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Mein Haus, mein Auto, mein Strom

Immer mehr Verbraucher könnten künftig zu „Prosumern“ werden.

Die immer günstiger werdende Solar­energie und Speicher­batterien begünstigen die Entwicklung. Regierung und Energie­wirtschaft passt das allerdings nicht so recht.

Steht der Energiesektor kurz vor einer Revolution? Die Frage treibt Experten seit einiger Zeit um. Die möglichen Revoluzzer kommen dabei, wie es sich gehört, vom Ende der Nahrungskette: Es sind die Verbraucher, deren wirtschaftliche Rolle bislang vor allem darin besteht, Strom zu kaufen. Künftig könnten dagegen immer mehr von ihnen zu „Prosumern“ werden. Damit ist gemeint, dass sie ihren Strom zumindest teilweise selbst erzeugen, anstatt ihn ausschließlich aus dem Netz zu beziehen. Wichtig ist also, anders als noch beim klassischen PV-Anlagenbetreiber, der Eigenverbrauch. Der Prosumer-Begriff umfasst beide Seiten dieser neuen Rolle, indem er die englischen Wörter „Producer“ und „Consumer“ kombiniert. Es gibt auch eine deutsche Variante, den Prosumenten.

Beide Begriffe sind zuletzt immer beliebter geworden, aber wie es mit der Revolution aussieht, lässt sich nicht so leicht beurteilen. Unter anderem fehlen dafür Daten, Prosumer werden bislang nicht statistisch erfasst. Es gibt allerdings viele Hinweise auf einen Trend. Laut Speichermonitoring der Uni Aachen wurde 2015 zu fast jeder zweiten kleinen PV-Anlage auch eine Batterie installiert. 34.000 Solarspeicher seien damit von 2013 bis Anfang 2016 in Betrieb gegangen. Die Preise für Lithium-Ionen-Batterien sind in diesem Zeitraum um fast 40 Prozent gefallen.

Der Bundesverband Solarwirtschaft geht davon aus, dass bis 2018 die 100.000er-Marke erreicht wird und das Marktforschungsunternehmen EuPD Research hat erhoben, dass mehr als die Hälfte der Altanlagenbetreiber den Eigenverbrauch steigern will, wenn ihre EEG-Vergütung ausläuft. Derzeit kämen bereits 600.000 Anlagen für eine Nachrüstung mit Speichern in Frage. Wirtschaftlich lohnen würde es sich für fast alle Jahrgänge seit 2000, hat das Vergleichsportal Enerkeep errechnet. Nur Anlagen, die von 2004 bis 2008 angeschlossen wurden und eine hohe Vergütung bekommen, sollten demnach weiter einspeisen statt speichern.

Der Prosumer sei „gefühlt gerade dabei, die Nische zu verlassen“, sagt auch Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW. Bei Infoveranstaltungen und in der Lokalpresse stoße das Thema Solarspeicher auf große Resonanz, anders als beispielsweise Energieeffizienz. Die Idee, die eigene Versorgung selbst in die Hand zu nehmen, spreche viele sehr direkt an. „Das ist eine besondere Situation. Jahrzehntelang haben wir uns danach gesehnt, dass die Verbraucher ihren persönlichen Energieverbrauch zum Herzensthema machen. Diese Emotionalisierung hat es bis auf eine überschaubare Öko-Klientel aber nie gegeben.“

Für den Eigenverbrauch sind Speicher zwar nicht zwingend nötig, sie können den möglichen Grad aber mehr als verdoppeln. Der aktuelle Trend habe zwei Ursachen, sagt Swantje Gährs vom Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW): dass die Einspeisevergütung für PV-Strom seit 2012 unter den Haushaltsstrompreis gefallen ist und zusätzlich die Kosten für Batteriespeicher derart sinken. „Das sind zwei Effekte, die relativ jung sind. Daher sind die Untersuchungen auch noch nicht so weit fortgeschritten.“

Gemeinsam mit zwei weiteren Instituten hat das IÖW von 2013 bis Juni 2016 im vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt „Prosumer-Haushalte“ versucht, deren Motivation und Potenziale genauer zu beleuchten. Geleitet wurde das Projekt von Reinhard Madlener vom Aachener „Institute for Future Energy Consumer Needs and Behavior“. Das Institut hat 2014 ein sogenanntes Auswahl-Experiment unter 1.030 Bürgern durchgeführt, bei dem die Befragten zwischen verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten wählen mussten. Auf diese Weise wollten die Forscher von Eigenheimbesitzern erfahren, ob und unter welchen Bedingungen sie in Kleinanlagen investieren und selbst Strom erzeugen würden. „Hypothetische Entscheidungen sind keine Marktdaten und deshalb mit Vorsicht zu genießen“, sagt Madlener, „aber man kann durchaus nützliche Rückschlüsse auf die Präferenzen der Haushalte daraus ziehen.“

17 bis 18 Prozent der Befragten würden sich demnach für eine eigene Erzeugungsanlage entscheiden. Zu den Motiven bestätigt die Untersuchung: Der Wunsch nach Selbstversorgung ist ein zentraler Faktor, noch vor finanziellem Nutzen und Umweltschutz. Wobei er nicht bis zur kompletten Autarkie reicht, die für die Haushalte wohl auch wirtschaftlich nicht optimal wäre, so Madlener.

Darauf aufbauend hat die Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS), der dritte Projektpartner, das Potenzial bis 2030 abgeschätzt: In einem mittleren Szenario könnten circa 4,7 Millionen Haushalte zu Prosumern werden, maximal wären knapp elf Millionen möglich. Die fossile Stromproduktion könnte damit im Vergleich zum Status quo um 3,5 bis 7,7 Prozent (elf bis 25 Terawattstunden) gemindert werden. Keines von beiden Szenarien stelle jedoch „unter heutigen Rahmenbedingungen eine wahrscheinliche Entwicklung dar“, schränken die Autoren ein.

Auch Reinhard Madlener ist zurückhaltend, was ein mögliches rasantes Wachstum angeht: „Das geht nicht von heute auf morgen. Nicht jeder kann Pionier sein, viele folgen erst, wenn sich ein Modell nach einer Entwicklungsphase etabliert und bewährt hat.“ Andererseits betrachten die Forscher weniger als ein Drittel der deutschen Haushalte, nämlich nur Ein- und Zweifamilienhäuser. „Dass in Deutschland die Zahl der Hauseigentümer relativ gering ist, reduziert das Potenzial sehr stark“, sagt Madlener. „Die Ausweitung auf Mieter würde es deutlich erhöhen. Dafür braucht es aber andere Marktregulierungen und Fördersysteme, die dieses Modell möglich und hinreichend attraktiv machen.“

Stichwort Mieterstrom: In letzter Minute haben die Bundestagsfraktionen von Union und SPD dazu noch eine Verordnungsermächtigung ins EEG 2017 aufgenommen. Die Regierung darf damit regeln, dass Mieter, die Solarstrom vom eigenen Dach beziehen, Eigenheimbesitzern gleichgestellt werden. Bislang entrichten erstere die volle EEG-Umlage auf ihren Strom, während letztere aktuell nur 35, ab 2017 dann 40 Prozent zahlen. Anlagen unter zehn Kilowatt sind zudem befreit.

„Wir werden die Energiewende dadurch ein Stück weit vom ländlichen Raum übersetzen in die urbanen Zentren“, erklärte der SPD-Abgeordnete Johann Saathoff im Parlament. Noch ist allerdings nichts Konkretes beschlossen. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) antwortet auf die Frage, ob und wann die Verordnung kommt, lediglich, sie werde derzeit erarbeitet. Im letzten EEG von 2014 gab es schon einmal eine vieldiskutierte Verordnungsermächtigung, mit der ein Vermarktungsmodell für Ökostrom geschaffen werden sollte. Das BMWi ließ sie letztlich ungenutzt verstreichen.

Zugleich droht von anderer Seite bereits neue Gefahr. Das Finanzministerium will die Stromsteuer von derzeit zwei Cent je Kilowattstunde so anpassen, dass sie künftig auch für Mieterstrommodelle anfallen würde. Als „ein weiteres, durch nichts zu rechtfertigendes Hemmnis für dezentrale Nahversorgungskonzepte und damit für eine solidarische Energiewende“ bezeichnete das Bündnis Bürgerenergie den Vorstoß, der momentan zwischen den Ministerien abgestimmt wird.

Die tun sich augenscheinlich schwer mit der Vorstellung, den Selbstversorgern freien Lauf zu lassen. Dafür sprechen diverse Entscheidungen der letzten Jahre: Die EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch seit 2014, das Hickhack bei der Speicherförderung durch die KfW-Bank, die Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erst beenden wollte und dann doch weiterführte, jetzt die Stromsteuerpläne.

Das Verhalten der Regierung sei widersprüchlich, sagt Astrid Aretz, die ebenfalls am IÖW forscht. So sei der Eigenverbrauch von 2009 bis 2012 per Bonus und danach über die sinkende Vergütung politisch erst befördert worden. „Einerseits ist der Prosumer ein geeignetes Instrument, um die Kostenentwicklung bei der EEG-Umlage einzudämmen. Andererseits ist er als Akteur möglicherweise unerwünscht, auch weil er schlecht berechenbar ist“, erklärt sie.

Zwei beliebte Argumente gibt es gegen das Prosumer-Modell, ein technisches und ein soziales. Zum einen könne die Vielzahl von kleinen Anlagen, die im Zweifelsfall auch noch gleichzeitig einspeisen, das Netz überlasten. Zum anderen würden sich Eigenversorger entsolidarisieren, da sie weniger Abgaben zahlen und diese von den übrigen Verbrauchern übernommen werden müssen. Mit beiden hat sich das IÖW befasst, laut Swantje Gährs mit folgendem Ergebnis: „Die negativen Effekte, die Prosumern manchmal zugeschrieben werden, konnten wir so nicht feststellen.“

Das ist auch für die Potenziale relevant: Ein starker Hinderungsgrund sind laut dem Auswahl-Experiment negative soziale Folgen, die mit Eigenerzeugung verbunden werden. Wenn der Gesamteffekt für die Gesellschaft überwiegend positiv wahrgenommen wird, steigt der Anteil möglicher Prosumer auf 27 bis 30 Prozent. Der Anstieg ist sogar leicht stärker, als bei einer angenommenen Halbierung der Investitionskosten.

„Prosumer können auf jeden Fall einen Systemnutzen haben, also netzdienlich sein“, sagt Gährs. Das gelte vor allem, wenn verschiedene Technologien zum Einsatz kommen, von PV-Anlagen über Heizstäbe bis zur Kraft-Wärme-Kopplung. Momentan laufe es zwar vor allem auf Solarspeicher hinaus, aber auch damit könnten die Netze entlastet werden. Dafür müssten die Betriebsstrategien der Batterien so angepasst werden, dass sie vorausschauend planen, statt bei jeder Gelegenheit Strom aufzunehmen. Dann besteht nämlich die Gefahr, dass die Speicher im Moment der höchsten Mittagssonne schon voll sind. Mit der Solidarität ist es etwas komplizierter.

Gährs und Co haben ausgerechnet, dass sich in den nächsten Jahren die eingesparten EEG-Zahlungen und die fehlenden Abgaben durch den Eigenverbrauch bei Kleinanlagen in etwa die Waage halten. Zudem können Prosumer den Netzausbaubedarf verringern. Der kürzlich vom Netzbetreiber 50Hertz veröffentlichte „Energiewende-Outlook 2035“ enthält unter anderem ein Prosumer-Szenario. Bei 2,1 Millionen dezentralen Kleinspeichern könnten danach 300 bis 1.000 Kilometer Netze gespart werden.

Sowohl die IÖW-Forscherinnen als auch Verbraucherschützer Sieverding gehen davon aus, dass Eigenverbraucher perspektivisch stärker an Abgaben und Umlagen beteiligt werden können. Zu schnell zu viel zu erheben, bremse jedoch die ganze Entwicklung wieder aus, sagt Gährs. Zumal der Eigenverbrauch im Kraftwerkssektor und die Industrieentlastungen von der EEG-Umlage „in einer komplett anderen Größenordnung“ liegen. Mehr als 2.100 Unternehmen profitieren 2016 von der „Besonderen Ausgleichsregelung“, allein 717 aus der energieintensiven Industrie wurden damit 2015 um 3,4 Milliarden Euro entlastet. Und nach Schätzungen des Fraunhofer- Instituts Isi trugen PV-Systeme im letzten Jahr zum gesamten Eigenverbrauch von 51,3 gerade einmal knapp zwei Terawattstunden (TWh) bei. Zum Vergleich: Der deutsche Bruttostromverbrauch lag 2015 bei 600 TWh, mit PV-Anlagen erzeugt wurden 38,5 TWh Strom. Auch Sieverding wünscht sich daher „bitte erst einmal eine faire Diskussion, wenn es um Entsolidarisierung und Gerechtigkeit geht“.

Mieterstrom hat ebenfalls eine soziale Komponente: Damit wäre das Prosumieren nicht mehr nur eher wohlhabenderen Eigenheimbesitzern vorbehalten. „Wir müssten das eigentlich noch viel mehr in die Breite tragen“, sagt Aretz. Die nächste Stufe wären Quartierskonzepte. Für den Mieterstrom-Vorstoß im Bundestag gab es fast einhellige Zustimmung, auch von Wohnungswirtschaft und Mieterbund. Nur der Geschäftsführer des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Stefan Kapferer, spielte auch hier die Entsolidarisierungskarte und warnte: Je mehr Akteure von der EEG-Umlage befreit würden, desto höher die Kosten für alle anderen Stromkunden.

Die vom BDEW vertretene traditionelle Energiewirtschaft wird durch die Prosumer herausgefordert. „Wenn das so weitergeht und nicht über Regulierung wieder kaputt gemacht wird, dann stehen wir wirklich vor einer neuen Zeit“, sagt Sieverding. „Die Verbraucher bekommen eine zentrale Rolle und der Wandel in der Energiewirtschaft, der ohnehin schon stattfindet, wird dadurch noch einmal verschärft.“ Das heißt: Die klassische Stromlieferung verliert an Bedeutung, dafür entstehen neue Geschäftsmodelle für Dienstleister. Ökostromanbieter beispielsweise versuchen hier frühzeitig mitzuspielen, etwa beim Mieterstrom. Ein anderes Beispiel ist Schwarmenergie, damit will Lichtblick private Speicher zu einem Gesamtsystem vernetzen. Am Regelenergiemarkt teilzunehmen, sei zwar aktuell noch nicht attraktiv, sagt Unternehmenssprecherin Anke Blacha, weil die Regelungen noch nicht passen. In die Politik sei aber Bewegung gekommen, in den Markt sowieso. „Wir wollen bereit sein, sobald es sich wirtschaftlich lohnt. Wenn wir jetzt nicht aufspringen, werden wir die Entwicklung verpassen.“

Die großen Versorger bieten zwar mittlerweile ebenfalls Heimsysteme mit Solarspeichern an. Weiter reicht ihre Liebe zum Prosumer aber offenbar nicht, siehe Kapferer – immerhin müssen sie das alles weiterhin mit ihren Großkraftwerken in Einklang bringen. Eine wahre Revolution kann daher nicht in ihrem Sinne sein, zaghafter Wandel schon eher. Dass das auch das bevorzugte Tempo der Bundesregierung ist, haben die letzten EEG-Novellen gezeigt. Allerdings könnte die Entwicklung weiter an Dynamik gewinnen, wenn sich neue Technologien durchsetzen, wie Dünnschichtmodule an Hausfassaden, Mini-Module, die einfach an die Steckdose angeschlossen werden, vielleicht endlich auch E-Autos, die nebenbei als Speicher genutzt werden können.

Und um die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, müssten laut einer Studie der HTW Berlin bis 2040 im Zuge der Kopplung von Strom, Wärme und Verkehr circa 400 Gigawatt PV-Leistung installiert sein, die Hälfte davon auf Gebäuden. Ende 2015 waren es insgesamt knapp 40 Gigawatt, zuletzt ist der Zubau geschrumpft. Ein bisschen Revolution würde da nicht schaden.

Quelle

NATURSTROM AG | Tim Altegör | 2016

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