Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels
Endlich ein junger Preisträger in der Riege der ehrwürdigen Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels. Selten hatte ich bei der Bekanntgabe des neuen Preisträgers das Gefühl, dass die Jury dieses Jahr jemanden ausgewählt hat, der ins Zentrum der politischen Konflikte passt und uns allen etwas zu sagen hat. Von Rupert Neudeck
Es gab in den letzten Jahren zu viele Pflicht-Kandidaten, so dass sich der Zeitgenosse und alle Grünhelme sehr über diese Auszeichnung freuen können.
Wir Grünhelme kamen mit Navid Kermani über das Flüchtlingslager Khanke ins Gespräch. Fast zeitgleich waren Navid Kermani und Martin Mikat und Max Werlein, die neue Vorstandspitze der Grünhelme im Nordirak, um zu recherchieren, wo die deutschen Hilfsorganisationen sich am besten niederlassen könnten. Kermani kam einige Tage früher aus dem Gebiet zurück und berichtete von einem wilden Flüchtlingslager in Khanke, in dem noch gar nichts geschehen ist und die Flüchtlinge, schwer traumatisiert, noch keine Hilfe bekamen. Sofort waren Martin Mikat und Kermani im Kontakt.
Warum ist die Wahl dieses Mal so treffend? Navid Kermani ist ein Muslim, er ist sogar ein Theologe des Islam, der sein schönstes und dickstes Buch über die Schönheit des Glaubens geschrieben hat. Er ist zugleich ein voller, anerkannter deutscher Bürger, rheinischer Kölner und Fan des 1. F.C. Köln geworden, deren Spiele er am Samstag nie versäumt. Er ist ein Liebhaber der deutschen Sprache geworden, der in diese Sprache bestimmt so verliebt ist wie weiland Marcel Reich-Ranicki, aber ohne dessen beserkerhaften Ausbrüche und handfesten Beleidigungen. Er hat eine Eigenschaft, die wenige Zeitgenossen besitzen, die im Glanz und grellen Licht der Öffentlichkeit stehen: Er ist bescheiden und einfach geblieben. Er wirkt manchmal fast zu bescheiden.
Er hat eine Fähigkeit, die wir in Europa und in Deutschland besonders brauchen. Er liebt seinen Glauben und kann auch gewinnend über den Glauben anderer sprechen. Als wir Grünhelme Anfang Juli 2013 in heller Verzweiflung über das Schicksal unserer wunderbaren entführten Mitarbeiter Ziad Nouri, Bernd Blechschmidt und Simon Sauer waren und ein gemeinsames Gebet aller veranstalten wollten, war Navid Kermani sofort bereit, in der Bosnischen Moschee in Köln ein kleines Kapitel aus seiner Syrien Reportage über eine provisorische Klinik in Damaskus zu lesen.
Unsere drei Mitarbeiter kamen durch Selbstbefreiung wieder zurück. Aber kurze Zeit danach wurde der in Syrien und bei allen Syrern jeder Konfession beliebte und bekannte Jesuitenpater Paolo Dall’Oglio entführt, als er einen Streit in Rakka schlichten wollte, zu dem er aus Sulaimanya gerufen war. Damals hatte Kermani einen so bewegenden, bis zu Tränen berührenden Text über diesen italienisch-syrischen Pater geschrieben, dass wir uns immer noch überlegen, ob wir in dieser Verzweiflung nicht eine zweite Gebetswelle beginnen müssen zur Befreiung von Paolo dall’Oglio?!
Dall‘Oglio ist auch ein Vorbild für uns Grünhelme. Er hat ein altes Eremitenkloster Mar Musa in Syrien wiederaufgebaut, das sowohl Muslimen wie Christen zur Heimstätte, zur Begegnungs- und Gebetsstätte wurde, in der sich alle Religionsangehörigen zu Hause fühlten. Etwas Ähnliches versuchen wir Grünhelme in einem Land zu machen, das immer noch unter den Nachwehen des gigantischen grauenhaften Völkermordes vom Frühjahr 1994 leidet, als bis an eine Million Ruander zerhackt, ersäuft und ermordet wurden und die Heiligtümer der Katholischen Kirche entweiht wurden, weil in Kirchen die Völkermörder oft ein leichteres Spiel hatten, wo ihre Opfer alle an einem Platz waren. Die Grünhelme bauen in Gitarama eine „Kirchenmoschee“, ein neuer Begriff für ein Gotteshaus, das für alle gedacht und geeignet ist, die sich in ihren Sorgen an den einen Allbarmherzigen Gott wenden.
Kermani war fähig zur unnachahmlichen Trauer und Wut, wenn er Menschen traf, die in ihrer innersten Würde beschädigt wurden, und das mehrmals. Er erzählt in seiner Palästina Reportage (in Ausnahmezustand. München 2013 S. 224ff) eine solche Begebenheit.
Als er im April 2005 am Checkpoint vor Gaza steht, der ihm so monströs erscheint wie die innerdeutschen Grenzübergänge, „nur dass die Palästinenser nicht in Autos sitzen, sondern wie Schweine rennend durch die Schleusen geschickt werden, fragt mich ein israelischer Soldat, was ich denn dort verloren habe. Ob ich Tierarzt sei?“. Daraufhin sei er so entsetzt gewesen, dass er ungerecht wurde und seine Rolle verloren habe.
Es sei ihm nicht mehr bei dieser Reise gelungen, „Beobachter zu bleiben und mich einzufühlen in die, über die ich schrieb“. Das war immer, sagt er, die Voraussetzung seiner Reportagen. Das publizistische Ethos der unparteiischen Beobachtung musste er jetzt beiseite legen. „Jetzt aber berichte ich nicht, sondern urteile. Ich sympathisiere nicht mehr, ich bin parteiisch geworden. Deshalb falle es ihm schwer, zu beschreiben. Er denkt sich, es sei doch schon alles gesagt, wozu noch die 18. Geschichte von den palästinensischen Ölbäumen erzählen, die die Siedler unter Aufsicht und Schutz ihrer Armee fällen.
Er spürte es beim Lesen selbst: „Ich schrieb die ganze Zeit auf, was ich gedacht, nicht mehr was ich gesehen habe. Vielleicht ist das auch eine Beobachtung, dass mir das Verständnis verloren gegangen ist. Für ihn als Autor sei das eine Kapitulation“.
Wir erwarten noch ganz viel Unterstützung durch die Begleitung unseres Navid Kermani. Wir freuen uns mit ihm, dass er den Friedenspreis des Buchhandels, den renommiertesten deutschen Literaturpreis bekommen hat. Und wenn er es wagen sollte, mit dem Schal des 1. F.C. Köln in der Paulskirche aufzutauchen, dann sollten wir Grünhelme uns den Grünenhelm aufsetzen und damit wie einst von Klaus Töpfer prophezeit schweigend rufen:
„Je mehr Grünhelme wir draußen haben, desto weniger Blauhelme brauchen wir später!“
Jede Gesellschaft braucht einen, der alle Menschen zusammenführt. So jemand war Paolo dall’Oglio und so jemand ist auch der Navid Kermani, der mit seiner Familie in Köln lebt und sich im Bundestag bei seiner wunderbaren Rede zur Feier des 65 Jahrestages des Grundgesetzes bei den Deutschen bedankte. Er sagte zum Schluss seiner Rede „im Namen von vielen, vielen Millionen Menschen“ Dank an Deutschland, an das freiheitliche bescheidene, gastliche Deutschland, das „beste, das wir kennen“.
Navid Kermani „Ausnahmezustand – Reisen in eine beunruhigte Welt“ – online bestellen!