Grüner Wasserstoff und Co: Island möchte nicht alle versorgen
Um klimaneutral zu werden, werden viele Länder Ökoenergie importieren müssen. Island könnte liefern. Das Land produziert mehr Strom, als die Bevölkerung braucht – und hat noch Potenzial. Doch der Ausbau ist im Land umstritten.
Wenn die Energiewende gelingen soll, braucht es mehr als nur den Ausbau von Windkraft und Solarenergie. Für eine klimaneutrale Industrie, Schifffahrt und den Flugverkehr werden an vielen Stellen auch chemische Energieträger und Rohstoffe benötigt.
Fast alle Szenarien gehen daher davon aus, dass Länder wie Deutschland, in denen der Ausbau der erneuerbaren Energien irgendwann an Grenzen stoßen wird, absehbar grüne Energie in großen Mengen importieren müssen.
Eigentlich wenig überraschend, denn auch heute wird viel Energie importiert. In Zukunft würde man statt Öl und Gas Energie in Form von grünem Wasserstoff, Methanol oder Ammoniak importieren.
Das bedeutet, dass es Länder braucht, in denen mehr grüner Strom erzeugt wird, als vor Ort benötigt wird. Genannt werden oft Australien oder Länder in der Mittelmeerregion, dort könnte in großen Solar- und Windparks der nötige Strom erzeugt werden.
Allerdings: In allen diesen Ländern wird heute noch selbst Strom aus fossilen Quellen gewonnen.
100 Prozent Ökostrom und trotzdem eine schlechte Klimabilanz
Ein Land, das bereits heute fast ausschließlich Ökostrom nutzt, ist Island. Dort kommt der Strom zu mehr als 99 Prozent aus Geothermie und Wasserkraft – und das in großen Mengen. Kein anderes Land erzeugt pro Kopf mehr Strom als Island. Wie wir kürzlich berichteten, nutzt man das auch, um sogenannte Herkunftsnachweise für Ökostrom in andere Länder zu verkaufen – ein fragwürdiges Geschäft.
Übrigens: Obwohl der gesamte Strom in Island ökologisch erzeugt wird, hat das Land eine vergleichsweise schlechte Klimabilanz. Die Gründe dafür sind vielfältig: Viel Flugverkehr, große Autos, kaum Nahverkehr und Emissionen der Metallindustrie sorgen dafür, dass trotz Ökostrom der CO2-Ausstoß pro Kopf höher ist als in den meisten anderen europäischen Ländern.
Island erzeugt heute etwa 19 Terawattstunden an elektrischer Energie pro Jahr. Schätzungen aus den 1990er Jahren gehen davon aus, dass sich Wasserkraft und Geothermie insgesamt auf bis zu 50 Terawattstunden pro Jahr ausbauen lassen würden. Dazu bietet das Land optimale Bedingungen für Windenergie, die bislang kaum genutzt wird. Lediglich zwei Windkraftanlagen betreibt der staatliche Stromkonzern Landsvirkjun bisher.
Nun kann Island, selbst wenn es sein gesamtes Potenzial an Ökostrom ausnutzt, die Energieprobleme Europas nicht alleine lösen – dafür ist das Land zu klein. Zum Vergleich: Deutschland erzeugt etwa 500 Terawattstunden pro Jahr. Aber Island könnte zumindest einen Teil dazu beitragen.
Billiger Strom für Aluminiumkonzerne
Die Idee, die eigenen Stromerzeugungskapazitäten zu nutzen, um international auszuhelfen, ist in Island nicht neu – allerdings in etwas anderer Form. Bereits in den 1990er Jahren verfolgte das Land eine Strategie, stromintensive Unternehmen ins Land zu holen, und warb mit günstigen Strompreisen und ökologisch erzeugter Energie.
„Island hat saubere Energieressourcen aus Wasser und Geothermie, welche immer noch in großen Teilen ungenutzt sind. Diese Energieressourcen sind reichlich im Vergleich zum aktuellen und zukünftigen inländischen Bedarf in Island“, hieß es bereits 1995 in einer Broschüre mit dem Titel „Lowest Electricity Prices“ (niedrigste Strompreise).
Günstiger und grüner Strom – damit warb Island um die Ansiedlung von stromintensiven Industriebetrieben. Aus dieser Broschüre stammen auch die Prognosen, dass man die Stromerzeugung auf bis zu 50 Terawattstunden pro Jahr ausbauen könnte.
Das Resultat heute: Drei Aluminiumhütten, eine Produktionsanlage für Ferrosilizium und eine Siliziumfabrik sind die größten Stromverbraucher im Land.
Grünes Methanol und Direct Air Capture
Neben den stromintensiven Industrien sind in Island inzwischen eine Reihe von Projekten angesiedelt, die ambitionierte Klimaschutztechnologien austesten. Eine Firma namens Carbon Recycling International nutzt das im Geothermiekraftwerk Svartsengi in geringen Mengen anfallende Kohlendioxid und die günstige Energie, um aus grünem Wasserstoff Methanol herzustellen.
Gleich neben dem Geothermiekraftwerk Hellisheiði läuft die weltweit größte Direct-Air-Capture-Anlage „Orca“ der Schweizer Firma Climeworks. Eine größere Anlage ist am gleichen Standort bereits in Bau. Orca saugt CO2 aus der Luft, und man hofft, mit der Technik in ferner Zukunft einen Teil der menschengemachten Treibhausgasemissionen wieder rückgängig machen zu können.
Climeworks arbeitet dabei eng mit einer Firma namens Carbfix zusammen, die das so aus der Luft gefilterte Kohlendioxid in Wasser löst und in die Erde verpresst. Dort reagiert es mit Mineralien aus Basaltgestein und wird so dauerhaft in Stein gebunden.
Carbfix wiederum plant, CO2-Abgase aus der EU zu importieren und ebenfalls im Gestein zu entsorgen. Hierfür soll ein Schiffsterminal entstehen, über das verflüssigtes Kohlendioxid aus europäischen Industrieanlagen angelandet wird.
Es gibt also viele Projekte, die vom günstigen Ökostrom profitieren. Doch von den Plänen, bis zu 50.000 Megawatt für stromintensive Industriebetriebe bereitzustellen, ist man inzwischen abgerückt. Wenn man Menschen in Island nach den Gründen dafür fragt, fällt immer wieder ein Stichwort: Kárahnjúkar, das bislang größte Wasserkraftwerk im Land.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2023 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! | Redaktioneller Hinweis: Die Recherchen für diesen Text fanden teilweise im Rahmen einer Journalistenreise statt, die von der Organisation Business Iceland organisiert und finanziert wurde.