Die Harz-Region kombiniert Wind-, Solarstrom und Wasserkraft
Vor den Toren des Städtchens Dardesheim in Sachsen-Anhalt drehen sich nicht nur 36 Windräder. Biogasanlagen, Solarzellen auf den Dächern von Schulen, Kindergärten, Betrieben und Privathäusern, ein mit Pflanzenöl versorgtes Blockheizkraftwerk mit einer Gesamtleistung von fünf Megawatt und eine regenerative Stromtankstelle geben einen Vorgeschmack auf die Energiestadt der Zukunft.
Der Geschäftsführer des Windparks ist Heinrich Bartelt, ein Urgestein der deutschen Windenergieszene und Mitbegründer des Bundesverbandes Windenergie. Er beschäftigt sich mit der Kraft des Windes seit 1973 ein Sturm das Gebäude seines elterlichen Hofes beschädigte. Damals, 24-jährig, fragte er sich: „Ob man die destruktive Kraft des Windes nicht auch konstruktiv nutzen kann?“
Seine neueste Vision: Ein großes Kombikraftwerk , das die 230.000 Einwohner im Harz komplett mit erneuerbaren Energien versorgen kann. Mit vielen Partnern arbeitet er daran, seinen Windpark mit dem 30 Kilometer entfernten Pumpspeicherkraftwerk Wendefurth zu kombinieren. Er will den Pumpspeicher als „Riesenbatterie“ benutzen.
Und das funktioniert so: Gerade nicht benötigter Windstrom pumpt Wasser in das Oberbecken des Wasserkraftwerks und bei Windflaute und um Spitzenlasten abzudecken wird dieser Strom über zwei bestehende Wasserkraft-Turbinen von zwei zu Tale führenden Pipelines wieder zurück gewonnen.
Wie eine riesige wiederaufladbare Batterie (Akku) speichert das Talsperren-System überschüssigen regenerativen Strom. Wird wieder Strom gebraucht, weil zum Beispiel gerade Windstille herrscht, kann dieses Wasser zurück ins Tal fließen und treibt dort zwei 40 Megawatt-Turbinen an. Bei Bedarf kann auf diese Weise der gespeicherte Strom wieder genutzt werden.
Hybridkraftwerke wie das von Heinrich Bartelt geplante im Harz werden die Energiewende entscheidend nach vorne bringen. Das Zusammenspiel von Wind- und Wasserkraft, Photovoltaik und Biomasse ermöglicht eine regenerative Stromversorgung rund um die Uhr.
Die Zukunft beginnt im Harz
Das Herzstück dieser Regenerativen Modellregion ist das virtuelle Kombikraftwerk, das im Dardesheimer Rathaus zu besichtigen ist. Es verknüpft verschiedene erneuerbare Energieerzeuger, steuerbare Verbrauchsgeräte und Energiespeicher in der Region miteinander zu einem „Smart Grid“, zu einem „intelligenten Netz“.
Durch die Kombination von Erzeugung, Speicherung und Verbrauch will die Harzregion zeigen, dass mit einem maximalen Anteil erneuerbarer Energieträger eine stabile, zuverlässige und verbrauchernahe Versorgung mit elektrischer Energie möglich ist. Künftig sollen alle 230.000 Einwohner im Landkreis Harz mit Ökostrom versorgt werden.
In dieser Modellregion soll es einmal variable Stromtarife geben. Durch steuerbare Lasten wird eine Anpassung des Verbrauchs an das Angebot möglich sein. Bei stürmischem Wind oder strahlendem Sonnenschein wird viel Energie erzeugt – und der Strompreis sinkt. Über einen „intelligenten“ Stromzähler erhält der Kunde Informationen über den derzeit günstigsten Strompreis.
Künftig kann er also selbst entscheiden, ob er Haushaltsgeräte mit hohem Verbrauch zu preiswerten Zeiten laufen lässt – den automatischen Start der Geräte übernimmt das BEMI (Bidirektionales Energiemanagement Interface) – ein Minicomputer, so groß wie dieses Taschenbuch und hilft, die Schwankungen in der Stromproduktion der vielen kleinen Ökoanlagen teilweises auszugleichen.
BEWI fungiert als Schnittstelle zwischen Kunde, Netzbetreiber und Stromlieferant und garantiert eine ökologisch wie ökonomisch optimierte Energieversorgung. So können tausende kleiner Ökoanlagen in Zukunft die Funktion der alten Großkraftwerke übernehmen und die Grundlast der Elektrizität liefern.
Damit das alles funktioniert braucht man zum Teil andere Netze und diese Smart Grids müssen ähnlich intelligent sein wie das heutige Internet. Sie können helfen Angebot und Verbrauch von Strom in Balance zu halten. Dann zeigt sich, dass Sonne, Wind und etwas Mist eine gute Zukunft ist.
„Müssen meine Bürger jetzt nachts um drei Uhr aufstehen, wenn sie günstigen Strom für ihre Waschmaschine angeboten bekommen?“ wollte der Oberbürgermeister von Quedlinburg bei der Vorstellung des Projekts wissen. Ich konnte ihn als Moderator der Veranstaltung beruhigen. „Nein. Der Computer macht´s.“
Die Frage bleibt: Machen die Verbraucher mit? Diese Frage hat die Professorin für Umweltpsychologie an der Universität des Saarlandes, Petra Schweizer-Ries, untersucht. Ziel der Untersuchung war es, herauszufinden, wie die Bevölkerung zu erneuerbaren Energien, zur Elektromobilität und zu Fragen des Lastmanagements steht. Lastmanagement bedeutet, möglichst dann Strom zu verbrauchen, wenn viel davon zur Verfügung steht sowie den Stromverbrauch in Spitzenzeiten zu minimieren.
Dazu gehört zum Beispiel die Verschiebung von Startzeiten der Geräte, die nicht sofort genutzt werden müssen. So können Stromverbrauchsspitzen ausgeglichen und der Verbrauch besser an das Angebot angepasst werden.
Die Ergebnisse: 72% der Verbraucher sind bereit, die Startzeit für ihre Waschmaschinen zu verschieben, 67% könnten sich das beim Wäschetrockner vorstellen und 76% bei der Spülmaschine.
Die Botschaft der Modellregion ist klar: Hier wurde vier Jahre lang getestet, ob und wie der komplette Umstieg auf erneuerbare Energie möglich ist. Das Ergebnis, das die 19 Projektpartner an diesem Herbstabend im romantischen Wasserschloss Westerburg vorstellen, ist eindeutig: Ja, es geht! Die Modellregion kann sogar noch viel Elektrizität exportieren, wenn sie den gesamten Wärmedarf und die Treibstoffe ökologisch abdeckt.
Jetzt wissen wir: Die Harzregion kann überall werden.
Quelle
© Franz Alt 2012