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Die Energiewende in der Krise? Teil 3

Der zweite Teil dieser Trilogie über den Stand der Energiewende, der noch vor der Bundestagswahl erschienen war, endete mit der These, dass deren nächste Entwicklungsschritte „mehr die Frage ei­ner politischen Auseinandersetzung denn eine Frage der Innovation und des tech­nischen Fortschritts“ sei. Das mag nach den Erfahrungen mit der schwarz-gelben Bundesregierung manchem als Banalität erscheinen. Die Innovationsmaschine bei den Erneuerbaren läuft schließlich sowie­so. Das Kabinett Merkel hingegen hat die Energiewende mit ihren politischen Kam­pagnen nicht nur bekämpft, sondern der Branche der Erneuerbaren wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Eine am Wirtschaftsstandort orientierte Industriepolitik war das nicht, sondern vielmehr ein Rollback im Interesse etablierter Strommonopole. Was sollte also politisch neu gemacht werden?  Essay in drei Teilen von Klaus Oberzig – Teil 3: Eine politische Schneise für das Zusammenwachsen der dezentralen Strom- und Wärmeerzeugung schlagen.

Mit einer einfachen Umkehr der politischen Linie des Gespanns Altmaier­ Rösler, so sie denn in der gegenwärtigen Situation einer Regierungsbildung über­haupt erkennbar ist, wäre es nicht getan. Dazu ist die Ausgangslage viel zu dyna­misch. Neue Entwicklungsperspektiven und Fronten haben sich längst aufgetan. Altmaiers Strompreisbremse ist ein alter Hut und längst Geschichte.

Auf Basis der erreichten Standards ste­hen sich dezentrale und zentrale Tech­nologien bei der Stromversorgung als einander ausschließende Alternativen gegenüber. Die Geschäftsmodelle der Protagonisten sind zu gegensätzlich, Strom erzeugende Bürger oder Energie­genossenschaften, kurz Mittelständler, und Oligopole passen nicht zueinander. Da helfen auch keine Appelle an eine mögliche „friedliche Koexistenz“, die ein Nebeneinander von neu zugebau­ten Kohlekraftwerken mit Sonnen- und Windstrom glauben machen wollen. Es entspricht auch nicht den technischen und wirtschaftlichen Erfordernissen einer Energiewende, im bundesweiten Ausbau der Übertragungsnetze durch 2.800 km neue Höchstspannungstrasse (plus eben­so viele Kilometer Verstärkung) ein not­wendiges „Backup für die Versorgungssi­cherheit“ zu sehen. Das ist Apologetik der Strommonopole die ihren anwachsenden Kohlestrom verscherbeln wollen. Jeder, der vom Netzausbaubeschleunigungsge­setz bzw. vom Bundesnetzplan und sei­nen Trassenkorridoren (nomen est omen) eine „Konfliktlösung“ zwischen Erneuer­baren und Fossilen erwartet, unterschätzt die unter der Oberfläche wirkende Dyna­mik. Backup-Lösungen auf lokaler oder regionaler Ebene sind kostengünstiger und nicht weniger versorgungssicher.

Den Erneuerbaren wird zwar immer noch der Anstrich des Fluktuierenden, also des Unzuverlässigen angehängt, die ohne zentrales Netz gar nicht existieren könn­ten. Völlig unterschlagen wird dabei, dass sich die Erneuerbaren im Verbund ergän­zen, eine Einheit bilden und Redundanz bieten können. Was immer eine neue Bundesregierung beschließen mag, ein Netzplan wird immer temporär oder gar Makulatur bleiben. Es liegt in der Natur des Marktgeschehens, dass am Ende des Tages ein Produkt bzw. ein Geschäftsmo­dell den Markt erobert, während ein ande­res dabei eliminiert wird. Man sollte sich vergegenwärtigen, es gilt nicht mehr die Rollenverteilung David gegen Goliath.

Erneuerbare auf Überholspur

Technisch und wirtschaftlich sind die Erneuerbaren der fossilen Energieerzeu­gung bzw. deren Technologien längst ebenbürtig, mehr noch, als Innovationst­reiber haben sie zu einem rasanten Über­holmanöver angesetzt. Das gilt nicht nur für die Stromseite, wo Grid Parity Realität geworden ist und die dezentrale Lastrege­lung die zentralen Verfahrensweisen der traditionellen Systeme alt aussehen lässt. Die Metapher des Überholvorganges be­zieht, trotz Nachholbedarf, die Speicher­technologien ein, auch wenn das noch ein Weilchen dauern mag. Vor allem auf den Wärmesektor trifft dieses Bild zu. Dort sind die neuen Hybridsysteme den alther­gebrachten Verbrennungstechnologien überlegen. Längst geht es nicht mehr nur um die Kombination von Öl und Erdgas mit Solarthermie als Juniorpartner. Neue Technologien in Form von Biomasse, Wärmepumpen und BHKWs, sowie neue Lösungen für thermische Energiespeicher stellen die Uralttechnologie Kessel wirt­schaftlich in den Schatten und erobern sich langsam aber sicher immer größere Marktanteile. Vor allem die digitale Re­gelungstechnik macht solche Hybridsys­teme nicht nur möglich, sondern lässt sie effizienter und kostengünstiger werden.

Dezentrale Energieerzeugung und Bestandsmodernisierung

Die eigentliche Speerspitze dieser Ent­wicklung besteht aber im Zusammen­wachsen von dezentraler Strom- und Wärmeerzeugung, also der gleichzeitigen Bereitstellung von Wärme und Strom aus einem Gebäude bzw. einem lokalen oder regionalen Netz. Zentral ist dabei der kostengünstige Sonnenstrom. Der Ent­wicklungspfad zur seiner Vermarktung jenseits der EEG-Vergütung kommt spä­testens mit der 10%igen Vermarktungs­marge, die zum 1. Januar 2014 in Kraft tritt, ins Rollen. Wobei Vermarktung in vielen Fällen erst einmal Eigenverbrauch bedeutet. Aber als singuläre Vermarktung bringt das wenig. Nur in der Kombina­tion mit anderen Erneuerbaren entsteht überlegene Wirtschaftlichkeit. Diese mag verschiedene Auswirkungen haben, aber eines wird es nicht hervorrufen: ein Sto­cken der Energiewende. Dachanlagen auf Einfamilienhäusern mögen zukünftig kleiner ausfallen, verschwinden werden sie nicht.

Der Zwang zur Eigenstromnutzung wird vielmehr eine neue Generation der Gebäudetechnik ins Leben rufen. Denn die sinkenden Kosten bei der Photovol­taik machen die Erweiterung bestehender Heizsysteme um Komponenten der sola­ren Stromerzeugung wirtschaftlich inte­ressant. Die Bandbreite der dadurch am Markt verfügbaren Systeme reicht – neben den Mini-BHKWs, die sich ja auch vielfach kombinieren lassen – von der direkten elektrischen Wärme- oder Warmwasserer­zeugung, die PV-Strom als Add on nutzt, bis zur Ergänzung einer konventionellen Kesselanlage, deren Kombispeicher per Heizstab mit PV nachgeheizt werden kann. Favoriten im Feld der neuen Kombis sind außerdem noch trivalente Lösungen, die PV-Strom plus Solarthermie inklusi­ve einer konventionellen Zusatzheizung, etwa Biomasse, kombinieren, sowie die vieldiskutierte Verbindung von Wärme- pumpe mit Sonnenstrom, mit oder ohne Solarthermie als drittem Standbein.

Bei einer Fachtagung des VDI im Sep­tember zum Thema „Erneuerbare Energi­en in der multivalenten Gebäudeenergie­versorgung“ wurde die Eigenversorgung für Wärme, Strom und Mobilität aus Son­ne und Umwelt in Einfamilien- und Zwei­familienhäusern nicht als Zukunftsvision, sondern als Gegenwartsthema abgehan­delt. Zugleich wurde auch konstatiert, diese Entwicklung finde Eingang in den Geschosswohnungsbau, wo immerhin mehr als die Hälfte der Bundesbürger (rd. 53 Prozent) zur Miete wohnen. Das hat seine ökonomischen Gründe. Allen poli­tischen Versprechungen zum Trotz, die steigenden Mietkosten zu deckeln, sind die neuen Kombimöglichkeiten und die Eigenversorgung wohl die einzige realis­tische Alternative, um dem Ansteigen der Warmmieten etwas entgegen zu setzen. Es ist kein Zufall, dass inzwischen auch die kommerzielle Wohnungswirtschaft, nach langen Jahren des Zögerns, in dieses Ge­schäftsfeld vorstoßen möchte. So fordert die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobi­lienwirtschaft Deutschland (BDI), in der praktisch alle Verbände der Branche ver­treten sind, „endlich die Rahmenbedin­gungen für dezentrale Stromerzeugung zu verbessern“. Die Wohnungswirtschaft will diese „Innovationen im Rahmen der Energiewende …entwickeln“.

Gegenwär­tig ist es so, dass ein Vermieter, der seinen Mietern selbsterzeugten Strom anbietet oder diesen ins öffentliche Netz einspeist, gewerbesteuerpflichtig wird und höhere Versicherungskosten zu tragen hat. Die rechtlichen und steuerlichen Rahmen­bedingungen insbesondere für selbster­zeugten Strom an und in der Immobilie seien noch nicht geeignet, die vorhande­nen Technologien effizient in der breiten Praxis einzusetzen, kritisiert die Bundes­arbeitsgemeinschaft und fordert für sich den Zugang zu diesem Geschäftsfeld.

Das Zusammenwachsen von Strom- und Wärmeerzeugung steht also recht breit auf der Tagesordnung. Die Verbrei­tung des Eigenverbrauchs von PV-Strom wird möglicherweise zu einer Verschie­bung der Gewichtungen zugunsten der Sonnenwärme führen, da sie immer noch die kostengünstigste Energieform bei den Erneuerbaren darstellt. Aber auch die Verwendung von Sonnenstrom für Heizzwecke wird zu einer Reduzierung der PV-Systemkosten führen. Es ist keine allzu kühne These zu behaupten, dass die Luft für Kohlestrom immer dünner wird.

Quelle

Klaus Oberzig ist Wissenschaftsjournalist aus BerlinErstveröffentlichung SONNENENERGIE | 6-2013 | NOVEMBER-DEZEMBER

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