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Energiewende von unten – Bürger, zur Sonne zur Freiheit!

Wenige Tage vor seinem Tod im Oktober 2010 schrieb mir der große Solarpionier Hermann Scheer in sein letztes Buch diese Widmung: „Der Kampf geht weiter“.

Scheers Kampf um die 100-prozentige Energiewende war ein politischer, aber auch ein ethisch-moralischer. Deshalb auch der Titel seines letzten Buches: „Der energethische Imperativ“ – energethisch mit th.

 Der Kampf, der weitergeht, wird unter der Devise „David gegen Goliath“ ausgefochten. So wird in den nächsten Wochen entschieden, ob die insolvent gegangene Windfirma „Prokon“ vom Energieriesen EnBW übernommen oder in eine Bürgerenergie-Genossenschaft überführt wird. Der Ausgang dieses Kampfes könnte ein  Meilenstein der Energiewende werden.

Die bisherige Prokon-Geschichte geht so: Die Unternehmensgruppe plant und betreibt Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie, hauptsächliche Windkraftanlagen. Durch massive Werbung in S-Bahnen, im Fernsehen, in Zeitungen wie auch Publik-Forum und per Post mit dem Versprechen von Zinsen bis zu acht Prozent haben 75.000 Anleger Genussrechte an Prokon erworben, die immerhin 1,4 Milliarden  Euro einbrachten. Anders als die meisten anderen Ökofirmen warb Prokon auch mit Argumenten für eine bessere Welt. Viele Alt-68-iger, Alternative und Grünen-Freunde ließen sich so locken. Prokon-Gründer Carsten Roderus, stets mit langem, grauem  Zopf geschmückt, hatte auch Bärtigen mit Rucksack und T-Shirt den Traum von einer „lebenswerten Zukunft“ und einem „ökologischen Wirtschaftswunder“ zu vermitteln verstanden. Eine Zeit lang gingen die Geschäfte ganz gut, aber Anfang 2014 bekommen die „Gutmenschen“ ökonomische Probleme, Ökologie und Ökonomie wollen plötzlich nicht mehr zusammen passen und Prokon muss ein Konkursverfahren anmelden. Roderus werden undurchsichtige Geldanlagen vorgeworfen. Die Teilnehmer der Gläubigerversammlung waren entsetzt.

Doch ein offenbar geschickter Konkursverwalter entmachtet den einst charismatischen Chef, hat die Geschäfte fortgeführt, inzwischen einen intelligenten Konkursplan entwickelt und etwa die Hälfte der 1.4 Milliarden einbezahlter Euro retten können. Die 54 Windparks laufen schließlich weiter und produzieren munter wertvollen Ökostrom.

Gleich nach der Anmeldung der Insolvenz bilden sich im ganzen Bundesgebiet unter den 75.000 Geldgebern Anlegergruppen, die auch weiterhin an gute Geschäfte mit Ökostrom glauben. Inzwischen sind die „Freunde von Prokon“ und EnBW  ernsthafte Konkurrenten beim Kampf um die Fortführung des Prokon-Geschäftes geworden. Also: Bürgerenergie in einer Genossenschaft oder EnBW? David oder Goliath? Wer soll Prokon übernehmen?

Der Psychotherapeut Wolfgang Siegel ist Vorsitzender der „Freunde von Prokon“ und argumentiert, dass eine Genossenschaft Prokon ein „Vorbild für ein Andersleben in der Wirtschaft“ sein wolle. Es dürfe beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht nur um Profit gehen, sondern zuerst um den Schutz von Umwelt und Klima sowie um das Wohlergehen der Mitarbeiter und um die „soziale Verteilung der erwirtschafteten Gewinne“. Kooperation sei wichtiger als Konkurrenz. Wenn er so auf der entscheidenden Gläubigerversammlung im Juli argumentiert, wird es spannend zu hören, was der bisherige Atomenergieriese EnBW antwortet.

 Die soziale Kraft der Energiewende wird oft unterschätzt.  Aber ohne die Mobilisierung von unten hätte es nie den breiten Aufbruch für die Energiewende gegeben. Bürgerinnen und Bürger, Mittelständler und Handwerker, Hausbesitzer und Bauern, Genossenschaften und Stadtwerke sowie engagierte Umweltschützer sind die entscheidenden Träger und Treiber der Energiewende. 90% des erneuerbaren Stroms in Deutschland wurde von unten organisiert – oft gegen Widerstände von oben – vor allem gegen die alte Energiewirtschaft.

Wie kann die Energiewende gelingen? Dezentral oder zentral?

Lasst uns produktiv um den besten Weg streiten. Nach allen bisherigen Erfahrungen ist Raiffeisens Ur-Idee aller Genossenschaften „Das Geld der Region bleibt in der Region“ der hilfreichere Weg, um die Energiewende rasch zum Erfolg zu führen. Regionalität und Mitbestimmung der Geldgeber passen besser zur Philosophie der erneuerbaren Energien als Zentralität und Konzernstrukturen. Es geht um die Kreativität der Vielen. Wir bekommen dann – neben den bisherigen 1.000 Energie-Genossenschaften – die größte Energiegenossenschaft in Deutschland und ein starkes Signal für den letztendlichen Erfolg der Energiewende von unten.  Diese Wende ist ökologisch, ökonomisch, ethisch und friedenspolitisch zwingend. Unsere Energiegier versklavt die Dritte Welt. Zudem brauchen wir eine demokratische Kontrolle der Energieversorgung und mehr regionale Wertschöpfung. Bürger, zur Sonne zur Freiheit!

Soll Prokon den Stromkonzern EnBW retten?
Die GLS Bank setzt sich für die Umwandlung des Windparkbetreibers Prokon in eine Genossenschaft ein.

Quelle

FRANZ ALT 2015

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