Seewind für die Klimaneutralität: Was es braucht, damit der Ausbau von Offshore-Windkraft auf Zielkurs kommt
Um das Ziel von 80 Prozent Erneuerbaren Energien bis 2030 zu erreichen, muss Deutschland die Windkraft auf See im Vergleich zu heute mehr als verdreifachen. Im Vorfeld der nächsten Ausschreibungsrunde für Offshore-Windparks im August haben Netzbetreiber jedoch Verzögerungen beim Anschluss von Projekten angekündigt. Agora Energiewende legt Handlungsvorschläge vor, um den Ausbau zügiger voranzubringen.
Damit der Ausbau der Windkraft auf See wieder auf Zieltempo kommt, braucht es zusätzliche Maßnahmen, um den Hochlauf abzusichern. Denn aktuell verzögern Lieferengpässe und Preissteigerungen den Offshore-Ausbau. So haben Zulieferer wichtiger Komponenten für Offshore-Windparks, wie Gussteile für Rotornarben, Fundamente oder Kabel, Schwierigkeiten, ihre Produktion schnell genug hochzufahren. Die Lieferengpässe betreffen auch die Netzbetreiber, die in der Folge bereits angekündigt haben, dass sich die Netzanbindung für einige Windparkprojekte auf See um ein bis zwei Jahre verzögert – und damit auch das Erreichen des angepeilten Offshore-Ziels für 2030. In sechs Jahren plant die Bunderegierung, eine Kapazität von 30 Gigawatt Windkraft auf See zu erreichen und damit mehr als das Dreifache der bereits vorhandenen rund 9 Gigawatt. Bis 2045 sollen es 70 Gigawatt werden.
Um den Offshore-Ausbau mittelfristig wieder auf Zielkurs zu bringen, hat Agora Energiewende in einem neuen Impulspapier Lösungsvorschläge formuliert. Diese umfassen schnell umsetzbare Maßnahmen etwa zur Stärkung der Lieferketten, zum Beispiel über Bürgschafts- und Kreditprogramme für Zuliefererbetriebe, aber auch Vorschläge für die mittel- und langfristige Absicherung des Offshore-Ausbaus. Dazu gehören etwa ein besser planbarer und rentablerer Hochlauf von Produktions- und Hafenkapazitäten durch höhere Ausschreibungsmengen nach 2030 und Regelungen zum Umgang mit Projektabbrüchen. Zudem braucht es eine bessere Koordination des Ausbaus mit Deutschlands Nachbarländern, um Infrastruktur effizient zu nutzen und zu vermeiden, dass Windparks auf See sich gegenseitig den Wind wegnehmen.
„Bei Windkraft auf See klaffen Ambition und Umsetzung aktuell noch auseinander. Besonders die knappen Produktionskapazitäten für Windenergieanlagen und der schleppende Netzausbau sorgen aktuell für Probleme bei der termingerechten Inbetriebnahme von Offshore-Windparks“, sagt Simon Müller, Direktor von Agora Energiewende Deutschland. „Um den Stau aufzulösen, kommt es jetzt darauf an, die Lieferketten für Offshore-Anlagen zu stärken und Investitionen abzusichern. So lässt sich der Ausbau beschleunigen, damit wir die Ziele erreichen und gleichzeitig Schlüsselindustrien für die Klimaneutralität gezielt aufbauen.“ Auch für die Erzeugung von grünem Wasserstoff spielt die Offshore-Windkraft künftig eine wichtige Rolle. Denn auf See weht mehr und gleichmäßiger Wind, was die Wasserstoffproduktion wirtschaftlicher macht.
Bessere Planungssicherheit für Hersteller durch die Anpassung der Ausschreibungsmenge nach 2030
Im August steht die vierte Ausschreibungsrunde nach der vor gut zwei Jahren von der Bundesregierung beschlossenen Zielerhöhung an. Im Sommer 2022 hat die Ampel wie im Koalitionsvertrag vereinbart das Offshore-Ziel bis 2030 um 10 Gigawatt auf 30 Gigawatt angehoben. Um die gestiegene Nachfrage nach Offshore -Windkraft zu bedienen, schlägt Agora Energiewende ein Paket aus kurzfristig realisierbaren Maßnahmen vor. Dazu gehören zum Beispiel bessere Finanzierungsprogramme über die KfW für den Aufbau von Produktionskapazitäten. Laut Studie werden allein für den Neubau von Fabriken zur Produktion von Monopfählen Investitionen zwischen 300 und 700 Millionen Euro nötig – der maximale Kreditrahmen über die KfW liegt derzeit allerdings nur bei 25 Millionen Euro.
Zudem könnte eine Verstetigung der jährlichen Ausbauziele nach 2030 Herstellern und Zulieferbetrieben bessere Planungssicherheit geben. Denn bislang zeichnet sich 2029 bis 2031 eine kurzfristige Nachfragespitze ab, die Anfang der 2030er Jahre wieder stark absinkt. Damit es sich für Hersteller, Zulieferer und Häfen lohnt, ihre Kapazitäten auszuweiten, schlägt Agora Energiewende eine Erhöhung der Ausschreibungsmengen nach 2030 vor. „Betriebe können sich deutlich besser auf die bevorstehende Nachfrage einstellen, wenn sie mit einer möglichst gleichmäßigen Auftragslage rechnen können“, sagt Müller. „Für mehr Planungssicherheit ist es daher sinnvoll, die Ausschreibungsmengen nach 2030 auf jährlich fünf bis sechs Gigawatt anzuheben – statt wie bisher vorgesehen vier Gigawatt pro Jahr.“
Neue Regelungen, um Verzögerungen durch Projektabbrüche zu vermeiden
Darüber hinaus schlägt der Thinktank vor, die Bieter zu verpflichten, 15 Prozent ihres Gebots in den ersten zwölf Monaten nach dem Zuschlag zu bezahlen. Das soll die Wahrscheinlichkeit der Projektrealisierung steigern. Bislang müssen Bieter je fünf Prozent des Gebots für den Meeresschutz und die nachhaltige Fischerei aufwenden, die restlichen 90 Prozent der Zahlung fallen erst bei Inbetriebnahme des Windparks an. Agora empfiehlt zusätzlich die Einführung einer Abgabe in Höhe von fünf Prozent des Gebots für den Aufbau von Hafenkapazitäten, die etwa für den Transport und die Lagerung von Turbinen gebraucht werden. Eine solche Abgabe hätte in der Ausschreibung im Juni 2024 etwa 150 Millionen Euro eingebracht. Außerdem sollte es dem Agora-Papier zufolge im Falle eines Projektabbruchs Regelungen zur schnellen Neuvergabe der Offshore-Fläche geben. Gerade vor dem Hintergrund des gestiegenen Kostendrucks durch höhere Rohstoffpreise sei dies wichtiger geworden.
„Damit die Windenergie auf See ihren Beitrag zur Klimaneutralität leisten kann, ist eine weitsichtige Politik erforderlich“, sagt der Deutschland-Direktor von Agora Energiewende. Daher schlägt der Thinktank auch längerfristige Maßnahmen vor, wie zum Beispiel eine mit den europäischen Nachbarländern koordinierte Planung von Infrastruktur und Flächen für Offshore-Windenergieprojekten.
Denn mit den gesunkenen Projektkosten hat der Offshore-Ausbau europaweit an Bedeutung gewonnen, so Müller: „Die Bundesregierung sollte sich auf EU-Ebene aktiv dafür einsetzen, dass die Infrastruktur für Offshore-Windparks gemeinsam und effizient genutzt werden kann. Außerdem ist eine koordinierte Flächenplanung wichtig, um Verschattungseffekte durch angrenzende Windparks zu vermeiden.“
Der Impuls “Meer-Wind für Klimaneutralität – Herausforderungen und notwendige Maßnahmen beim Ausbau der Windenergie auf See in Deutschland und Europa“ beschreibt den Status quo der Offshore-Windenergie und zeigt Lösungsansätze für bestehende Risiken und Hindernisse für den weiteren Ausbau auf. Die 87-seitige Publikation steht unten zum kostenfreien Download zur Verfügung.