Erdgas statt Kohle – aber keine Dekarbonisierung
Will man sich in Sachen Energie- und Klimapolitik einer zukünftigen Regierungskoalition, wie auch immer sie gestrickt sein möge, ein Bild machen, lohnt der Blick auf das Rot-Rot-Grüne Regierungsbündnis in Berlin.
Das ist zwar nicht Jamaika, aber die Grünen versuchen hier seit rund einem Jahr Energiepolitik zu „machen“. Als Bundesland verfügt die Hauptstadt über keine Windkraft und wenige Solarparks. Auch auf den Dächern sind Solarkollektoren und –module eine Seltenheit. In Berlin stammt die Wärme zu 98% aus fossilen Quellen. Der Gebäudebereich verursacht zurzeit rund 47% der Berliner CO2-Emissionen. Die Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit einer Wärmewende in der Stadt. Ohne einen Umbau der Wärmeversorgung wird es keine Energiewende in Berlin geben, resümierte bereits die Enquete-Kommission „Neue Energie für Berlin“ des Berliner Abgeordnetenhauses von 2015, also noch zu Zeiten der Rot-Schwarzen Koalition im Land Berlin. Das ebenfalls in 2015 erarbeitete Berliner Energie und Klimaschutzprogramm (BEK) benennt dazu Handlungsfelder für die zukünftige Transformation des Wärmesektors. Das Energiewendegesetz des Landes Berlin verankert gesetzlich die Senkung der Treibhausgasemissionen um 85% bis zum Jahr 2050 auf Basis von 1990. Die Rot-Rot-Grüne Landesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag von 2016 ausdrücklich zur Umsetzung des BEK und der Enquete-Ergebnisse verpflichtet und zum Kohleausstieg bis 2030 bekannt.
Vor diesem Hintergrund fanden am 10. Oktober in Berlin zwei Veranstaltungen statt, die ein beredtes Zeugnis über den Stand der Diskussion zum Thema Wärmewende lieferten. Es handelte sich zum einen um einen „Strategieworkshop Wärmewende Berlin 2030“ von der Böll-Stiftung und der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) und auf der anderen Seite um eine Veranstaltung der Deutschen Energieagentur (Dena), auf der sie das „Zwischenfazit“ für ihre „Leitstudie Integrierte Energiewende“ vorstellte, wobei die Dena nicht speziell auf den Wärmesektor abstellte. Dena trat an die Öffentlichkeit mit dem Anspruch, „Empfehlungen für Koalitionsverhandlungen“ abgeben zu können. Böll-Stiftung und AEE wollen den fehlenden Diskurs zwischen den Akteuren im Wärmesektor, vom Energieversorger über Wohnungsbaugesellschaften, Verwaltungen, Klima- und Sanierungsmanager, Stadtplanungs- und Ingenieurbüros, Handwerk, NGOs bis hin zu engagierten Bürgern, anschieben. Der Strategieworkshop lud Vertreter verschiedener „Stakeholdergruppen“ ein, sich auszutauschen und stellte die Frage, „gibt es ein gemeinsames großes Bild, wie man mit Blick auf die Klimaziele 2030 entscheidend vorankommen kann? Welche Akteure sind bereit, welche konkreten Schritte zu unternehmen?“
Die Dena hingegen hatte bereits die Antworten. Ein technologieoffener Ansatz sei der Schlüssel zur Wärmewende. Deutschland könne seine CO2-Emissionen bis im Jahr 2050 um bis zu 90 Prozent reduzieren, „wenn heute bekannte Technologien in einem ambitionierten Transformationspfad optimal genutzt werden“. Dafür müssten die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen bereits in der neuen Legislaturperiode konsequent darauf ausgerichtet werden, dass Klimaschutztechnologien sich in einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb beweisen könnten. „Energiewende ist machbar, wenn wir sie entschlossen, technologieoffen und im breiten Dialog angehen“, so der Vorsitzende der Dena-Geschäftsführung, Andreas Kuhlmann. Allerdings entsprächen die im Klimaschutzplan 2050 für das Jahr 2030 ermittelten Sektorziele „noch nicht den optimal austarierten Markierungen“, so sein Zwischenfazit. Optimal austarieren, Wow, mehr braucht es anscheinend nicht mehr.
Die Dena hat nach ihren Aussagen mit Vertretern vieler Branchen und Sektoren drei Szenarien durchgespielt. Grob gesagt befassten sich die ersten beiden Szenarien einmal mit dem „Weiter so“ und dann mit der These, alles elektrisch machen zu wollen. Beides sei nicht zielführend. Das dritte Szenario betrachtet einen breiten Mix an Technologien, also einen technologieoffenen Ansatz. Was aber ist mit dem neuen Schlagwort eines technologieoffenen Ansatzes gemeint?
Im Vergleich zum Elektrifizierungsszenario führe dies zu einem höheren Anteil an gasförmigen und flüssigen Brenn- und Kraftstoffen, die zwar „mit Hilfe von Erneuerbaren Energien synthetisch erzeugt werden können, aber hauptsächlich importiert“ würden. Gemeint ist vor allem Erdgas, dessen Verfügbarkeit aktuell durch den Bau der zweiten Ostseepipeline North Stream 2 gesichert bzw. erweitert werden soll. Damit könne eine Reduktion der CO2-Emissionen um 90 Prozent erreicht werden. So würden die „jeweils wirtschaftlichsten Technologien zum Zug kommen“ und die Ausbaukosten der Infrastruktur niedrig gehalten werden. Dieses Szenario sei wirtschaftlicher und robuster als solche, die einseitig auf einen hohen Grad an Elektrifizierung setzten. Allerdings enthält es keinerlei belastbare Aussagen über den Ausbau erneuerbarer Wärmetechnologien. Im Gegenteil, es basiert auf dem bekannten Stufenmodell, das schon Ex-Umweltminister Altmaier vor über einen halben Jahrzehnt verkündet hatte: Nach der Kohle komme erst mal Erdgas, das sei die „Brückentechnologie“. Dieser Begriff wird heute allerdings vermieden. „Genau hier setzen wir mit unserer Studie an. Wir bringen alle Branchen und Sektoren an einen Tisch“, so Kuhlmann.
Just das machte der „Strategieworkshop Wärmewende Berlin 2030“ von Böll und AEE. Scheinbar gleichberechtigt referierten und diskutierten grüne Vertreter von Senat und Abgeordnetenhaus, von Vattenfall, der Berliner GASAG, Vertreter der Wohnungswirtschaft und des Berliner Energietisches sowie einer Wohnungsgenossenschaft, die ein rein regeneratives Modernisierungsprojekt betreibt, friedvoll miteinander. Dass sich hinter der Diskussion, die den Geist des Miteinander ausströmte, trotzdem unterschiedliche Gewichte verbargen, wurde am Beispiel Vattenfall deutlich. Der Energiekonzern stellte seinen eigenen Transformationspfad bis 2050 vor. Der Ausbau des eh’ schon großen Fernwärmenetzes solle forciert werden, nach der Ablösung der Braunkohle sei vorgesehen, die Steinkohleverbrennung bis 2030 einzustellen und an ihrer Stelle Gaskraftwerke zu betreiben. Von Solar keine Rede. So wolle man bis 2050 die Klimaziele erreicht haben. Wie zum Beweis ihrer Durchsetzungsmacht gab Vattenfall am gleichen Tag den Bau eines Gaskraftwerkes für 325 Mio. Euro in Berlin-Marzahn bekannt.
Diese Planung gelte natürlich nur für die Kunden von Vattenfall. Auf den verbleibenden Anteil der Berliner Verbraucher schaut logischerweise der zweite Konzern, die GASAG, die mit erneuerbarer Wärmetechnologie ebenfalls nicht viel am Hut hat, sondern die Erdgas-Brennwerttechnik präferiert. Bemerkenswert war, dass dies alles von der Zuhörerschaft ohne erkennbaren Widerspruch aufgenommen, oder sollte man sagen, hingenommen wurde. Der Einsatz solarer Wärmetechnik sei komplex und schwer vermittelbar. Dass sie verfügbar und bereits im Einsatz sei, belegte zwar das Beispiel der Wohnungsgenossenschaft Märkische Scholle, auch vom dänischen Smart District Heating wurde gesprochen. Aber einen Plan, wie man eine solare Wärmewende betreiben bzw. einleiten könne, scheint bei den Berliner Akteuren keiner zu haben. Auch die Grünen in der Landesregierung nicht.
So nahm es nicht Wunder, dass bei den Diskussionen viel über Förderung, Quartierslösungen und CO2-Bepreisung geredet wurde. Alles nichts Neues. Bei Thema CO2 dauerte es nur Minuten, bis klar war, dass der scheinbare Konsens auf der begrifflichen Ebene keinen Kern hatte, sondern viele verschiedene Ansätze und Vorstellungen in der Runde vorhanden waren. Als Fazit bleibt die nüchterne Feststellung, dass von einer „Urbanen Wärmewende“ weder in Berlin noch anderswo (Frankfurt, Hamburg) die Rede sein kann. Konzepte haben nur die Konzerne und die setzen auf Erdgas. Dem haben die Berliner Grünen weder konzeptionell noch koalitionspolitisch etwas entgegen zu setzen. Das lässt natürlich, auf die Bundesebene übertragen, nicht viel Gutes erwarten. Nämlich die Fortsetzung der Politik Energiewende ist gleich Strom und die klammheimliche Kapitulation im Wärmesektor vor den erdgaspräferierenden Konzernen.
Quelle
Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. | Klaus Oberzig 2017 | Die aktuelle SONNENENERGIE 03/2017