So ist unsere ERDE noch zu retten 1/3
HÖRZU Zukunftsreport 1/3: In der ersten Folge unserer neuen dreiteiligen Serie beschreibt Umwelt-Experte Franz Alt, wie wir Alternative Energien nutzen können.
Anna Holzamer macht sich Sorgen um ihre Zukunft. Das hat die 19-jährige Abiturientin auch ganz laut ausgesprochen: Als sie ein Praktikum beim Umweltschutzverband BUND absolvierte, wurde sie in die Talkshow von Maybritt Illner eingeladen und von der Moderatorin gefragt, was sie vom 50-Milliarden-Konjunkturpaket der Bundesregierung halte. Anna Holzamer sagte, dass diese Schulden die Zukunft ihrer Generation belasten, und wollte von den anwesenden Politiker wissen, wie sie diese Schulden und den Klimawandel gegenüber künftigen Generationen verantworten könnten? Die Abiturientin hatte sehr präzise gefragt –erhielt in der Sendung abe nur ausweichende Antworten.
Wir wollen in diesem HÖRZU-Zukunftsreport Antworten auf die Fragen der jungen Generation von heute finden: Wo sind die Arbeitsplätze von morgen? Wie sieht die Welt durch den Klimawandel im Jahr 2050 aus? Gibt es auch in Zukunft ausreichend alternative Energien? Können wir ohne Öl und Benzin noch Auto fahren? Haben wir auch morgen noch genug Nahrung und Wasser?
Wenn wir auf diese Fragen der Jugend keine Antworten finden, könnte der soziale Frieden in Deutschland und Europa schneller vergehen als die Eisberge in der Arktis schmelzen. Noch leben wir in einem System kollektiver Verantwortungslosigkeit gegenüber unseren Kindern und Enkeln. Wenn es am Tag, an dem Sie diese Zeilen lesen, eine sozial und ökologisch realistische Tagesschau gäbe, dann müssten meine Hamburger Kollegen heute Abend unter anderem darüber berichten, dass wir auch heute wieder viele Tiere und Pflanzen ausgerottet, tonnenweise fruchtbaren Boden vernichtet und jede Menge Treibhausgase in die Luft geblasen haben (siehe Kasten Seite 10). Dasselbe machen wir morgen und übermorgen, jeden Tag der nächsten Woche und des nächsten Jahres. An einem Tag verbrennen wir heute an Kohle, Gas und Öl, was die Natur in einer Million Tagen mühsam angesammelt hat. Wir verbrennen und verbrauchen die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder.
Deshalb wird es global immer wärmer, deshalb schmelzen die Gletscher und steigt der Meeresspiegel, deshalb nehmen die Stürme zu, und immer mehr Menschen müssen als Klimaflüchtlinge ihre Heimatländer verlassen. Die UNO schätzt, dass bis 2020 etwa 200 Millionen Menschen als Umweltflüchtlinge über unseren Planeten irren werden. Schon heute ist es global wärmer als je zuvor in den letzten 450.000 Jahren. Doch bis 2100 könnte es nochmal um vier bis acht Grad wärmer werden, prophezeien die Wissenschaftler – wenn wir alles verbrennen, was heute noch im Boden ist. Sind wir noch zu retten? Kann Anna Holzamer und ihre Generation noch auf eine gute Zukunft hoffen?
Viele Eltern-Generationen wünschten bisher: „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir“. Ist solch ein Elternwunsch heute überhaupt noch realistisch? Oder müssen die jungen Leute erst eine „68-er Revolution“ anzetteln, bis die heute Verantwortlichen endlich aufwachen? Schließlich haben wir diese Welt nicht von unseren Eltern geerbt, sondern sie von unseren Kindern geliehen. Und nun wollen wir ihnen als Heimat ein überhitztes Treibhaus hinterlassen? Im Treibhaus lebt es sich nicht gut. Doch noch immer gilt der Satz: Wir wissen zwar schon lange, was wir tun, doch wir tun immer noch nicht, was wir wissen.
Noch haben wir jedoch die Chance, wenigstens das Schlimmste zu verhindern. Darum soll es in diesem Zukunftsreport gehen. Die Rettungsmaßnahmen kommen zwar langsam, aber sie kommen. Darüber wird freilich deutlich weniger berichtet als über die spektakulären Katastrophen. Das Fällen eines Baumes hat eben schon immer mehr Lärm gemacht als das Wachsen eines Baumes. Fällen geht plötzlich und laut, aber Wachsen geht leise und langsam und weniger spektakulär. Doch wo Gefahr ist, wächst ja bekannt bekanntlich das Rettende auch.
Die alles entscheidende Frage für die Zukunft des Lebens ist die Energiefrage. Ohne Energie gibt es kein Leben, keinen Fortschritt, keinen Wohlstand und keine Überwindung des Hungers. Doch die heutigen Energiequellen gehen in den nächsten Jahrzehnten allesamt zu Ende. Hinzu kommt, dass Kohle, Gas und Öl den Treibhauseffekt verursachen, Atomkraftwerke gefährlich sind und niemand weiß, was mit den nuklearen Abfällen geschehen soll. Also brauchen wir so rasch wie möglich den hundertprozentigen Umstieg auf erneuerbare, umweltfreundliche, ewig vorhandene und dazu noch preiswerte Energiequellen.
Bei diesem dringend notwendigen Umstieg gab es in den letzten Jahren größere Fortschritte, als allgemein bekannt ist. Wir Journalisten haben über diese positiven Entwicklungen bisher einfach zu wenig berichtet. Kaum jemandem ist beispielsweise bewusst, dass das Bundesland Schleswig-Holstein schon in absehbarer Zeit mehr Ökostrom produzieren wird, als alle seine Bürger zusammen verbrauchen. Kaum jemadn weiß, dass es schon so genannte „grüne Städte“ gibt, deren Stadtwerke bereits heute ausschließlich erneuerbare Strom im Angebot haben (siehe auch Infokasten unten).
Ich weiß, worüber ich schreibe. Denn wir haben seit 18 Jahren zwei Solaranlagen auf unserem Hausdach in Baden-Baden. Eine produziert Wärme mit der Sonne und die andere Solarstrom. Auf einem Altbau aus den Siebzigern des letzten Jahrhunderts gewinnen wir damit doppelt so viel Strom wie eine durchschnittliche deutsche Familie verbraucht. Und ich kann Ihnen versichern, dass uns die Sonne in diesen 18 Jahren noch nie eine Rechnung geschickt hat. Für die nächsten Wochen ist zusätzlich eine Pellet-Anlage bestellt – Holzpellets sind gespeicherte Sonnenenergie. Wir sind dann komplett energieautonom und nutzen zur Strom- und Wärmegewinnung ausschließlich umweltfreundliche Energie ohne Treibhausgase zu produzieren. Und die Sonne wird noch etwa fünf Milliarden Jahre die Energie zur Verfügung stellen, die alle Menschen auf dieser Erde insgesamt benötigen.
Eigentlich gibt es gar kein Energieproblem, wenn wir uns nur ein klein wenig intelligenter verhalten würden als bisher. Denn die Sonne schickt uns jeder Sekunde unseres Hierseins 10.000-mal mehr Energie als zurzeit alle Menschen verbrauchen. Die Lösung des Energieproblems steht am Himmel. Warum aber stehen die meisten deutschen Dächer noch völlig ungenutzt in der Gegend herum? Warum mehmen wir das Angebot von oben so wenig an? Warum holen wir Öl aus Arabien, Gas aus Sibirien und Uran aus Australien, aber die heimische Sonne, den heimischen Wind, die heimische Erdwärme, die heimische Wasserkraft und die heimische Bioenergie nutzen wir kaum?
Der Freiburger Solararchitekt Rolf Disch hat bereits 60 Häuser gebaut, die allein mit Solaranlagen doppelt so viel Strom produzieren wie die Bewohner benötigen. Das ist für jeden umsetzbar: Jedes Haus kann in Zukunft seinen Energie selbst organisieren. Millionen Hausbesitzer, Landwirte, Handwerker und der Mittelstand sind die Träger der künftigen umweltfreundlichen, autarken Energieversorgung. Der hundertprozentige Umstieg auf Erneuerbare Energie wird in Deutschland zu einer Million neuer Arbeitsplätze führen und in der Europäischen Union sogar zu fünf Millionen Stellen. Das hat eine Berechnung der Europäischen Kommission in Brüssel ergeben. Neue Energie bedeutet viele neue Arbeitsplätze. Worauf warten wir als o noch?
Uns stehen alle Möglichkeiten offen: Eine Studie der Universität Osnabrück hat beispielsweise ergeben, dass sich Städte wie Osnabrück oder Münster ihren Privatstrom zu 72 Prozent über die Sonne besorgen können. Die meisten deutschen Dörfer erreichen sogar einen Wert von 100 Prozent, weil es auf dem Land mehr Dachflächen gibt als in Städten. Die ersten Kommunen stellen Solarkataster ins Internet, über die Bürger sich informieren können, ob ihr Hausdach für Solarenergie geeignet ist oder nicht.
Deutschland ist erneuerbar. Europa ist erneuerbar. Die Welt ist erneuerbar. Es gibt kein einziges Land auf dieser Erde, das sich nicht zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie versorgen kann. Darum: Bürger, zur Sonne, zur Freiheit! Anna Holzamer kann noch hoffen. Wenn wir schnell handeln. Jetzt!
Downloads:
HÖRZU Zukunftsreport: So ist unsere ERDE noch zu retten 1/3
HÖRZU Zukunftsreport: Stadt von Morgen 2/3
HÖRZU Zukunftsreport: Arbeitgeber Umwelt 3/3
Quelle
Franz Alt | Erstveröffentlichung HÖRZU Nr. 42/2009