Dalai Lama: „Eine starke Botschaft nach Peking“
Der Friedensnobelpreisträger im Gespräch mit Franz Alt. Noch bevor man ihn sieht, hört man schon sein weltberühmtes, gurgelndes Dalai Lama-Lachen. Ob er in dieser Woche in Wiesbaden vom hessischen Ministerpräsidenten im Landtag begrüßt wird oder ob er in seinem Hotel 100 Exil-Tibeter und Exil-Chinesen gemeinsam trifft oder ob er in Hamburg in der Universität zum Thema „Buddhistische Achtsamkeit“ spricht: Er lächelt nicht nur sein Buddha-Lächeln, er lacht immer lauthals los. Einmal habe ich ihn gefragt, warum er immer lache. Seine Antwort ist typisch für den Papst des Ostens: „Ich muss über den Zirkus, den wir Menschen auf dieser Welt veranstalten, einfach lachen. Wenn ich darüber nicht lache, dann werde ich krank. Lachen ist doch gesund – Oder?“
In dieser Woche war der Dalai Lama wieder in Deutschland. Wie oft er schon hier war, weiß er gar nicht genau. Aber in den letzten 35 Jahren waren es mindestens 35mal. Ich habe 15 Fernsehinterviews mit ihm gemacht. Er sagt: „Deutschland ist meine zweite Heimat.“
Als im Herbst 1989 die Mauer fiel, war ich mit ihm in Berlin. Menschen aus Ost und West hievten ihn gemeinsam auf den „Schutzwall“ und reichten ihm eine brennende Kerze. Unvergesslich was er damals sagte: „So sicher wie diese Mauer verschwindet, so sicher wird auch Tibet eines Tages frei sein. Das fühle ich jetzt hier in Berlin.“
Inzwischen ist der Dalai Lama 76 Jahre alt und Tibet noch immer nicht frei. Aber er ist soeben von seinen politischen Ämtern zurückgetreten. Sein Nachfolger, der Harvard-Jurist Lobsang Sangay, wurde in demokratischen Wahlen von Exil-Tibetern auf der ganzen Welt zum Regierungschef der Exil-Regierung gewählt. Nach 400 Jahren trat eine Theokratie ab. Ohne Blutvergießen. Einfach so! Der Dalai Lama hat freiwillig seine Macht abgegeben. Er ist jetzt nur noch das geistige Oberhaupt der sechs Millionen Tibeter.
In Wiesbaden frage ich ihn, ob er noch immer eine Chance für eine Rückkehr nach Tibet sehe, schließlich lebe er jetzt seit 1959 im indischen Exil. Seine optimistische Antwort verblüfft mich: „Ich glaube an meine Rückkehr. In der gesamten arabischen Welt sieht man ja wie rasch sich heute die politische Situation ändern kann. Ich setze meine Hoffnung auf Chinas Jugend. Auch sie will Demokratie wie die Jugend der ganzen Welt. Ich habe mir die verschiedenen Regierungsformen weltweit genau angesehen. Die Demokratie mit mehreren Parteien, freien Wahlen und der Möglichkeit zum friedlichen Wechsel von Regierungen ist die beste Staatsform. Die Welt gehört nicht den Politikern, Präsidenten oder Regierungschefs, sondern den Menschen, den Bürgern“. Auch deshalb wolle er nicht länger der politische Führer der Tibeter sein. „Ich will zeigen, dass friedlicher Machtwechsel möglich ist. Vielleicht lernen die kommunistischen Führer in Peking daraus.“ Und dann lacht er schon wieder los.
Als der hessische Landtagspräsident ihm einen Korb mit „30 Honigsorten aus ganz Hessen“ überreicht, vermutet er, in seinem nächsten Leben als Honigbiene wiedergeboren zu werden. Aber eigentlich wolle er als Frau wiedergeboren werden, denn Frauen hätten mehr Mitgefühl. „Aber bitte als eine hübsche“ und lacht schon wieder.
Und dann sagt er einige Sätze, die Politiker von links bis rechts mit viel Beifall quittieren. „Politik an sich ist kein schmutziges Geschäft. Politiker sollten aber so handeln wie es Mahatma Gandhi einmal gesagt hat: ehrlich, wahrhaftig, ethisch, transparent und moralisch.“ Wir alle bräuchten, wenn wir eine bessere Welt wollten, mehr Mitgefühl. „Compassion“ – das war sein Schlüsselwort bei seinen etwa zehn Ansprachen in drei Tagen hier in Deutschland.
Auf einem wissenschaftlichen Kongress von Neurologen und Gehirnforschern wurde über Wiedergeburt gestritten. Der als Ehrengast anwesende Dalai Lama meinte schließlich mitten im Wissenschaftsstreit über Pro und Contra ganz pragmatisch: „Lassen wir die Frage einfach offen. Es gibt schließlich wichtigere Probleme auf unserer Erde. Vielleicht werden wir eines Tages alle staunen.“ Der Dalai Lama ist das Gegenteil eine religiösen Dogmatikers. Auf meine Frage, was alle Religionen miteinander verbinde, sagt er: „Das Herz aller Religionen sind Liebe, Güte, Respekt und Toleranz. Und Liebe ist das, was ich von meiner Mutter gelernt habe.“
Seine Eltern waren – in Tibet selbstverständlich – tief religiös. Von ihnen hat er die buddhistischen Rituale des Alltags gelernt: Gesten und Gebete, Besuche in Klöstern, Achtung vor allem Lebendigen. Seine geduldige Mutter hat den Dalai Lama viel stärker geprägt als der oft jähzornige Vater. „Bei mir entstand das Mitgefühl durch meine Mutter, Wenn eine Mutter ihrem Kind die ganze Liebe schenkt, kann es gar nicht genug davon bekommen. Mitgefühl und Liebe sind die Basis für Gewaltfreiheit und Glück.“ Seine Politik der Gewaltfreiheit, für die er den Friedensnobelpreis erhielt, hat nichts mit Gleichgültigkeit oder Passivität zu tun.
Sie erfordert freilich viel Geduld und Vertrauen in die Lernfähigkeit der Menschen. Die heutigen Machthaber in Peking seien von Angst erfüllt. Sie haben Angst vor jeder Veränderung. „Deshalb ist die Menschrechtslage in China so schrecklich. Jede andere Meinung wird brutal unterdrückt. Sie gehen gegen Minderheiten vor, gegen Intellektuelle, gegen Religiöse, gegen Internet-Dissidenten.“
Über westliche Mythenbildung zum Buddhismus und über übereifrige Anhänger im Westen kann der Dalai Lama im kleinen Kreis geradezu sarkastisch werden. Nach einer Pressekonferenz will ein hiesiger Tibet-Fan wissen, wie er rasch zur Erleuchtung kommen könne. „Am besten lassen Sie sich von ihrem Doktor eine Spritze geben“, empfiehlt Seine Heiligkeit. Auch als ein Journalist fragt, ob es ihn störe, dass in der Schweiz lebende junge Tibeter zum Christentum wechseln wollen, bleibt er cool: „Warum soll das stören? Wichtig ist nicht, dass die jungen Leute Buddhisten sind, wichtig ist allein, dass sie glücklich sind.“
Ihm gelingt, was Vertretern christlicher Religionen oft schwer fällt: Spiritualität und Wissenschaft, Emotionalität und Rationalität, Herz und Verstand zu vereinen. Er diskutiert sehr oft auf Augenhöhe mit Vertretern moderner Wissenschaft und ist zugleich in Bezug auf alte buddhistische Rituale ein klassischer Traditionalist. Er löst scheinbare Gegensätze in seiner Person glaubhaft auf. Im abendländischen Denken gilt eher das „Entweder- Oder“ – in den östlichen Weisheiten eher das „Sowohl als auch“. Und was sagt der Dali Lama zu diesen Widersprüchen? Erstens. Er lacht. Und zweitens: „Wir müssen voneinander lernen. Dann finden wir den Weg zur Einheit in der Vielfalt.“
Er hat sich schon als Halb-Marxist bezeichnet. Ja, was ist er denn nun: Kommunist oder Kapitalist? „Am Kommunismus verurteile ich die gewalttätige, totalitäre Gesellschaft und am Kapitalismus die Gier, reicher und reicher werden zu wollen.“ Den Reichtum will er gleichmäßiger verteilen. „Ich denke eher an eine verantwortungsvolle, humane Marktwirtschaft mit einer starken staatlichen Kontrolle.“
Am Abend des Terroranschlags des 11. September 2001 schickte er ein Telegramm an George W. Bush: „ Lieber Herr Präsident, auch Bin Laden ist unser Bruder.“ Bush hat das nicht verstanden. Heute sagt das Dalai Lama: „Ich mag Bush als Mensch, aber seine Politik war eine Katastrophe.“
Seit 50 Jahren lebt er im nordindischen Dharamsala mit etwa 20.000 Tibetern im Exil. Er wohnt – mit Blick auf die Berge des Himalaya -in einem bescheidenen Haus. Der prominenteste Flüchtling der Welt wird von indischem Militär und seiner eigenen Leibwache beschützt. Jeden Morgen um halb vier Uhr steht er auf, um vier Stunden lang zu meditieren und in heiligen Schriften zu lesen. Er streift seine Kunststoff-Flip-Flop über, meditiert über Texte auf uralten Palmblättern und läuft 20 Minuten auf dem Laufband seines Fitness-Geräts.
Auch ohne offizielles politisches Amt wirkt jeder Auftritt des Dalai Lama noch immer politisch. Die chinesische Regierung hat auch diesmal gegen seine Auftritte in Deutschland protestiert wie immer. Er gefährde die Einheit Chinas. Davon war freilich nichts zu spüren als er in Hamburg etwa 100 im Exil lebende Chinesen und Tibeter gemeinsam empfängt. Er freue sich, sagt er dabei, dass Chinas Regierung eine „Politik der Harmonie“ verfolge. Allerdings seien die Mittel dieser Politik falsch. Mit Repression und Verfolgung von politisch Andersdenkenden kann man nicht die Zukunft gestalten. Chinas Politik hat Millionen Menschen ökonomischen Fortschritt gebracht. Aber ohne Freiheit ist auch wirtschaftlicher Fortschritt auf Dauer nicht sicher. Wir Chinesen und Tibeter sind Brüder und Schwestern. Wir sind keine Feinde.“
Ob er auch für seine politischen kommunistischen Gegner in Peking bete, will ich vom Papst des Ostens wissen. „Ich kenne keine Feinde. Es gibt nur Menschen, die ich noch nicht getroffen habe. Natürlich bete ich auch für sie.“ Er erinnert daran, dass der chinesische Reformpolitiker Deng Shao-ping über Tibet gesagt habe: „Wir können über alles reden außer über die Unabhängigkeit.“ Er sei derselben Meinung und schlage deshalb seit Jahrzehnten vor, dass Tibet bei China bleibe, aber mehr kulturelle und religiöse Autonomie erhalte – ähnlich wie Südtirol zu Italien gehöre, aber viel Autonomie habe. „Südtirol ist das Vorbild“ sagt der Dalai Lama. „Ich sende dieses starke politische Signal von Deutschland aus nach Peking.“
Bei seinem diesjährigen Deutschland-Besuch höre ich zum erstenmal eine Relativierung des Tibet-Problems, die mich überrascht: Seine Sorge um die Umwelt und den Klimawandel ist noch größer als die Tibetfrage. „Lieber Freund“, sagt er, „die Umweltprobleme sind noch wichtiger als Tibet. Wir sind als Buddhisten geduldig und können auf unsere Freiheit noch etwas warten, Aber in der Umwelt müssen wir sofort handeln. Die Natur kann nicht länger warten. Das Klima und der Meeresspiegel steigen dramatisch an.“
Am liebsten würde der Dalai Lama in Zukunft „als einfacher Mönch in einem Kloster leben“. Aber dafür sind dann die Erwartungen und die Projektionen von Millionen an „Seine Heiligkeit“ auf der ganzen Welt denn doch zu groß. Viele sehen in ihm einen Erlöser. Das bedrückt ihn. Ein Gott kann sich nicht einfach selbst abschaffen. Selbst bei diesem für Buddhisten ganz ernsthaften Thema tut er, was er am liebsten tut: lachen. Offenbar eine göttliche Tugend.
Quelle
© Franz Alt 2011