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pixabay.com | geralt | Alles, was technisch möglich ist, wird auch erschaffen, selbst wenn noch so viele Regeln dies verhindern wollen.

© pixabay.com | geralt | Alles, was technisch möglich ist, wird auch erschaffen, selbst wenn noch so viele Regeln dies verhindern wollen.

Ethisches Missverständnis – die Digitalisierung ist ein Segen!

Wir kennen die erste technische Revolution, das Schaffen und optimieren von Maschinen. Nun sind wir mittendrin in der zweiten großen technischen Revolution, der Digitalisierung. Wir ahnen kaum die Veränderungen, die durch die Digitalisierung erschaffen werden. Eine Kolumne von Ulf D. Posé

Zumeist interessieren wir uns derzeit nur dafür, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf Automatisierung und Roboterisierung hat. Maschinen werden noch schneller, noch besser funktionieren. Das ist der Hauptgedanke, der uns interessiert. Und wir freuen uns an all´ den Vorteilen, die durch die Digitalisierung entstehen. Vieles ist um einiges leichter und schneller geworden. Bis ans Ende der Welt skypen in Realtime. Unser Wagen meldet sich von allein, wenn er Mängel hat. Wir sind mit der ganzen Welt vernetzt.

Aber jede technische Revolution hat auch das Bewusstsein und das Denken der Menschen verändert. Die bisher noch unbeantworteten Fragen sind, welchen Einfluss die zweite technische Revolution, die Digitalisierung auf das politische, soziale, kulturelle, ökonomische Denken und Verhalten der Menschen haben wird. Bei der ersten technischen Revolution hat sich noch das individuelle Denken durchsetzen können. Die momentane Gefahr ist, dass sich eine digitale Tyrannei entwickelt. Erste vorsichtige Anzeichen zeigen sich schon. Die Ampel als Mast verschwindet in einigen Ländern. Die Signale der Ampel wurden in den Boden verlegt, da die meisten auf ihr Smartphone schauen, und nicht mehr nach oben. Auch die mit Faszination erlebte Roboterisierung des Autos hat ihre Schrecken. Ab wann übernimmt komplett der Computer die Fahrweise? In Dubai wird es im kommenden Jahr das erste Lufttaxi ohne Piloten geben. Inwieweit dürfen oder gar müssen bei der Programmierung des Autofahrens oder des Fliegens die individuellen Wertvorstellungen des Besitzers und ‚Autolenkers‘ oder Passagiers mit programmiert werden? Alles derzeit noch unbeantwortete Fragen, von denen ich nicht weiß, ob sie überhaupt gestellt werden.

Wir mögen und nutzen gern die Vorteile, die die Digitalisierung und Automatisierung bieten. Unser Alltag wird erleichtert, wir können uns noch besser und schneller gegenseitig erreichen. Das Internet bietet uns Wissen, für das wir nicht mehr mühselig in die Bibliothek gehen müssen. Wir verfügen jederzeit über die Musik, die wir gern hören, wir können Bücher jederzeit lesen ohne sie auf Papier gedruckt kaufen zu müssen. Wir klatschen in die Hände, und schon geht das Licht an. Die Vorteile der Arbeitserleichterung sind enorm. Aber Vorsicht! Das Internet zum Beispiel ist eine Goldgrube und ein Misthaufen zugleich. Je länger wir surfen, desto genauer stellen sich unser Computer oder die von uns besuchten Seiten auf uns ein.

Es wird nur noch geliefert, was zu mir passt. So baut der Computer oder die Website ein Bild von mir, das nur noch meinem Profil entspricht. So erfahre ich trotz Internet nicht mehr alles. Und was ich erfahre, ist einseitig auf mich zugeschnitten.

Drei Fragen sollten wir uns stellen:

  • Was wird passieren, wenn Computer das politische, soziale, kulturelle Denken bestimmen, und nicht mehr der Mensch?
  • Was passiert zukünftig mit Ethik und den davon betroffenen Menschen?
  • Was passiert, wenn Computer ‚ahnen‘, dass sie Macht über uns Menschenhaben?

Es könnte sehr gefährlich werden, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, Computer abzustellen. Wenn der Computer entscheidet: „Ich bleibe online, selbst wenn mein ‚Besitzer‘ mich abstellen will.“

Was passiert eigentlich, wenn nicht mehr Menschen als Hacker Computer- und Sicherheitssysteme angreifen, sondern Computer dies selbständig tun? Und sie tun es bereits. Die amerikanischen Wahlen wurden mittels Computerprogrammen via Facebook beeinflusst. Die bundesdeutschen Wahlen wurden von einem Computerprogramm ausgewertet, von dem Linus Neumann, der Sprecher des CCC (Chaos Computer Club), der das Programm analysierte, meinte: „Elementare Grundsätze der IT-Sicherheit werden in dieser Software nicht beachtet. Die Menge an Angriffsmöglichkeiten und die Schwere der Schwachstellen übertraf unsere schlimmsten Befürchtungen.“ Dabei meinte noch im Januar 2017 der Bundeswahlleiter, das sich Wahlen in Deutschland nicht hacken ließen. Er behauptete, dass die Bundestagswahl technisch so abgesichert sei, „dass sie gegen alle Manipulationsversuche geschützt ist“.

Die Macht der Bots

Gefährlich sind die sogenannten Bots, das sind Computerprogramme, die auf sozialen Medien wie Twitter, Facebook, Instagram und anderen nichts anderes tun, als zu manipulieren. Das haben wir schon beim Brexit erlebt. Die Süddeutsche Zeitung schrieb dazu: „Viele der vor der Brexit-Abstimmung und während des US-Wahlkampfs im Netz mit starken Argumenten auffallenden Kombattanten waren nämlich gar keine Menschen, sondern sogenannte Bots, die jedoch wie Menschen agieren. Je nachdem eben als von Menschen gelenkte Agenten oder inzwischenauch als autonom agierende Akteure, die Menschen sogar in Chatsverwickeln können.“ Es ist von rund 15 Prozent die Rede, die Twitter-Accounts perComputer steuern.

Computer üben also inzwischen auch schon Macht aus. Das ist nicht wirklich lustig. Bots sind Computerprogramme, die Propaganda machen. Schon bei den endlosen Debatten um den Brexit, bei der russischen Annexion der Krimhalbinsel, während des Ukrainekonflikts und in der massenhaften Verbreitung von „Macron Leaks“ in Frankreich haben diese Bots aktiv in die Meinungsbildungsprozesse eingegriffen.

Auch unsere Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, wurde nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt mit automatisiertem Hass diffamiert durch sogenannte Hochfrequenz-Bots. Und die AFD profitierte von fremden feindlichen Bots, die die Debatte über Flüchtlinge auf politischen Facebook- Seiten beeinflussten.

Mittlerweile sind diese Botsnetze so clever, dass sie untereinander sogar Kontroversen ausfechten, um nicht als Algorithmen enttarnt zu werden.

Die Sicherheit ist trügerisch

Hinzu kommen Sicherheitsprobleme ohne Ende. Die Entwickler von Sophos, einem britischen Sicherheitsprogramm, haben eine Modelleisenbahn durch Computer steuern lassen. Innerhalb von 15 Minuten nach dem Start gab es mehr als 700 Angriffe auf die Steuerungsanlage, bei denen die Hacker blitzschnell das Standardpasswort überwunden hatten. Chester Wisniewski, der Sicherheitsberater von Sophos meinte dazu: „Wir wissen, dass wir die Steuerungsanlagen schützen müssen, aber noch nicht genau, wie.“. Zum einen geht es darum, wie die Angreifer die Systeme auskundschaften, zum anderen darum, was sie nach einem erfolgreichen Hackerangriff tun.

Während der Olympischen Spiele in Sotschi gab es über 5 Millionen Hackerangriffe auf die Computer der Spiele. Facebook wird durch Hacker mehrere 100.000 Mal angegriffen. Pro Tag!

Die Süddeutsche Zeitung hat sich schon vor zwei Jahren (2015) zu der Behauptung hinreißen lassen: „Was aber derzeit innerhalb der Computerwissenschaften stattfindet, ist eine weitgehende Abkehr von einer am Menschen orientierten Forschung. Der Mensch degeneriert dort zum kontrollierten Objekt als Teil einer elektronisch vernetzten „Welt der Dinge“. Dort ist er intransparenten Automatismen ausgeliefert; seine täglichen Entscheidungen hat er als Daten preiszugeben.“

Die derzeit gefeierte, weltweite elektronische Vernetzung von Automaten und den Nutzern könnte eine außerordentliche, sehr gefährliche Fehlentwicklung sein. Bisher sind selbst die besten Sicherheitsexperten weltweit nicht in der Lage, die Risiken der Digitalisierung und der ihr folgenden Automatisierung auch nur annähernd abschätzen, geschweige denn zu kontrollieren oder gar zu begrenzen.

Was passiert eigentlich, wenn irgendein Algorithmus eines Computers eines Verteidigungsministeriums dem Computer befiehlt, einen vermeintlichen kriegerischen Angriff abzuwehren?

Ist unser Bewusstsein langfristig dem Computer überlegen?

Bisher sind sich einige Wissenschaftler einig darüber, dass es zwar eine künstliche Intelligenz gibt, die zu all´ den vorgenannten Problemen führen kann, jedoch verneinen sie die Frage, ob ein Computer ein Bewusstsein wie ein Mensch entwickeln kann. Noch kann ein Computer keine Vorstellungen, keine Visualisierungen entwickeln. Menschen haben Vorstellungen, können sich erinnern, Bilder im Gedächtnis aufrufen, ja sogar Bilder und Handlungen imaginieren, also Vorstellungen bildhaft im Gehirn erzeugen, die es so gar nicht gegeben hat.

Bisher gibt es noch keine digitalen Speichermedien, die in der Lage wären, ein Bewusstsein zu entwickeln, wie wir es beim Menschen kennen und verstehen. Das macht Hoffnung. Allerdings sagen Wissenschaftler wie der US-amerikanische Computerwissenschaftler David Gelernter oder der Gedächtnisforscher John Searle: „Bisher haben Speichermedien nicht diese chemische physische Beschaffenheit, die man braucht, um Bewusstsein zu entwickeln.“ Aber die Aussage lautet: „Bisher…“

Vielleicht sind wir nur zu blauäugig und ein wenig zu naiv, um nur an die positiven Folgen der Digitalisierung zu denken. Es wäre durchaus tragisch, wenn wir vergessen oder nicht mehr wahrhaben wollen, dass wir bereits heute schon unsere Privatsphäre der Digitalisierung völlig unbewusst geschenkt haben, und damit keine echte Privatsphäre mehr besitzen, ohne es zu bemerken. Wir werden enteignet, und zwar freiwillig, indem wir möglicherweise unsere persönlichen Daten dem Computer zur Verfügung stellen. Und wir wissen schon heute nicht mehr, was er damit macht. Fairerweise muss gesagt werden, dass wir schon lange vor der Digitalisierungunsere Daten freiwillig preisgegeben haben bei Telefonumfragen, Preisspielen in Zeitschriften etc. ohne zu wissen, was man mit unserer Daten anstellt.

Klar, wir können diesen Entwicklungen Einhalt gebieten, wird oft genug behauptet. Wir müssen nur entsprechende Regeln erlassen, und diese streng kontrollieren. Undnoch ist unser Bewusstsein dem Computer überlegen. Noch! Wer so denkt, vergisst,dass es bisher immer so war, dass alles, was getan werden kann, auch getan wird.

Alles, was technisch möglich ist, wird auch erschaffen, selbst wenn noch so vieleRegeln dies verhindern wollen. Vor allem wird es dann interessant und rechtgefährlich, wenn nicht mehr Menschen die Welt regieren, sondern Computer, die inder Lage sind eine eigene Sprache und Algorithmen zu entwickeln, die der Menschnicht mehr versteht, und mit Computern über Algorithmen kommuniziert, die derComputer selbständig geschaffen hat. Dann können wir Computer nur nochabschalten, wenn sie uns denn lassen.

posetraining.de | Ulf D. Posé
Quelle

POSÉTRAINING | Ulf D. Posé 2017

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