Dieser unmögliche Papst!
„Ich verstehe den Papst nicht“, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in der ARD. Der CDU-Vorsitzende Merz widersprach Papst Franziskus ebenso wie Kanzler Scholz und viele westliche Politiker.
Nur die AfD und die Partei von Sahra Wagenknecht scheinen den Papst noch zu verstehen, Lob für Franziskus kam aus Moskau. Das hat gerade noch gefehlt. „Was ist nur in diesen Papst gefahren?“ fragt die Süddeutsche Zeitung. Ach, dieser unmögliche Papst aus Argentinien oder „vom Rande der Welt“ wie er selbst sagt. Versteht er uns immer noch nicht, die wir doch im Zentrum der Welt leben?
Der Blick aus den „Rändern der Welt“ auf den Ukraine-Krieg ist genau unser Problem. Die Chinesen, die Inder, die Brasilianer oder auch die Afrikaner haben halt oft ganz andere Probleme und Sichtweisen wie wir Europäer. Der Papst hat ja recht, wenn er der NATO nahelegt, auch über ihre eigenen Fehler gegenüber den Sicherheitsinteressen Russlands nach 1990 nachzudenken. Das haben schon Helmut Kohl, Helmut Schmidt, Michail Gorbatschow, ja sogar Henry Kissinger ähnlich gesehen und gesagt. Aber davon ist heute in der gesamten westlichen Welt nichts zu spüren. Darum auch jetzt die Aufregung über die jüngste Ukraine-Äußerung des Papstes.
„Die Geschichte unseres Lebens nachzulesen ist wichtig, um uns zu erinnern und denjenigen etwas weiterzugeben, die uns zuhören. Um aber lernen zu leben, müssen wir lernen zu lieben. Das sollten wir nicht vergessen!“
Papst Franziskus
Franziskus hat im Schweizer Fernsehen zum Frieden aufgerufen wie er das bei allen Kriegen tut. Das gehört sich so für einen Nachfolger Jesu. Aber nun wird behauptet, er habe damit die Ukraine zur Kapitulation aufgefordert. Doch das hat er ausdrücklich und nachweislich nicht getan. Der Papst in seinem umstrittenen Interview mit dem Schweizer Fernsehen wörtlich. „Verhandeln ist nie eine Kapitulation. Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu führen.“ Zuvor hatte der Papst dieses gesagt: „Ich glaube, dass derjenige der Stärkere ist, der die Lage begreift; der an die Bevölkerung denkt; der den Mut zur weißen Flagge, zur Verhandlung hat.“
Damit hat sich Franziskus diplomatisch zwischen alle Stühle gesetzt, was wohl der richtige Platz für jeden Jesus-Nachfolger ist. Das Wort „weiße Flagge“ ist in diesem Kontext sicher missverständlich und unglücklich. Aber dieses Wort hat der Schweizer Reporter mit seiner Frage als erster gebraucht. Und der „Mann in Weiß“ im Vatikan hat das mit der „Weißen Flagge“ wohl missverstanden. Das verdeutlicht seine ausdrückliche Warnung vor der Kapitulation. Aber seine Kritiker unterschlagen einfach diese Warnung, obwohl der Papst sie im selben Interview verdeutlichte. Das sagt viel über die Kritiker des Papstes, die nur hören, was sie hören wollen.
Die aktuellen Kriege haben alle eine Vorgeschichte. Das gilt für den Krieg in der Ukraine ebenso wie für den Gaza-Krieg sowie für die Kriege in Arabien und in Afrika. Wer diese Vorgeschichte aber ausklammert und verdrängt, ist nicht friedensfähig. So ist auch am aktuellen Papst-Interview kritikwürdig, dass er den russischen Aggressor nicht deutlich beim Namen nennt. Franziskus hätte damit viele Missverständnisse vermeiden können.
Einen Shitstorm wie diesen aktuellen ist Franziskus aber gewohnt. Den hat er nach seinen Äußerungen zur Homosexualität bei den Hardlinern im Vatikan ebenso erlebt wie nach seiner Aussage „Die Sexualität ist ein Geschenk Gottes“, aber auch bei seinen Kommentaren zum Kapitalismus („Diese Wirtschaft tötet“), aber auch zum Kommunismus („Wer über die Armen spricht, ist nicht automatisch ein Kommunist“).
Am 19. März erscheint eine neue Autobiografie des Papstes („Leben. Meine Geschichte in der Geschichte“). Auch darin wird deutlich, dass und warum Franziskus anders ist als die meisten seiner Vorgänger. Und warum er weniger diplomatisch, aber – als „vom Rande kommend“ – gerne im Klartext spricht.
Dass er auch gerne aneckt, gehört sozusagen zu seiner Job-Beschreibung. Seine Aussagen gegen jeden Krieg sind für ihn so selbstverständlich wie seine erste Reise als Papst zu den Flüchtlingen und Migranten nach Lampedusa. Das Mittelmeer (Mare Nostra, unser Meer) bezeichnete er damals als „Massengrab“ und „Schande“ für das „christliche Europa“. Hat er nicht Recht behalten? Inzwischen sind im „Mare Nostra“ bis zu 30.000 Flüchtlinge aus Afrika ertrunken – direkt vor der Haustüre Europas.
Ähnlich deutlich ist Franziskus Haltung zum Krieg. Auf Seite 54 seines neuen Buches schreibt er: „Nie wieder Krieg, nie wieder Waffenlärm. Nie wieder solches Leid. Frieden für alle. Ein dauerhafter Friede ohne Waffen“.
Dieser „unmögliche Papst“ steht ganz einfach in der Tradition der Bergpredigt seines Chefs.
- Papst Franziskus „LEBEN. Meine Geschichte in der Geschichte“ | Das neue Buch von Papst Franziskus – Wie die Zeit ihn bewegte, formte und führte – Seine persönliche Lebensgeschichte im Kontext historischer Ereignisse. | Verlagsgruppe Harper Collins 2024 | Leseprobe
PS: Diesen Artikel hat auch die „WELT“ am 18. März publiziert. Zu diesem Thema hatte der geschätzt Kollege Marc Beise in der Süddeutschen Zeitung zuvor ebenfalls einen Artikel geschrieben. Er ließ mich jetzt wissen: „Normalerweise reagiere ich strikt nicht auf Kollegenartikel, aber das hat mich schon geärgert, dass Sie in Ihrem Welt-Artikel die Süddeutsche Zeitung mit der Frage „Was ist nur in diesen Papst gefahren“ in die Reihe derjenigen Medien stellen, die die Äußerungen von Franziskus zur Weißen Flagge nicht richtig einordnen (können). Das war der ERSTE Satz meines Artikels, in dem ich eben diese Stimmung ZITIERE, um im gesamten weiteren Artikel zu erklären und einzuordnen, übrigens fast identisch zu Ihren Aussagen.“
Marc Beise hat mit seiner Kritik Recht. Ich hätte mein Zitat aus der Süddeutschen deutlicher einordnen müssen. So sorry – 20.03.2024.