Klimaflucht: Klimawandel als Auswanderungsgrund?
Ein US-Forschungsprojekt zeigt, in welchen Erdregionen es sich trotz Erwärmung noch gut leben lässt. Aber auch die empfohlenen Länder sind nicht sicher vor Katastrophen – sie gelten nur als besser vorbereitet.
Die Vorstellung, die Koffer zu packen und der Heimat Lebewohl zu sagen, weil sie klimatisch nicht mehr lebenswert ist, wirkt wie ein Szenario aus einem Katastrophenfilm. Doch sie ist in manchen Weltregionen keine Fiktion mehr.
In Europa könnte vor allem die Mittelmeerregion betroffen sein, wenn sich dort Hitzerekorde, Dürren und Waldbrände, aber auch andere Extremereignisse wie Überschwemmungen weiter so entwickeln wie aktuell. Bereits jetzt häufen sich in Ländern wie Griechenland, Italien und Spanien Hitzewellen mit Spitzentemperaturen jenseits von 40 Grad.
Die Europäische Umweltagentur warnt vor einem solchen Szenario. Wer dort lebt, spürt bereits, wie sehr die Klimakrise zur realen Bedrohung für Gesundheit, Landwirtschaft und Infrastruktur geworden ist.
Die Superreichen der Welt haben längst begonnen, sich nach alternativen Rückzugsorten umzusehen – nicht nur, aber auch aus Klimagründen. Neuseeland gilt dabei als ein Hauptziel. Der Inselstaat im Südpazifik steht für politisch stabile Verhältnisse, ein vergleichsweise mildes Klima und weite Landschaften.
Internationale Medien berichteten bereits vor Jahren über Tech-Milliardäre und Finanzinvestoren, die dort Häuser und Grundstücke kauften, teils sogar Bunker-Projekte in abgeschiedenen Tälern errichten ließen.
Eine Landkarte der Resilienz
Der Trend war so stark, dass die Regierung in Wellington 2018 den Erwerb bestehender Häuser durch Ausländer stark einschränkte. Nur Neubauten und spezielle Ausnahmen sind seither möglich – ein Versuch, den Immobilienmarkt für Einheimische bezahlbar zu halten.
Neuseeland zählt tatsächlich zu den Ländern, in denen es sich auch in Zukunft unter Klimaaspekten gut leben lässt. Es findet sich im Ranking der „Global Adaptation Initiative“ (GAIN) der US-Universität Notre Dame auf Platz sieben von 187 Staaten.
Grundlage für das jüngst vorgelegte Update dieser Bewertung ist ein Index, der zwei Dimensionen verbindet: die Verletzbarkeit – also, wie stark ein Land bei Wasserversorgung, Ernährung, Gesundheit, Infrastruktur, Lebensraum und Ökosystemen gefährdet ist – sowie die Bereitschaft und Fähigkeit, entsprechende Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen. Dazu werden etwa 45 Indikatoren ausgewertet.
Der GAIN-Index ist kein Reiseführer, aber er liefert eine Art Landkarte der Resilienz – und damit eine Orientierung für alle, die sich fragen, welche Staaten auch in den kommenden Jahrzehnten noch vergleichsweise gute Lebensbedingungen bieten könnten.
An der Spitze der aktuellen Auswertung, die Daten bis 2023 berücksichtigt, stehen die wohlhabenden Demokratien Nordeuropas, dazu einige stabile Industrieländer im Rest der Welt.
Deutschland unter den Top Ten
- Norwegen belegt Rang eins. Das Land profitiert von stabilen Institutionen, einem hohen Wohlstand und der Tatsache, dass es reich an Wasservorkommen und Energiequellen ist. Vor allem Wasser- und Windkraft machen den Stromsektor krisenfest. Klimabedingte Hitzewellen sind noch selten. Allerdings zeigen Starkniederschläge und auftauender Permafrost im Norden, dass auch Norwegen nicht unangreifbar ist. Ironie dabei: Das Land ist einer der größten Öl- und Gasexporteure der Welt.
- Knapp dahinter folgt Finnland. Helsinki hat einen nationalen Anpassungsplan bis 2030 aufgestellt, der alle relevanten Sektoren umfasst – von Forstwirtschaft über Gesundheit bis Verkehr. Zwar steigt auch hier das Risiko von Waldbränden und Schädlingsbefall in den borealen Wäldern, doch die Verwaltung gilt als vorausschauend und effizient.
- Auf Platz drei liegt die Schweiz. Ihre Stärken sind robuste Institutionen und eine traditionell starke Infrastruktur. Doch der Alpenstaat erlebt die Klimakrise unmittelbar: Die Gletscherverluste der letzten Jahre waren historisch hoch, und Bergdörfer sehen sich wegen des auftauenden Permafrosts durch Muren und Steinschläge bedroht. Anpassung heißt hier vor allem, Naturgefahren-Management auszubauen und Siedlungen zu sichern. Die Schweiz erhebt eine vergleichsweise hohe CO2-Steuer.
- Dänemark auf Platz vier ist als flaches Küstenland durch den steigenden Meeresspiegel verwundbar. Aber es gilt zugleich als Modellstaat in Sachen Anpassung. Die Hauptstadt Kopenhagen hat einen sogenannten „Cloudburst Plan“ entwickelt, der mit Parks, Speicherbecken und Entsiegelung die Stadt auf Starkregen vorbereitet, Stichwort Schwammstadt. Außerdem ist Dänemark Vorreiter bei der Umstellung auf Öko-Energien, vor allem Windkraft. Die Lebensmittelversorgung ist vergleichsweise eigenständig und dadurch wenig anfällig.
- Schweden liegt auf Rang fünf. Die Risiken ähneln denen Finnlands, dazu kommen zunehmende Hitzewellen, die hier früher unbekannt waren. Doch auch hier gilt: Staat und Kommunen sind organisatorisch und finanziell in der Lage, Schäden zu begrenzen und schnell zu reagieren.
- Eine Überraschung ist Platz sechs: Singapur. Der tropische Stadtstaat ist massiv vom Meeresspiegelanstieg bedroht, doch er investiert schon jetzt Milliardenbeträge in Küstenschutzanlagen und hat einen eigenen Fonds für Flutvorsorge eingerichtet. Hitzestress wird mit Begrünung und speziellen Bauvorschriften bekämpft. Hier zeigt sich: Gute Vorbereitung kann geografische Risiken zumindest eindämmen.
- Auf Rang sieben folgt Neuseeland, das bereits erwähnte Lieblingsziel der Reichen. Der Inselstaat verfügt über reichlich Wasser, fruchtbares Land und ein stabiles politisches System. Doch auch hier nehmen Starkregen und Überschwemmungen zu. Die Regierung arbeitet deshalb an Konzepten für managed retreat, also den geplanten Rückzug aus gefährdeten Gebieten.
- Großbritannien belegt Platz acht. Die Insel ist zwar anfällig für Hitzewellen und Starkniederschläge. Das Land hat in den vergangenen Jahren aber detaillierte Risikoanalysen erarbeitet, die von Hitzebelastung in Städten über Starkregen und Hochwasser bis zu Küstenerosion reichen. Daraus entsteht eine laufend aktualisierte Anpassungsstrategie, die national wie lokal als Leitlinie dient.
- Auf Platz neun rangiert Deutschland. Die Infrastruktur ist vergleichsweise robust, das Gesundheitssystem leistungsfähig. Doch die zunehmende Zahl von Hitzetagen und Hochwasserkatastrophen wie 2021 zeigen die Verwundbarkeit. Die Regierung beschloss 2024 eine überarbeitete Anpassungsstrategie mit konkreten Maßnahmen – von Hitzeaktionsplänen für Städte über wassersensible Stadtplanung bis zu resilienteren Verkehrswegen.
- Gerade noch in die Top Ten kam Australien. Das Land leidet regelmäßig unter Hitzewellen, Buschfeuern und Überschwemmungen. Doch trotz dieser Verwundbarkeit ist es aufgrund seiner Wirtschaftskraft und seiner Anpassungsstrategien vergleichsweise gut gerüstet. Nach dem „Black Summer“ 2019/20 mit den Großbränden wurden Programme aufgelegt, um Risikomanagement und Katastrophenschutz zu stärken. Das Land ist jedoch weiterhin großer Kohleproduzent und -exporteur – auch wenn die Erneuerbaren aufholen.
Die Liste zeigt: Länder mit hoher Anpassungsfähigkeit liegen überwiegend in den gemäßigten Breiten und verfügen über stabile Demokratien, funktionierende Institutionen und Wohlstand. Das macht sie widerstandsfähiger, wenn Klimaschocks auftreten. Dennoch gilt: Auch die Besten sind nicht sicher vor Katastrophen – sie sind nur besser vorbereitet.
Für alle, die tatsächlich Klima-Auswanderungspläne haben, bedeutet das Dreierlei. Erstens: Klimarisiken unterscheiden sich regional stark, selbst in Spitzenländern. Wer in den Alpen lebt, ist anderen Gefahren ausgesetzt als jemand an der Küste. Zweitens: Nicht nur Klima zählt, sondern auch Einwanderungsrecht, Arbeitsmarkt, Sprache und persönliche Netzwerke.
Und drittens: Die Klimakrise schreitet fort. Singapur muss seinen Küstenschutz ständig nachrüsten, die Schweiz neue Muren-Barrieren bauen, Deutschland seine Städte auf mehr Hitzetage vorbereiten. Die Risikokarten werden sich ändern.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2025 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!