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Die deutsche Energiewende – Wegbereiter einer dritten technologischen Revolution?

Plenumsdiskussion mit Jeffrey D. Sachs und weiteren Experten plädiert für sofortige Klimaschutzmaßnahmen. Die Uhr tickt. Der renommierte Weltökonom und Direktor des Sustainable Development Solutions Network Jeffrey D. Sachs aus New York gratuliert Deutschland zur Energiewende und appelliert an die Regierungschefs der einkommensstarken Länder, unverzüglich Klimaschutzmaßnahmen einzuleiten. Die Zeit drängt, denn, so Sachs: „Die Kohlenstoffrechnung ist brutal: Wir sind kurz davor, die 2° Celsius Grenze zu überschreiten, und die Welt unternimmt kaum nennenswerte Anstrengungen, dies zu verhindern. Der Zynismus, die Ignoranz und die Schwerfälligkeit, die in der globalen Politik vorherrschen, beängstigen mich.“ Von Katrin Heeeren

Könnte die deutsche Energiewende womöglich ein Vorbild für andere Länder auf dem Weg zur kohlenstoffarmen Wirtschaft werden und erforderliche Innovationen anstoßen? Könnte sie darüber hinaus wertvollen Input für die Formulierung der globalen Nachhaltigkeitsziele liefern? Mit diesen Fragen begrüßt Wolfgang Maier, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) am Abend des 4. März das hochrangig besetzte Plenum und die Zuhörer. Organisatoren waren neben der KAS das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und das Sustainable Development Solutions Network.

Eine dritte technologische Revolution

Während in Deutschland zurzeit intensiv über die konkrete Ausgestaltung der Energiewende und mögliche Reformen des EEG debattiert wird, verfolgt das Ausland die Energiewende gebannt und sieht diese als bemerkenswertes Beispiel einer tiefgreifenden Energietransformation. „Bei der Energiewende geht es um weit mehr als um Energiefragen, beispielsweise um wirtschaftliche, technische und soziale Faktoren, Innovationen und rechtliche Implikationen. Die Energiewende könnte zu einer dritten technologischen Revolution führen, “ sagte Dirk Messner, Direktor des DIE und Moderator der Veranstaltung.

Udo Niehage, Siemens-Beauftragter für die deutsche Energiewende bestätigt aus Sicht der Industrie: „Die Energiewende bietet Siemens weltweit nicht nur enorme Chancen als Technologie-Vorreiter von kohlenstoffarmen Technologien, sondern ist angesichts des Klimawandels vor allem eine Verpflichtung für die Industrie.“ Er führt aus: „Wir müssen zeigen, dass Klimaschutz machbar ist. Die Subventionen für erneuerbare Energien sind heute noch wichtig und sollten nur schrittweise abgebaut werden.“ Hier sei die Gesetzgebung aufgefordert, die Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten.

Energieexpertin Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung betont: „Es ist Deutschlands Aufgabe, der Welt Innovationen und technologische Neuheiten zu präsentieren und damit steile Lernkurven einhergehend mit rascher Kostensenkung für Technologien wie erneuerbare Energien zu ermöglichen. Wir können in Deutschland zeigen, dass wir die Klimaschutzziele sogar ohne Atomenergie und Carbon Capture and Storage (CCS) erreichen.“

Viele Energierevolutionen rund um den Globus

Nebojsa Nakicenovic, stellvertretender Direktor des International Institute for Applied Systems Analysis aus Wien nimmt die globale Perspektive ein: „Wir könnten viele verschiedene Energierevolutionen in aller Welt sehen, die den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden.“ Für andere Länder können CCS und Atomenergie durchaus noch eine Rolle spielen, um die nötigen Emissionsminderungen zu erreichen. „Zudem gibt es noch 2,5 Milliarden Menschen weltweit, die mit Feuerholz kochen und keinen Zugang zu Elektrizität haben,“ erklärt Nakicenovic. „Bis 2050 werden laut Prognosen für das Bevölkerungswachstum weitere Milliarden hinzukommen [insgesamt 9,6 Milliarden Menschen 2050, Anmerkung der Autorin]. Die Herausforderung besteht demnach darin, gleichzeitig die Energieversorgung zu verdoppeln und die Emissionen zu halbieren. In den kommenden 30 Jahren werden wir Energieinvestitionen von 1,3 auf 2,6 Milliarden US-Dollar verdoppeln müssen. Dabei ist die höchste Priorität, allen Menschen Zugang zu Energie zu verschaffen.“

Großräumig angelegte, länderübergreifend Energieinitiativen wie Desertec, sollte dieses mediterrane europäisch-afrikanische Projekt wiederbelebt werden, Gobitec, die Westafrikanische Sahara-Plattform, die Inga-Wasserfälle im Kongo oder das derzeit von der DESERTEC Stiftung vorangetriebene Vorhaben in der chilenischen Atacama-Wüste könnten entscheidend für weitere „regionale Energiewenden“ weltweit sein.

Kohlenstoffsteuer und Standards statt Emissionshandel?

Ganz Europa gilt weltweit zusammen mit Deutschland als Vorreiter im Klimaschutz und hat mit der EU Energy Roadmap 2050 Leitplanken zur Emissionssenkung um 80% für 2050 gesetzt. Aktuell stehen jedoch die politischen Regelungen auf dem Prüfstand: „Der EU Emissionshandel hat versagt. Das Instrument Emissionshandel ist für Schadstoffe mit langer Verweildauer wie CO2 einfach nicht geeignet, “ erklärt Sachs.

Mit Nakicenovic und Niehage ist Sachs sich einig, dass der EU Emissionshandel besser durch eine Kombination von Kohlenstoffsteuer und Standards ersetzt werden solle. Auch Kemfert hätte grundsätzlich eine Steuer bevorzugt und hatte diese vor Einführung des Emissionshandels auch dringend empfohlen. „Doch da der Emissionshandel nun einmal da ist, sollten wir dabei bleiben, das System jedoch grundlegend reformieren. Zwei Milliarden überschüssige Zertifikate müssen vom Markt, damit die CO2–Preise wieder stimmen.“ Jeffrey Sachs legt Wert darauf, dass „die Debatten um den Emissionshandel nicht von den Kernfragen ablenken.“ Es ginge vorrangig darum, die technische und physische Umsetzung von Klimaschutz zu ermöglichen. „Wir müssen vor allem entscheiden, wie wir zukünftig mit fossilen Energien umgehen wollen.

Politische Regelungen sollen dafür sorgen, dass die Nutzung fossiler Energien gänzlich gestoppt wird.“ Wie Jeffrey Sachs zuvor erwähnte ist die Rechnung einfach: Physikalische Faktoren zwingen uns, die Kohlenstoffmenge in der Atmosphäre nicht weiter zu erhöhen, um schlimmste Folgen des Klimawandels zu vermeiden. Auch Niehage fordert: „Hauptziel sollte es sein, das Kohlenstoffbudget nicht zu überschreiten.“ Wenngleich Steuern von einigen Industriebranchen nicht gern gesehen werden, würde eine Steuer dem Kohlenstoff den richtigen Preis geben – was der Emissionshandel bislang nur in der Theorie schaffte. Laut Niehage würde auch bei einer Reform des Handelssystems wieder massiver Druck von der Industrie ausgeübt werden, um Schlupflöcher zu öffnen. Ein Vorschlag zur Erhöhung der Akzeptanz für eine Kohlenstoffsteuer wurde kürzlich von dem Wissenschaftler James Hansen der NASA geäußert. Die Steuer könnte demnach mit einem Anreizsystem verknüpft werden, welches die Einnahmen unmittelbar an die Akteure mit den größten Emissionseinsparungen verteilen würde.

Paris 2015: Wendepunkt im Klimaschutz

Die deutsche Energiewende ist ein Experiment. Ein Experiment, das wiederum die Antwort auf ein weitaus großräumigeres, geophysikalisches Experiment liefern könnte, das die Menschheit bereits vor Jahren unwissentlich begonnen hat und aus welchem wir nicht so einfach aussteigen können: dem Klimawandel. Die Ansammlung von Treibhausgasen, die wir seit der industriellen Revolution in die Atmosphäre gepumpt haben, kann nicht ohne weiteres wieder herausgesaugt werden. Um dem Klimawandel nun angemessen begegnen zu können, und dafür ist es schon fast zu spät, müssen alle Hauptemittenten mit sofortiger Wirkung gemeinsam daran arbeiten, innovative kohlenstoffarme Pfade zu betreten und Transformationen der fossilen Energiesysteme vorzunehmen. Die Energiewende stellt einen solchen Ansatz dar und muss mit allen Mitteln unterstützt werden.

Dirk Messner sagt abschließend: „Bei den Klimaverhandlungen im Dezember 2015 müssen wir die physischen Grenzen, die planetarischen Grenzen berücksichtigen.“ Und Jeffrey Sachs empfiehlt, dass Deutschland und Europa darauf bestehen sollten, dass in Paris jedes Land seinen Plan, sein Szenario für eine Dekarbonisierung vorlege. Alle Länder müssten dieses Vorgehen befürworten.

Die entscheidende Frage bleibt offen: Wird die Politik schnell genug reagieren?

Quelle

Katrin Heeren 2014

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