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Klima: Die Uhr läuft ab

Europa 2013: „Jahrhundertdürre“ und „Jahrhundertflut“ in einem Jahr. Und da wird noch gefragt, woher das kommt? Tote, von den Fluten weggerissen, von Bäumen und Geröll erschlagen, riesige Schäden in der Landwirtschaft, unserer Lebensgrundlage. Sind wir noch immer nicht aufgewacht? Vergessen wir von Jahr zu Jahr, was auf uns zukommt? Worauf warten wir noch? Kommentar von Wolfgang Hingst

Schon 2003 war ein Jahr voller Sturm, Flut und Dürre, vor allem in Europa. 20.000 Menschen starben an den Folgen der Hitze, 10.000 allein in Frankreich. Die Umweltbehörde der Vereinten Nationen (United Nations Environmental Programme – UNEP) bezifferte den Schaden für Europas Landwirtschaft auf zehn Milliarden Dollar. Im selben Jahr entstand durch Überflutungen in China ein Schaden von acht Milliarden Dollar und durch Wirbelstürme im mittleren Westen der USA von drei Milliarden Dollar. Bis zum Jahr 2050, so hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnet, wird die deutsche Volkswirtschaft durch die klimatischen Veränderungen infolge des Anstiegs der Treibhausgase einen Schaden rund 800 Milliarden Dollar hinnehmen müssen.

2005, unter der Regierung Bush, wurden amerikanische Klimaforscher in ihrer Arbeiten behindert und repressiven Maßnahmen ausgesetzt. Der republikanische Kongressabgeordnete Joe Barton ließ das Privatleben und die wissenschaftliche Karriere von drei Klimaexperten durchleuchten, nachdem sie Studien über die globale Erwärmung mit einer steil ansteigenden Kurve veröffentlicht hatten. Ein dreister Anschlag auf die Freiheit von Wissenschaft und Forschung.

Ebenfalls 2005 kamen Experten der International Climate Change Taskforce zu dem Schluss, dass nur mehr zehn Jahre zur Rettung vor der Klimakatastrophe zur Verfügung stehen. Hauptverursacher: das Treibhausgas Kohlendioxid, emittiert aus Verbrennungsmotoren von Kraftfahrzeugen, Öl-, Kohle- und Gaskraftwerken, Industrie- und Gewerbeanlagen, privaten Heizanlagen auf Erdölbasis, verstärkt durch Waldbrände. Dramatische Schlussfolgerung: Die Zeit läuft uns davon, die Uhr läuft ab.

Der Klimaforscher Hartmut Graßl am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg hatte schon 2005 eine globale Erwärmung von bis zu vier Grad Celsius in diesem Jahrhundert prognostiziert und davor gewarnt, dass es Millionen Umweltflüchtlinge geben werde. Die Sommer in Europa würden immer heißer, die Winter regnerischer, Schnee immer seltener. Die Wüsten würden sich bis nach Mitteleuropa ausbreiten. In der Nordpol-Region sei ein Temperaturanstieg von bis zu 10 Grad möglich, so Graßl. Extremes Hochwasser werde häufiger auftreten, anhaltende Wolkenbrüche die Flüsse über die Ufer treten lassen. Im Winter werde es mehr Sturmfluten an der Nordsee geben. Eine Hitzewelle wie im Jahr 2003 werde in 50 Jahren der Normalfall sein.

Für die Wissenschaftler war es schon damals klar, dass der Mensch der Hauptfaktor des dramatischen Klimawandels ist. Die Durchschnittstemperatur war schon vor zehn Jahren um 0,7 Grad gestiegen, womit es auf unserer Erde heißer war als je zuvor in den letzten drei Millionen Jahren. Die Klimaforscher wiesen darauf hin, dass nur noch mit drei Strategien die ganz große Katastrophe abgewendet werden könne: durch Energiesparen, durch Energieeffizienz und durch den 100-prozentigen Umstieg auf erneuerbare Energien in den nächsten Jahrzehnten.

Die Forscher waren sich schon 2005 einig darüber, dass eine stärkere Zunahme der Temperaturen zu extremen Schäden auf der Erde führen werde. Betroffen sei vor allem die Landwirtschaft. Trotzdem bezweifeln dürftige Geister immer noch, dass wir mit einer Erderwärmung konfrontiert sind, die zu einer Klimakatastrophe führen muss. Die Wirbelstürme im Golf von Mexiko sind seit jeher berüchtigt. Ihre vernichtende Kraft hat durch die Klimaveränderungen stark zugenommen. So zerstörte der Hurricane Katrina 2005 New Oreans. Auch die Taifune an der japanischen Küste nehmen von Jahr zu Jahr an Intensität zu.

Nach einer 2013 in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienenen Studie führt jedes Grad an globaler Erwärmung zu einer generellen Erhöhung des Meeresspiegels um rund zwei Meter. Schon jetzt haben wir es mit einer Erderwärmung um ein Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu tun. Das scheint dem Laien nicht viel zu sein, aber dieser globale Temperaturanstieg führt bereits heute zum Abschmelzen der Polkappen und der Gletscher. Das freigesetzte Wasser lässt den Meeresspiegel um rund zwei Meter ansteigen.

Anfang September 2013 erreicht uns dazu ein weiterer dringender Warnruf: Zwölf Wissenschaftler der im Februar gegründeten Earth League – darunter Joachim Schellnhuber, Chef des Potsdam-Institutes für Klimafolgenforschung, Guy Brasseur, Direktor des Climate Service Center Hamburg und Jennifer Morgan vom World Resources Institute in Washington – publizierten die schockierende Erkenntnis, dass sich die Atmosphäre noch in diesem Jahrhundert um vier Grad erwärmen könnte, wenn die Welt auf ihrem bisherigen fossilen Entwicklungspfad (Verbrennung von Erdöl, Erdgas, Kohle) bleibt. Das würde einen Anstieg des Meeresspiegels um acht Meter bedeuten.

Diese Flut bedroht riesige, dicht bewohnte Ebenen an den Künsten, etwa in Bangladesh, Indien, Amerika, Australien und China. Für London, Amsterdam, Rom oder New York hieße es dann „Land unter“. Schon hat der Exodus aus den „versinkenden Paradiesen“ ganzer Inselstaaten im Pazifik begonnen. Die Bewohner der Malediven sparen bereits für den Kauf eines neuen Landes.

Schlimmer noch: „Das Überleben der Menschheit steht auf dem Spiel“. So der aus Kanada stammende umweltpolitische Berater der chinesischen Regierung, Organisator der ersten Weltumweltkonferenz 1972 in Stockholm, Leiter des Umweltgipfels in Rio de Janeiro 1992, UNO-Veteran und Geschäftsmann Maurice Strong. Der Klimawandel sei die „größte Sicherheitsbedrohung überhaupt“. Der „Living Planet Report“ des WWF aus dem Jahr 2008 kommt zu folgendem Resümee: „Sollte unser Anspruch an die Erde weiterhin in diesem Maße steigen, bräuchten wir im Jahr 2035 zwei Planeten, um unseren Lebensstil aufrechtzuerhalten.“

2010 hatte sich die Weltgemeinschaft auf der UN-Klimakonferenz im mexikanischen Cancún auf das Ziel geeinigt, die Erderwärmung nicht über zwei Grad Celsius steigen zu lassen, was einen Anstieg des Meeresspiegels um vier Meter bedeuten würde. Schon mit dieser Erwärmung würden sich die Ökosysteme weltweit nachhaltig verändern, Dürren und  Extremwettereignisse weiter zunehmen. Das würde nicht nur zu riesigen Überschwemmungen führen, sondern auch zu enormen Schäden in der Landwirtschaft und damit zu einer extremen Gefährdung der Lebensmittelversorgung.

Weit und breit sind die Anstrengungen, den Treibhausgasausstoß von Industrie, Landwirtschaft, Verkehr und Siedlungen zu drosseln, viel zu wenig ambitioniert. Im Gegenteil. Aus internationalen Konkurrenzgründen versucht sich ein Teil der Wirtschaft von einschneidenden Maßnahmen loszukaufen. Schon bald, 2050, werden vier Milliarden Automobile weltweit ihre schädlichen Abgase in die Erdatmosphäre pusten. Außerdem werden Klimaschutzbemühungen ständig torpediert: Das International Forum on Globalization (IFG) veröffentlichte 2012 einen Report mit dem Titel „Faces Behind a Global Crisis“, aus dem hervorging, dass die Oligarchie der US-amerikanischen Ölmilliardäre die Bemühungen der Vereinten Nationen zum Klimaschutz paralysiert.

Schon 2007 hatte Greenpeace publiziert, dass in der Energiepolitik Konzerninteressen die notwendigen  Reformen  für einen  effektiven Klimaschutz blockieren (Schwarzbuch Klimaschutzverhinderer – Verflechtung zwischen Politik und Energiewirtschaft). In der Studie wird aufgezeigt, welche Politiker bei den einschlägigen Konzernen auf dem Lohnzettel standen, unter ihnen die energiepolitischen Sprecher der damaligen Regierungsparteien SPD und CDU/CSU, mindestens zwölf Landespolitiker, 28 ehemalige Politiker, darunter acht ehemalige Bundes- oder Landesminister wie die Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, SPD, und Michael Glos, CSU. Horst Seehofer, heute Bayerischer Ministerpräsident, damals Minister für Landwirtschaft und Verbraucherschutz, übte von 2002 bis 2004 Aufsichts- und Beiratsmandate bei Tochterfirmen des Stromriesen E.ON aus. Das immer noch aktuelle Engagement des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder bei der russischen GASPROM ist bekannt.

Im selben Jahr 2007 sickerte durch, dass der Ölmulti Exxon Wissenschaftler kaufen wollte. Es war das Jahr, in dem 2.500 Forscher und Regierungen von über 100 Ländern den  UNO-Bericht über das Weltklima publizierten, der die ganze Welt in Schrecken versetzte.  Da meldete der „Spiegel“, das konservative American Enterprise Institute (AEI) wolle 10.000 Dollar an Wissenschaftler zahlen, die den Ergebnissen des Uno-Ausschusses zum Klimawandel (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC) entgegentreten.

Den Wissenschaftlern der Earth League zufolge ist es möglich, das Zwei-Grad-Ziel noch einzuhalten. Eine schnelle weltweite Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung für alle ohne fossile Rohstoffe, die so genannte „Große Transformation“,  sei technisch und ökonomisch machbar. Explizit verweisen die Forscher auch auf den bisherigen Erfolg und das Potenzial der deutschen Energiewende. Um das Zwei-Grad-Ziel zu halten, sei jedoch schnelles Handeln erforderlich. Das Zeitfenster, in dem das Ziel noch zu erreichen sei, schrumpfe schnell. Atomenergie ist jedenfalls keine Lösung. Der einzige Ausweg aus der Krise ist die Verwendung von erneuerbarer Energie auf der Basis von Sonne, Wasser und Wind in dezentraler Form.

Quelle

Wolfgang Hingst 2013Lange Zeit Mitglied der Argumente-Redaktion des ORF. Er hat sich unter anderem in seinen Büchern “Paradies oder Weltuntergang” (Zürich, 2003) und “Botschaften aus der Zukunft” (Petersberg, 2011) mit dem Thema auseinandergesetzt.

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