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Ingvild Forbord (CC BY-SA)

© Ingvild Forbord (CC BY-SA)

Ein Dorf für die Zukunft

Die Einwohner eines norwegischen Ökodorfes finden über umweltfreundliche Technologien und kollaborativen Konsum zu einer lebendigen Gemeinschaft. Ein Bericht von Nicole Schalin

Während im knapp 100 Kilometer südlicher gelegenen Oslo Mitte April bereits der Frühling in der Luft liegt, entlässt der Winter die von Wäldern und Seen geprägte Landschaft erst langsam aus seinem Griff. Hurdal Økogrend liegt, wenige Kilometer von Hurdals Ortskern entfernt, idyllisch oberhalb des Hurdalsees. 44 der geplanten 175 Wohneinheiten sind bereits bezogen. Noch wirkt das Baugebiet etwas kahl, auch wenn man auf den ersten Blick erkennt, dass es sich nicht um ein normales Neubaugebiet handelt. Die eigens für das Ökodorf entworfenen Modul-Fertighäuser, sogenannte Aktivhäuser, sind mit naturbelassenen Holzpaneelen verkleidet, die Südseiten der Dächer mit Photovoltaik-Paneelen bestückt, und viele Häuser haben einen Wintergarten.

Bei knisterndem Feuer im Specksteinofen serviert Ingvild Forbord (61) Waffeln und Fair-Trade-Kaffee. Sie und ihr Mann Patrik erwarben im Juli 2013 Haus Nr.3 im neu angelegten Elfenweg. Auch die Innenwände des Hauses sind mit Holzpaneelen verkleidet. Ungiftige Farben und offenporige Materialien sorgen für ein gesundes Raumklima. „Dank der Photovoltaikanlage sind wir hier nahezu unabhängig von der öffentlichen Stromversorgung“, erzählt Ingvild. Im Sommer werden die Überschüsse direkt in das kommunale Netz eingespeist, im Winter, wenn die Sonnenstunden in Norwegen gezählt sind, heizen die Ökodorfbewohner zusätzlich mit lokal geschlagenem Holz.

Verbindung von Wohnen, Arbeit und Freizeit

„Eigentlich hatte ich schon während meines Studiums den Wunsch, in einer alternativen Gemeinschaft zu leben. Damals träumte ich wohl noch mehr von einer Wohngemeinschaft, in der alle alles mit allen teilen“, lacht Ingvild. „Meinen Traum habe ich eigentlich nie ganz aufgegeben. Heute weiß ich allerdings zu schätzen, dass wir ein ökologisches Haus schlüsselfertig kaufen konnten und zwischen gemeinschaftlichen Aktivitäten und privatem Rückzug wählen können.“ Für das Aktivhaus im Ökodorf haben Ingvild und Patrik ihr Reihenhaus bei Oslo und die dortige Nachbarschaft aufgegeben. „‚Ökodorf‘ hört sich vielleicht nach Hippie-Idylle an, aber damit hat unser Leben hier eigentlich wenig zu tun. Wichtig für uns war die Verbindung von guter Nachbarschaft und einem nachhaltigen und umweltfreundlichen Lebensstil“, so Ingvild, die für den Umzug nach Hurdal eine Festanstellung als Lehrerin aufgegeben hat. Die Menschheit verbrauche mittlerweile die Ressourcen von eineinhalb Planeten. Deshalb sei es dringend notwendig, alternative Lebensformen zu der vorherrschenden Konsumgesellschaft zu entwickeln, findet sie.

„Hier braucht zum Beispiel nicht jeder seine eigene Bohrmaschine zu kaufen, und viele Dinge werden in Nachbarschaftshilfe erledigt“, erklärt Ingvild „Seit ein paar Monaten haben wir einen Carsharing-Pool mit drei Elektroautos. Außerdem versuchen wir, unseren Bedarf an Lebensmitteln weitgehend lokal zu decken.“ Auf ihrem Handy führt Ingvild eine App vor, die sie in Zusammenarbeit mit dem Global Ecovillage Network entwickelt hat und die das Tauschen und Teilen für die Bewohner der Ökosiedlung noch einfacher machen soll. Hier kann man bekannt geben, dass man zur Kleidertauschparty einlädt, zwei Kilo selbstgepflückte Pflaumen übrig hat, die man gerne weitergeben möchte, oder eine Mitfahrgelegenheit für das Wochenende sucht.

Einer der Grundgedanken ökologischer Siedlungen ist, Wohnen, Arbeiten und Freizeit zu verbinden, um so möglichst autark und unabhängig vom Auto zu leben. Noch funktioniert das in Hurdal nicht für alle Bewohner. Während Ingvild bereits nach kurzer Zeit eine Anstellung in der kommunalen Schule gefunden hatte und dort Kinder von Asylsuchenden unterrichtet, hat ihr Mann Patrik einen täglichen Reiseweg von insgesamt drei Stunden mit Bus und Zug nach Oslo und zurück. „Das ist nicht optimal“, gibt Ingvild zu. Trotzdem ist sie zuversichtlich, denn die Gemeinde hat eine direkte Busverbindung nach Oslo versprochen. Außerdem setzt sie darauf, dass innerhalb der nächsten Jahre viele Arbeitsplätze im und um das Ökodorf entstehen werden.

Aus Nachbarschaft wird Gemeinschaft

Im Gebäude der benachbarten ehemaligen Grundschule entsteht derzeit ein ökologisches Gewerbezentrum, das Räume für Bürogemeinschaften, Kurse und Seminare sowie einen Naturkostladen beherbergen soll. Das erst kürzlich eröffnete Café Kräutergarten mit eigener Bäckerei ist bereits zum Mittelpunkt des ökodörflichen Lebens geworden. „Das gemeinsame Mittagessen am Buffet, das jeden Donnerstag arrangiert wird, verpasst eigentlich niemand“, erzählt Ingvild. „Hier werden Erfahrungen ausgetauscht, Nachbarschaften gepflegt und Arbeitsgruppen initiiert.“ Bei so vielen verschiedenen Menschen, die alle ihre Träume und Ideale mitbringen, sei es wichtig, dass man sich nach und nach besser kennenlerne und langsam zu einer Gemeinschaft zusammenwachse. Auch wenn nicht alles von Anfang an reibungslos läuft, hat das Leben im Ökodorf für Ingvild nichts von seinem Reiz verloren – im Gegenteil. „Das Leben in einer Gemeinschaft ist nichts, das man einfach fertig zusammen mit einem Haus kaufen kann. Es ist mehr ein Prozess, zu dem alle mit ihren individuellen Fähigkeiten beitragen, und ich finde es unheimlich spannend, zu dieser Entwicklung von Anfang an beitragen zu können.“

Ökodorf Hurdalsee – Eine Chronologie

1997
Mehrere junge Familien schließen sich zusammen mit dem Ziel, eine ökologische und weitgehend selbstversorgte Lebensgemeinschaft zu gründen.

2001
Die kleine Gemeinde Hurdal bietet der Gruppe den ehemaligen Pfarrhof mit dazugehörigem Land zur Pacht an. Die Baugenossenschaft Hurdalsjøen Økologiske Landsby SA wird gegründet. Die ersten Häuser in Holz- und Strohballenbauweise werden in Eigenleistung erstellt.

2009
In Zusammenarbeit mit einem Architekturbüro werden Modul-Fertighäuser für das Ökodorf entwickelt. Diese sogenannten Aktivhäuser haben einen hohen Standard in Bezug auf umweltfreundliche Materialwahl, gesundes Raumklima und die Versorgung mit erneuerbarer Energie. Es wird beschlossen, die Häuser auf dem freien Markt zu verkaufen, um wirtschaftliche Tragfähigkeit, aber auch um eine vielfältigere Bewohnerstruktur zu erreichen.

2013
Der Bau der ersten 45 Wohneinheiten mit Wohnflächen von 28 bis 160 Quadratmeter beginnt. Bis Ende 2018 sollen insgesamt 175 Wohneinheiten sowie ein ökologisches Gewerbezentrum fertiggestellt sein.

Fotos: Ingvild Forbord (CC BY-SA)

Ingvild Forbord (CC BY-SA)
Quelle

enorm-magazin 2017 | Nicole SchalinDieser Artikel erschien zuerst bei FUTUREPERFECT und ist lizensiert unter Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International (CC BY-SA 4.0)
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Dieser Artikel ist Teil von FUTUREPERFECT, einer internationalen Sammlung von Geschichten über Menschen, die an einer besseren Zukunft arbeiten. FUTUREPERFECT ist ein gemeinsames Projekt der Stiftung FUTURZWEI und des Goethe-Instituts sowie eines internationalen Partnernetzwerks. Über weitere 100 Geschichten aus über 30 Ländern auf der FUTUREPERFECT-Plattform.

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