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Die Welt am energiepolitischen Scheideweg

Die Europäische Union muss sich zwischen den Polen USA und China entscheiden – oder ein eigenes Modell verfolgen. Von Stefan Gsänger

Der Erfolg der Erneuerbaren Energien

Die Erneuerbaren Energien sind weltweit auf dem Siegeszug. Durch vorausschauende, bahnbrechende Gesetzgebung konnte sich die Technologie rasant weiterentwickeln, so dass ihre technische Leistungsfähigkeit nicht mehr infrage steht. Vor allem Wind und Sonne stehen praktisch überall im Überfluss zur Verfügung und sind mittlerweile die konkurrenzlos billigsten Stromquellen. Auch Speichertechnologie hat sich in den letzten Jahren rapide entwickelt, so dass Batterien künftig dafür sorgen werden, dass auch in windarmen und sonnenarmen Zeiten genug Strom zur Verfügung steht. Dies gilt selbstverständlich erst recht in Verbindung mit anderen Erneuerbaren Energien wie Biomasse, Wasserkraft oder Geothermie, die auch saisonal speichern können.

Trotz oder gerade wegen ihres Erfolges steht der Siegeszug der Erneuerbaren Energien nun an einem Scheideweg. Die alten fossilen Konzerne und auch die Staaten, deren Einnahmen in erster Linie auf fossilen Energien beruhen, versuchen schon lange, den Vormarsch der Erneuerbaren Energien zu stören. Dies gelang jahrelang unter Verweis auf angebliche technische Unausgereiftheit oder mit der Behauptung, Erneuerbare Energien seien zu teuer. Mit Rahmenbedingungen, die die Erneuerbaren Energien diskriminieren, konnte man deren Erfolg noch verzögern.

Heute können die ökonomischen, ökologischen und sozialen Vorteile der Erneuerbaren Energien allerdings nicht mehr ignoriert werden – wenn denn rational argumentiert und agiert wird. Vor allem der Erfolg rechtspopulistischer Bewegungen hat allerdings dazu geführt, dass rationale Argumente in der politischen Debatte nur noch begrenzt eine Rolle spielen. Das Schlagwort der alternativen Fakten beschreibt auch über Energiepolitik hinaus, wie heute öffentlich debattiert wird. Viele Menschen werden mit falschen Fakten, oft sogar mit bewussten Lügen gezielt in die Irre geführt und lassen sich in die Irre führen, zusätzlich angetrieben durch die Algorithmen von sozialen Medien wie X oder Facebook.

Dieser Irreführung mit falschen Tatsachen kann letztlich nur dann wirksam begegnet werden, wenn die Menschen direkt und unmittelbar die Vorteile der Erneuerbaren Energien spüren und aus eigener Erfahrung wissen, dass fossile Propaganda falsch ist. Selbst wissenschaftlich fundierte Abhandlungen oder moralische Verweise auf die längerfristigen Folgen des Klimawandels stoßen bei vielen Menschen nicht auf ausreichend Resonanz und führen vor allem nicht zur notwendigen Verhaltensänderung.

Zeitenwende durch Donald Trump

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Die erneute Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten ist ohne Zweifel ein energiepolitischer Wendepunkt für die Welt. Trump ist nicht nur gleichsam der Urheber des Konzeptes alternative Fakten, sondern er hat seine Präsidentschaft ja ausdrücklich unter das Motto “Drill, Baby, Drill” gestellt – was letztlich die Wiederbelebung eines im Niedergang befindlichen Wirtschaftszweiges bedeutet. Das überrascht nicht, da er damit im Interesse der fossilen Konzerne agiert, die ihm durch massive Unterstützung die Wiederwahl ermöglicht haben. Mit Donald Trump sind die Erneuerbaren Energien in den Vereinigten Staaten so sehr unter Druck geraten wie noch nie, seit Ronald Reagan zahlreiche Programme seines Vorgängers Jimmy Carter einstellte. Trump macht nahezu alle bahnbrechenden Errungenschaften seines Vorgängers rückgängig, vor allem den Inflation Reduction Act, der dabei war, die USA weltweit in eine energiepolitische Führungsrolle zu bringen. Trump will mit allen Mitteln den Erfolg der Erneuerbaren Energien und den Niedergang der fossilen Energiewirtschaft verhindern, auch wenn dieser Kurs für die USA volkswirtschaftlich viele Nachteile mit sich bringt. Anders als bei Reagan spielt marktliberale Ideologie bei Trump keine Rolle mehr. Falls keine andere Möglichkeit mehr besteht, die Erneuerbaren Energien zu stoppen, greift Trump einfach zu dem bei den Marktliberalen ja verpönten Ordnungsrecht – seine Regierung verbietet Windparks schlichtweg.

Andere Staaten wie Russland oder Saudi-Arabien gehören zwar zu den traditionellen Bremsern der Energiewende, ihr weltweiter Einfluss ist aber nicht so stark wie der der USA. Durch die Trumpsche Wiederwahl haben die USA innerhalb kürzester Zeit nun eine Schlüsselrolle bei der fossilen Gegenreaktion übernommen und stellen heute sozusagen zumindest auf Bundesebene das Paradigma des fossilen Staates dar. Natürlich bleibt zu hoffen, dass die Menschen in den USA sich gegen diese Wende wehren. Vor allem den Bundesstaaten kommt dabei in den kommenden Jahren eine sehr wichtige Rolle zu.

Die aufstrebende Rolle Chinas

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Während die US-Regierung derzeit nahezu alle Förderprogramme für Erneuerbare Energien stoppt und die industrielle Entwicklung des Landes damit weit zurückwirft, hat China bereits vor mehr als 20 Jahren die grundlegende Entscheidung getroffen, dass sich das Land primär mit Erneuerbaren Energien versorgen will. Dies wurde für die Welt am schnellen Aufbau und Aufstieg der chinesischen Solarindustrie erkennbar, die mittlerweile die Weltmärkte dominiert. Auch bei der Windenergie stehen die in China installierten Anlagen mittlerweile für mehr als drei Viertel des weltweiten Marktvolumens, chinesische Unternehmen sind auch technologisch an der Weltspitze. Chinas setzt außerdem auf Wasserkraft, Batteriespeicher, Elektroautos, intelligente Netze und so weiter. Das Land wandelt sich also zielgerichtet in eine Volkswirtschaft, die nahezu vollständig auf Erneuerbaren Energien basiert. Da das Land immer noch viel Kohle für Strom, übersehen viele die Dynamik, die der Ausbau der Erneuerbaren Energien in China mittlerweile erreicht hat.

China geht damit nicht nur viele Umweltprobleme an, sondern nutzt dies auch, um sich neue Exportmärkte zu erschließen. Man hat in China verstanden, dass viele andere Länder diesem Weg schon aus wirtschaftlichen Gründen folgen werden. Da China damit aber auch dabei ist, seine klimapolitischen Zusagen einzuhalten, während die USA gerade das Pariser Klimaschutzabkommen gekündigt haben, befindet sich das Land in der Wahrnehmung weiter Teile der Weltgemeinschaft auch in einer moralisch zunehmend besseren Position.

Europa in der neuen bipolaren Welt

Damit haben sich die beiden größten Volkswirtschaften der Welt innerhalb kurzer Zeit in zwei entgegengesetzte Pole entwickelt: die regressiv-fossilen USA und das innovationsstarke China, das auf Erneuerbare Energien baut.

Obwohl viele Technologien der Erneuerbaren Energien in Europa entstanden sind und viele Länder, vor allem auch Deutschland, eine Pionierrolle hatten, bewegt sich die Europäische Union seit längerer Zeit auf einem energiepolitischen Schlingerkurs. Der Kontinent hat bereits Schlüsselindustrien wie die Solarindustrie an China verloren und hat dennoch Atomkraft und Erdgas als nachhaltig eingestuft. Gleichzeitig gibt es nach wie vor durchaus ambitionierte Ziele und Programme, die Europa in eine erneuerbare Zukunft führen sollen. In letzter Zeit gibt es jedoch zunehmend rechtspopulistische Kräfte, die sich lieber im Trump-Lager sehen und die den Fortschritt der europäischen Energiewende einschließlich des Green Deal rückgängig machen wollen. Gleichzeitig haben viele europäische Länder bereits einen sehr hohen Anteil an Erneuerbaren Energien erreicht und wollen diesen Weg fortsetzen.

Europa, der weltgrößte Wirtschaftsraum, muss sich also zwischen den beiden Polen entscheiden: Will es wie die USA den fossilen Rückwärtsgang einlegen, sich wieder verstärkt in Abhängigkeit von fossilen Lieferanten gegeben und die Bekämpfung der Klimakrise aufgeben, oder will es auf die heimische Innovationskraft setzen und ähnlich wie China massiv die Erneuerbaren Energien ausbauen.

Der dritte Weg: dezentrale und partizipative Erneuerbare Energiewirtschaft

Dabei bleibt den Europäern allerdings nicht nur die Wahl zwischen den zwei Modellen fossil oder erneuerbar. Sondern Europa könnte ein drittes Modell entwickeln: eine Volkswirtschaft, die sich wie China primär aus Erneuerbaren Energien speist, die gleichzeitig aber weiterhin dezentral, demokratisch, subsidiär strukturiert ist. Der dezentrale Charakter der Erneuerbaren Energien spricht für einen solchen Weg, da die Erneuerbaren Energien dezentral wesentlich effizienter genutzt werden können und da die Menschen auf diese Weise flächendeckend von der Nutzung der Erneuerbaren Energien profitieren können. Eine europäische Energiewirtschaft, die konsequent auf dezentrale Versorgungsstrukturen setzt, die zelluläre Netze nutzt, die Energy Sharing und Bürgerenergie unterstützt, in der die Menschen selbst zunehmend zu Eigentümern der Energieerzeugung, zu Prosumern werden, die kann der europäischen Integration ein entscheidendes Maß an zusätzlicher Legitimität verschaffen und letztlich Europa langfristig den Erfolg sichern.

Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob Europa genug Kraft hat und ob der Kontinent einig genug ist, dieses Modell der dezentralen Erneuerbaren Energiewirtschaft eigenständig weiterzuentwickeln und umzusetzen. Es birgt enorme ökonomische, ökologische, soziale und demokratische Potenziale für alle Länder auf dem Kontinent.

Auch wenn die rechtspopulistischen und autoritäre Kräfte in Europa derzeit an Stärke zu gewinnen scheinen: Prinzipiell ist der Kontinent, sind seine Menschen stark genug für diesen demokratischen Weg und der subsidiäre Aufbau der Europäischen Union entspricht auch diesem Paradigma – auch wenn die genannten Kräfte dies immer mehr in Frage zu stellen versuchen.

Nicht zu unterschätzen ist dabei die große weltweite Anziehungskraft eines erfolgreichen Europas. Wenn Europa also ein Modell entwickelt und dieses konsequent verfolgt, das den Menschen in Europa nutzt, das die heimischen Erneuerbaren Energien mit dezentralen Strukturen in den Mittelpunkt stellt, dann kann dieses Modell eine ähnliche Anziehungskraft haben wie die Bundesrepublik Deutschland zur Zeit des Kalten Krieges auf die Menschen in der DDR oder die Europäische Gemeinschaft auf die Menschen in den Staaten des Warschauer Paktes.

Deutschland in Europa

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Deutschland war eines der ersten Länder weltweit, das vor allem Wind- und Sonnenenergie den Weg bereitet und den industriellen Durchbruch ermöglich hat, vor allem mit dem Erneuerbaren Energien-Gesetz, das vor 25 Jahren verabschiedet wurde. Leider hat Deutschland in den Folgejahren den technologischen Vorsprung leichtfertig verspielt, indem es immer wieder tiefe Einschnitte bei der Förderung der Erneuerbaren Energien vorgenommen hat. In der Konsequenz ist die einst führende PV-Industrie vollständig nach China abgewandert und auch in Bereichen wie Batterietechnik spielt das Land längst nicht mehr in der ersten Liga.

Die Ampel-Regierung verbesserte zwar einige Rahmenbedingungen, versäumte es aber, die dezentrale Energiewende zu entfesseln und sich vollständig von der fossilen Abhängigkeit zu befreien. Der schwarzrote Koalitionsvertrag sieht demgegenüber einige Verbesserungen vor, etwa in den Bereichen Energy Sharing, Batterietechnik oder Biogas, die Verlautbarungen der Wirtschaftsministerin konterkarieren jedoch diese Ziele, was Anlass zur Sorge gibt. Deutschland ist damit in Gefahr, mit rechtspopulistischen Begründungen den industriellen Anschluss und damit auch internationale Konkurrenzfähigkeit zu verlieren. Das hätte auch für Europas Rolle in der zunehmend bipolaren Energie-Welt erhebliche Auswirkungen. Es besteht allerdings Anlass zur Hoffnung, dass die kritische Masse der Bürgerenergiebewegung in Deutschland inzwischen stark genug ist, einen Rückfall in das fossile Zeitalter zu verhindern, und zwar auch dank parteiübergreifender Bündnisse.

Europa und China

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Es bleibt die Frage, wie sich unter solchen geo-energiepolitischen Bedingungen das europäische Verhältnis zu den USA und zu China entwickelt. Die Lage in den USA ist derzeit nicht vorhersehbar, und Europa tut gut daran, sich auf instabile Beziehungen zu seinem ehemals wichtigsten Verbündeten einzustellen. Die Bedeutung der USA als wichtigster europäischer Exportmarkt wird jedenfalls abnehmen – was durchaus durch eingesparte fossile europäische Importe und einen stärkeren Fokus auf die heimische Erneuerbare Energiewirtschaft mehr als kompensiert werden könnte. Möglicherweise wendet sich das Blatt in den USA in den nächsten Jahren wieder, dann sollte Europa selbstverständlich den USA zur Seite stehen und die Menschen in den USA dabei unterstützen.

Europa sollte im Interesse der Weltgemeinschaft eine konstruktive energiepolitische Zusammenarbeit mit China suchen. Auch wenn sich beide Regionen gesellschaftspolitisch sehr unterschiedlich entwickeln, birgt eine Zusammenarbeit im Bereich von Energiepolitik und Klimapolitik doch enorme Chancen für die ganze Welt. Europa und China können eine Schlüsselrolle bei der weltweiten Energiewende und beim weltweiten Kampf gegen den Klimawandel spielen, indem beide ihre Ressourcen dafür verwenden. Dies bedarf natürlich eines konstruktiven Dialoges auf Augenhöhe, in dem beide Blöcke ihre eigenen und auch die gemeinsamen Interessen formulieren und ihre Beziehungen auf klarer Grundlage weiterentwickeln. Dazu gehört auch, dass Europa und China gemeinsam auch zahlreiche weitere Länder davon überzeugen können und sollten, dass der Weg der Erneuerbaren Energien der Weg in eine für alle Menschen gute Zukunft ist, eine prosperierende und friedfertigere Welt, die die Klimakrise erfolgreich bewältigt.

Quelle

Stefan Gsänger 2025 | Generalsekretär der World Wind Energy Association WWEA, Co-Chair der Global 100% Renewable Energy Platform

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