Solidarischer Klimaschutz
Der in unserer Kultur als selbstverständlich empfundene Anspruch auf gutes oder richtiges Verhalten, sprich unsere Lebensart, wird auch als Anstand bezeichnet. Schließlich hat sich unsere Kultur über die Zeit entwickelt und Anstand steht sinnbildlich für Zivilisation und soziales Miteinander. Von Matthias Hüttmann
Axel Hacke schreibt in seinem Buch „Anstand in schwierigen Zeiten“ auch davon, dass insbesondere in den „sozialen“ Netzwerken der Anstand bisweilen abhanden gekommen ist. Ebenso sei Anstand ein schwammiger Begriff und viele implizieren damit zuerst Manieren. Hacke geht es aber vor allem um den Verlust von Respekt voreinander.
Im Kontext mit dem Klimaschutz hat Anstand demnach eine ganz wichtige Funktion: Den respektvollen Umgang mit allen heute und zukünftig auf dem Planeten lebenden Spezies. Deshalb ist es auch schwierig von unserem Planeten zu sprechen. Aber gleichgültig ob wir ihn zu unserem Besitz deklarieren oder nicht, müssen wir ihm respektvoll gegenübertreten. Das Fazit kann deshalb nur lauten: wir sollten uns als anständige Kulturwesen respektvoll verhalten. Anstand ist der Maßstab und der ist nicht verhandelbar.
Die Welt wächst nicht mit
Zurück zum Klimaschutz: Bei Energiewende denken viele vor allem an Kohleverstromung versus Photovoltaik. Aber es gibt auch andere Schauplätze. So geht man heute davon aus, dass nicht nur der Energiebedarf, sondern auch der Ressourcenbedarf weltweit bis 2030 mächtig ansteigen wird. Die Schätzungen liegen zwischen 35 % und 40 % gegenüber 2010. Dieser immense Materialverbrauch ist auch klimarelevant, schließlich entfällt ein großer Anteil der direkten industriellen Emissionen auf die Gewinnung und Verarbeitungen von Materialien wie Stahl, Zement, Plastik, Papier und Aluminium. Stahl und Zement haben den größten Anteil beim Ausstoß von Klimagasen und gelten daher als einer der zentralen Ansatzpunkte für die CO2-Verminderung.
Was tun?
Sollte man den Austausch ineffizienter technischer Geräte vorantreiben und somit ein weiteres Mal Material- und Energieaufwände wie auch Emissionen in Kauf nehmen? Zwar sind die klimarelevanten Auswirkungen dieser zusätzlich erforderlichen Materialströme noch nicht ausreichend bekannt, aber dass jede Substitution eines Bestands, ob Fahrzeug, Gebäude oder Gerät mit einer Verarbeitung von Rohstoffen einhergeht, das wissen wir wohl. Wie erst kürzlich in unseren News geschrieben, wird unser Wirtschaften nur langfristig funktionieren, wenn wir zu einer Kreislaufwirtschaft kommen und speziell Cradle to Cradle-Verfahren zu größerer Bedeutung gelangen. Auch muss das Schließen des CO2-Kreislaufs durch Nutzung nachwachsender Rohstoffe nicht nur bilanziell, sondern ganzheitlich erfolgen. Und für uns selbst geht es auch immer mehr darum, sich etwas bewusst nicht zu leisten und sich von Dingen nicht allzu sehr abhängig zu machen: Stichworte CO2-Fußabdruck und Smart Home.
Jenseits der Industriestaaten
Wie Menschen Klimawandel wahrnehmen, ist auch entscheidend dafür, in welcher Weise sie bereit sind, entsprechende Handlungsstrategien tatsächlich umzusetzen. Das wiederum hängt stark von dem jeweiligen sozialen und kulturellen Umfeld ab. Die sozialen Dimensionen von Klimaschutz und Klimawandel werden oft unterschätzt, aber nur mit einem globalen Wissen und einer Art Aufklärung können wir verhindern, dass Menschen mit immer größerer Geschwindigkeit die natürlichen Ressourcen der Erde verbrauchen. Eine Trendumkehr ist auch eine Frage der Bildung. Der Schutz der biologischen Vielfalt kann nur durch ein Bewusstsein, das von Respekt geprägt ist, erfolgreich sein. Trennt man Klimaschutz von Artenschutz bzw. betrachtet man den sozialen Aspekt unabhängig vom technologischen Wandel, wird der Gesamtzusammenhang nicht sichtbar. Klimaschutz ist nur durch solidarisches Handeln möglich. Nimmt jeder das, was er glaubt sich verdient zu haben, driftet nur alles weiter auseinander. Es bedarf nicht nur energetisch-industrieller, sondern vor allem sozialer Transformationsprozesse. Um es einfach zu formulieren: Ohne Gerechtigkeit kein Klimaschutz, ohne globales Miteinander keine Dekarbonisierung in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“ hat deshalb auch von der Bundesregierung verlangt, dass diese zur Zusage der Industriestaaten stehe, die armen Länder beim Klimaschutz und bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu unterstützen und die internationale Klimafinanzierung zu erhöhen.
Social Disruption
Nur eine solidarische, gerechte Welt kann klimabewusst handeln. Visionäre Versprechungen wie „durch Sharing Economy wächst der Globus zusammen und Effizienz ist der maßgebliche Hebel für notwendige Transformationen“ vernebeln nur das Sichtfeld. Der Anstand bleibt dabei schnell auf der Strecke. Nur wenn Disruption sozialökologisch unterfüttert wird werden wir es schaffen, auf breiter Basis Utopien zu leben. Es müssen alle und nicht nur elitäre Geschäftsmodelle vom Wandel profitieren. Anstand und Gerechtigkeit sind die Schlüssel zum Erfolg und ohne soziale Gerechtigkeit gibt es keinen Erfolg im Kampf gegen den Klimawandel.
Quelle
Der Bericht wurde von
der Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (Mattias
Hüttmann) 2018 verfasst –
der Artikel darf nicht ohne Genehmigung von Matthias Hüttmann weiterverbreitet werden! SONNENENERGIE 02/2018 | Inhaltsverzeichnis zum Download