaner nun nach der Zerstörung von Hiroshima und durch den Effekt der Abschreckung kapitulieren, dann werden wir uns freuen. Aber wir lehnen es ab, eine andere Lehre daraus zu ziehen, als noch energischer die Einrichtung einer wirklichen internationalen Gesellschaft zu fordern. Wo die großen Supermächte nicht mehr die Oberherrschaft und Überrechte über die kleinen und mittleren Nationen haben.“
Bei den furchtbaren Perspektiven, „die sich uns jetzt eröffnen, sehen wir noch deutlicher, dass allein der Frieden den einzigen Kampfeinsatz wert ist, den es bedeutet, ihn zu erreichen. Das ist mehr als ein Gebet, dass ist ein Befehl, der die Völker gegen die Regierungen bewegen muss, unbedingt zu wählen zwischen der Hölle und der Vernunft.“
Es gibt keinen, der so stark gespürt hat, was die Atombombe und die Atomkraft für die Menschheit bedeuten würde. Aber es kam weder nach Hiroshima und Nagasaki (9. August) dazu, dass sich die Menschheit im Angesicht ihres bevorstehenden Selbstmordes dazu aufraffen konnte, diese Bombe aus den Waffenarsenalen herauszuholen und zu zerstören.
Ebenso wenig, wie sich nach Tschernobyl und auch nach Fukushima das klare Bild einer Verseuchung aller Lebensgrundlagen und einer Zerstörung menschlichen Lebens in ungeahnte Zukunftsräume dazu geführt hat, dass es zu einem klaren Abschied an diese Nuklearkraft kommen würde.
Drei Tage nach Hiroshima und Nagasaki, als die beiden Bomben im Auftrag der US-amerikanischen Nation auf die Japaner gefallen waren und dort unermessliche Zerstörungen angerichtet hatten, wagte der damalige US-Präsident Harry S. Truman etwas zu sagen, bei dem uns auch heute noch der Atem stockt. Truman war nicht etwa zurückgetreten nach dieser Hekatombe von menschlichen Leichen, die man sich geballt nicht vorstellen kann. Das, was er sagte, hat Camus wohl nicht mitbekommen, denn er erwähnt es weder in seinen Tagebüchern noch sonst wo. Ich fand es zitiert in dem Buch des argentinischen Schriftstellers Eduardo Galeano „Kinder der Tage“ (Wuppertal 2013).
Harry S. Truman: „Wir danken GOTT, dass er die Bombe in unsere Hände gelegt hat, und nicht in die Hände unserer Feinde, und wir bitten IHN, dass er uns in ihrem Gebrauch seinen Wegen und seinem Willen entsprechend führe“.
Kann man sich eine größere Blasphemie vorstellen, als sich klarzumachen, dass da einer GOTT, den Allbarmherzigen, für den Massenmord an 140.000 plus 73.000 Menschen verantwortlich machen möchte?!
Am 100.ten Geburtstag von Albert Camus fragt man sich, ob wir schon dort angekommen sind, dass wir endlich aus der Verpflichtung, die Bombe abzuschaffen und ihre Exporte und Proliferation zu beenden, entlassen sind?!
Ganz gewiss nicht, wie man aus dem Schicksal so obsoleter Massenvernichtungswaffen ersieht, wie sie die teuflischen Chemie- und Biologiewaffen sind. Die werden jetzt auch mühselig von einem Schauplatz des Bürgerkrieges in Syrien nach Russland geschafft, um dort hoffentlich alle vernichtet zu werden.
Der Besitz der Atombombe wird immer noch im Fall der Siegermächte des zweiten Weltkrieges für selbstverständlich erachtet, während andere Besitzer von diesen Sieger- und Vetomächten des UN-Sicherheitsrates danach für legitimiert gehalten werden, die menschheitsbedrohende Waffe zu besitzen oder nicht, je nachdem die Super-Siegermächte diese Staaten auf der Achse des Guten oder des Bösen markieren. Israel, Pakistan, Indien werden auf der Achse des Guten, der Iran und Nordkorea auf der Achse des Bösen festgemacht.
Das ist – wie Camus damals schon festgestellt hat, ohne diese einzelnen Windungen der Argumentation zu kennen, eine unglaubliche Verharmlosung der Menschheits-bedrängenden Gefahr, die in dieser Waffe selbst liegt. Deshalb bietet der hundertste Geburtstag des großen Schriftstellers und Nobelpreisträgers (1957) die Gelegenheit für uns alle, den Schwur zu erneuern, dass diese Waffen durch eine allgemeine Abrüstung vom Erdreich überhaupt verschwinden muss.
Die Menschheit sollte nach Camus’ Meinung das zur Schlüsselfrage ihrer Zukunft machen. Diese Schlüsselfrage ist auch am hundertsten Geburtstag des großen Moralisten und Humanisten noch nicht beantwortet.
Quelle
Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013