Flüchtlinge weltweit
Ägypten will die Flüchtlinge auch nicht, lässt Organisationen aber arbeiten. Zu einem Besuch in Ägypten, auch an der Küste. Von Rupert Neudeck
Ägypten gilt als eines der schwierigen Länder: Alle Hoffnungen, die so enthusiastisch groß waren damals auf dem Tahrir Platz, sind geplatzt und haben sich in Luft aufgelöst. Doch das stimmt so nicht, wenn man die stimmen in Kairo, Alexandria und anderswo aufsammelt. Die Rebellion wird ihre Wirkung behalten, und sei es, dass die Bevölkerung in der Zukunft selbstbewusster auftritt. Das Militärregime hat zumindest eines erreicht, es hat eine äußere Sicherheit hergestellt, die die Wirtschaft in den letzten Monaten wieder boomen lässt.
Die 287.000 Flüchtlinge, die es nach Auskunft des UNHCRs im Lande gibt, sind nur die von der UNO-Flüchtlingsbehörde registrierten, es kann gut sein, dass die wahre Zahl die doppelte, wenn nicht sogar die dreifache Zahl von Menschen umfasst, die sich in dem Land irgendwie herumschlagen. Die Flexibilität der Ägypter bewundert der Europäer schon auf der Fahrt vom Flughafen nach Alexandria. Würden die deutsche Verkehrsordnung morgen in Ägypten eingeführt, würde das wirtschaftliche, soziale, gesellschaftliche und politische Leben total zusammenbrechen. Das Land hat die Begabung, etwas halblegales einfach zuzulassen und leben zu lassen. Das ist die Auskunft, die wir von Flüchtlingsorganisationen bekamen, die entweder ganz im Saft der ägyptischen Gesellschaft ruhen und arbeiten oder auch im Auftrag und mit dem Geld der Flüchtlingsorganisation der UN oder auch der deutschen und anderer Botschaften.
Die Deutschen sind unter den Europäern in der Flüchtlingsarbeit wieder die aktivsten. Sie haben es geschafft, 300 Flüchtlinge im Programm der humanitären Notfälle auszuwählen und nach Deutschland zu fliegen, davon 150 Syrer. Die deutsche Botschaft, genauer, der deutsche Gesandte Christoph Retzlaff hatte die Idee, die 300 in der eigenen deutschen Botschaft mit einem kleinen Umtrunk und Essen zu verabschieden. Das zeugt davon, wie auch deutsche Beamte und Diplomaten manchmal besser wissen als Zuständige zu Hause, was Flüchtlinge brauchen. Sie brauchen nämlich nicht nur die materielle Versorgung Tag für Tag. Vielleicht wichtiger ist für sie die Gewissheit, dass das Land in das sie fliegen, sie gern aufnimmt. Deshalb war das eine wunderbare Aktion dieser Botschaft, die gar nicht genug dafür zu loben ist. Vorher waren schon 57 syrische Palästinenser, die unter unsäglichen Umständen aus dem Damaskus Vorort Yarmouk geflohen waren, unter dem Titel der Wiederansiedlung von Alexandria nach bDeutschland geflogen worden. Danach kamen noch bis an 300 andere Fälle von Syrern dazu, die einfach auf Grund Ihrer Ausbildungs-Situation sich für eine Ansiedlung in Deutschland (engl. re-settlement) eignen. Die einzelnen wurden ausgewählt durch eine Abordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in der deutschen Botschaft in Kairo, was auch zeigt, dass die deutsche Kameralistik in Notzeiten zu einer gewissen Flexibilität in der Lage ist.
Das Fazit aller Gespräche ist aber ein doch eher düsteres: Die Flüchtlinge können sich in der Mitte der Gesellschaft anstrengen wie sie wollen, sie sind in Ägypten von den Behörden und wohl auch von der Mehrheit der Bevölkerung nicht gewollt. Sie leben halblegal, können nie die ägyptische Staatsbürgerschaft erreichen. Die Gespräche in Kairo und Alexandrien endeten alle mit dem Fazit, die beste Hilfe für diese Menschen besteht darin, dass europäische Länder sie aufnehmen, bevor sie den fürchterlichen und möglicherweise mörderischen Versuch machen, sich mit Hilfe der vier Schleuser-Banden an der Küste Ägyptens auf den Weg nach Europa zu machen.
Umso schöner und enthusiastischer bringt uns der Besuch bei Sekem in Stimmung, einer paradiesischen Oase im Elend der Flüchtlinge und der Armut, der fehlenden politischen Perspektive im Nahen Osten und im Maghreb. Sekem ist eine Genossenschaft von Produzierenden, zugleich ein Freundschaftsverband von Menschen, die hier arbeiten, lernen, singen, beten. Sekem heißt eigentlich ein „sonnengemäßes Zusammenleben“, das Wort erfand der Gründer einer Brüderschaft, die aus Produzenten, Lehrenden, Lernenden, Kindern, Babies, Arbeiterinnen und Arbeitern in dem riesigen Compound besteht, den man weit außerhalb von Großkairo dann doch findet. Diese Genossenschaftsidee hatte der Gründer von Sekem, Ibrahim Abouleish bei seinem Studium in Graz /Österreich, wo er auch in Berührung kam mit den Ideen von Rudolf Steiner und den zukunftsweisenden Gedanken einer biologischen Landwirtschaft und eines versöhnlichen Zusammenarbeitens von Menschen verschiedener Herkunft und Religion. Abouleish war und ist ein Genie der Versöhnung. Seine einmal gefasste Idee gibt er mit einer bewunderungswürdigen Sturheit nicht auf. In diesem Produktionsbetrieb, der sich durch die exportierten Produkte von Landwirtschaft und kleiner Industrie ernährt und finanziert, haben die Produzenten und die Arbeiter die gleiche Anerkennung und Wertschätzung wie die Lehrenden und die Professoren der Heliopolis Universität, die Abouleish zur Krönung seines Werkes noch in den letzten vier Jahren gebaut hat. Es war eben nicht allein notwendig die Landwirtschaft auszubauen, das afrikanische Problem, es mussten Industriezweige hinzukommen.
Der eine, der Sekem Farm ausgebaut hat, ist auch für den europäischen Abnehmermarkt beachtlich: es ist der Pharmaziebereich, der auch industrielle herbale Medikamente produziert, aber eben auch Feldfrüchte für die Ernährung der ägyptischen Bevölkerung, verschiedene die Gesundheit stärkende Mineralien und Tees. Der Textilbereich und der Bereich der angewandten Landwirtschaft sind großgeschrieben. Aber der Freundschaftsbund der Menschen kennt auch künstlerische – und ganz wichtig – auch spirituelle und religiöse Bedürfnisse. Es gibt auf dem Gelände der Sekem Farm eine Klinik ohne Betten, aber mit kleiner Chirurgie, in die die umliegende Bevölkerung der Dörfer Zugang hat, in der es wahr- und tageweise auch pro Woche Fachärzte gibt. Es findet sich auf dem Gelände auch ein Amphitheater, es gibt eine Moschee und es gibt eine christliche Kirche. Hier haben alle Platz, aber keinen Platz haben irgendeine Diskriminierung oder rassistische Gedanken und Vorurteile.
Wir trafen hoch angesehene und sehr fähige kleine und größere Organisationen zumeist der Kirchen in Ägypten, die sich sehr lebhaft um die Flüchtlinge kümmern. Ganz besonders zu nennen ist dabei die Anglikanische Kirche, die mitten in Kairo Ihre Kathedrale hat, deren Compound auch ein Versammlungsplatz für afrikanische Flüchtlinge ist. Man muss dazu sagen, dass das alte Problem im Norden Afrikas weiter auch in Ägypten tobt: es gibt einen latenten Rassismus der Araber gegen die Schwarzafrikaner, der auch mal aus der Latenz in eine gewalttätige Aktion umschlagen kann. Die Tatsache, dass so viele afrikanische Frauen, die auf dem Arbeitsmarkt als Hauspflegerinnen beschäftigt werden, sich in zunehmendem Maße bei diesen Organisationen melden und nicht nur über Diskriminierungen klagen, sondern auch über Vergewaltigungen, spricht für dieses Phänomen. Die Anglikanische Kirche stellt in begrenztem Maße Ausbildungsplätze, medizinische Hilfe, besonders auch für Schwangere, Geburtshilfe und Nahrungsmittel zur Verfügung. Dann gibt es mitten in Kairo die St. Andrews United Church of Cairo, die sich den St. Andrews Refuge Services leistet. Dort wird in Gebäuden und Containern Rechtshilfe angeboten und auch Unterricht gegeben und wird in bescheidenem Maße eben auch eine Job Vermittlung angestrebt. Wenn eine Organisation schon mitten in Ägypten lebt und arbeitet, hat sie es leichter, all das zu tun, was die Anglikaner und St. Andrews tun.
Der UNHCR finanziert noch einige kleine Gruppen, die sich um besonders gefährdete Afrikaner kümmern. Wir trafen eine solche Gruppe in Alexandrien, die sich unter Führung eines Süd-Sudanesen, der schon seit 2003 im Land ist, um seine und andere afrikanische Landsleute kümmert. Auch die deutsche Seemannsmission in Alexandrien ist dabei, sich mit Ihren Möglichkeiten einzubringen. Sie versucht aber noch mehr, die deutsche Politik dazu zu bringen und besonders den Bundestag, sich um die Schiffe zu kümmern, deren Kapitäne es auf die eigene Kappe nehmen und die im Mittelmeer retten und dann ihrem Reeder einen beträchtlichen wirtschaftlichen Verlust einfahren. Die ägyptische Polizei ist nicht zimperlich und sperrt in zahllosen Detention Centers an der Küste immer wieder illegale Flüchtlinge ein, die man bei der Ausreise mit einem der Schlepperboote erwischt. Niemals aber nimmt man die Schlepper fest, die an diesem Business sich dumm und dämlich verdienen.
Dort – so besprechen wir mit dem Sohn des Leiters der Sekem Farm, Helmy Abouleish die Lage in Ägypten, könne man sich eine Erweiterung für junge afrikanische Migranten vorstellen, die hier einen Beruf lernen und gleichzeitig arbeiten und das Geld auf die hohe Kante eines Kontos legen, um mit diesem Geld in ihrem Heimat-Herkunftsland ein Gewerbe und einen Shop aufzumachen. Das ist die Idee, die man nur mit Einheimischen zusammen vollenden kann, die ein solches gewaltiges Unternehmen wie Sekem es ist, geschafft haben. Während wir zurückfahren von der enthusiastischen Durchführung einer Menschheitsidee und eines Menschheitstraums, den Sekem darstellt, lesen wir in der Internationale Herold Tribune, wie weit unser östliches und mittleres Europa noch in der Vergangenheit hängt und wieviel wir noch tun müssen, um uns als Brüder und Schwestern einer Weltgesellschaft zu verstehen. Der Bürgermeister der ungarischen Grenzstadt zu Serbien, Asotthalam, Laszlo Turoczkai, erklärt da seelenruhig und ganz offenbar ohne sich zu schämen: Er respektiere den Islam. „Aber Europa ist nicht der Kontinent des Islam. Deshalb haben wir die Muslime ja im Mittelalter bekämpft, um sie loszuwerden!“