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Sind wir noch zu retten?

Unermüdlich mahnt der Journalist Franz Alt, die Klimakrise ernst zu nehmen und die Natur endlich zu achten. Im Unterschied zur Politik macht der ehemalige TV-Moderator erstaunlich konkrete Vorschläge zur schnellen Reduktion von CO2.

© Franz Alt auf Mallorca / Niels Müller

Hitzewellen, Überschwemmungen und Waldbrände – das Katastrophenjahr 2021 lässt Zweifel aufkommen, ob wir die Klimakurve noch rechtzeitig nehmen können. Der streitbare Journalist Franz Alt, gläubiger Christ und Freund des Dalai Lama, glaubt jedoch fest daran. In seinem neuen Buch „Nach Corona – unsere Zukunft neu gestalten“ (Patmos ­Verlag) ermutigt er die Deutschen, sich stärker für den Schutz der natür­lichen Lebensgrundlagen zu engagieren und den Druck auf Politik wie Unternehmen zu erhöhen. Alt, seit Jahrzehnten Vordenker der Energiewende, beschreibt ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C, wie im Pariser Klimaabkommen festgelegt, doch noch zu erreichen. Für ihn ist die Klima­wende nicht nur eine Sache des politischen ­Willens. Er fragt, ob die Menschheit es endlich schafft, sich als Weltfamilie zu verstehen.

natürlich gesund und munter: Der Klimawandel ist eine Hauptsorge der Deutschen. Was kann der Einzelne tun, um den CO2-Ausstoß zu senken?
Franz Alt: Weniger Fleisch essen, weniger Auto fahren, weniger reisen, Ökostrom beziehen und möglichst selbst produzieren. Weniger statt immer mehr.

Müssten wir nicht mehr Bäume pflanzen?
Bäume pflanzen ist sicher hilfreich, aber etwa die Hälfte aller Böden brauchen wir für die Landwirtschaft und die Ernährung von bald zehn Milliarden Menschen. Wir wissen seit 50 Jahren, seit dem ­Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome, dass alle materiellen Güter begrenzt sind. Auch der Boden. Aber 6000 Milliarden Bäume wie vor der Industrialisierung wären möglich. Das haben Wissenschaftler der Universität ETH Zürich vorgeschlagen. Entscheidend ist jedoch, dass wir weniger CO2 emittieren. Zurzeit blasen wir global täglich 180 Millionen Tonnen CO2  in die Atmosphäre. Das hält der Planet nicht aus. Wir Pyromanen verbrennen in wenigen Jahrzehnten, woran die Evolution 300 Millionen Jahre gearbeitet hat.

In der Corona-Krise waren plötzlich neue Lösungen möglich. Was kann die Politik aus der Pandemie lernen, um effektivere Maßnahmen gegen den Klimawandel zu entwickeln?
Bei der Corona-Krise hat die Politik endlich mal auf die Wissenschaft gehört. Das muss sie auch beim Klima­wandel tun. Die neue Bundesregierung müsste deshalb den Kohleausstieg bis 2028 statt bis 2038 organisieren, Solaranlagen für jedes Dach vorschreiben, klimaschädliche Subventionen streichen, Tempolimit von 120 auf Autobahnen einführen, das Tempo des Ausbaus von Wind- und Solaranlagen vervierfachen und ab 2030 keine Verbrennungs­motoren mehr zulassen. Zudem müsste sie den innerdeutschen Luftverkehr abschaffen, die Kerosin-Steuer auf Langstreckenflüge einführen und den CO2 -Preis pro Tonne allmählich, aber stetig erhöhen und zugleich das Geld an die Bürger zurückerstatten.

Im Unterschied zu den Politikern haben Sie ja sehr konkrete Vorstellungen! Allerdings klingt das nach einem Mammutprogramm.
Klar ist das ein Mammutprogramm. Aber es ist auch ein Mammutproblem, nämlich die Überlebensfrage allen Lebens. Bis 2030 müssen wir deshalb auch den Ökolandbau um 40 Prozent steigern, und die Landwirte sollten ihren Tierbestand halbieren. Zudem muss Deutschland sich an der internationalen Klima­finanzierung beteiligen und damit für mehr Klimagerechtigkeit sorgen.

Afrika ist vom Klimawandel besonders stark betroffen. Weite Regionen sind von Dürre bedroht und die Wüste breitet sich immer weiter aus. Was wird dagegen getan?
Auf dem One Planet Summit haben 50 Staaten beschlossen, Afrika zu helfen. Ein Ziel ist es, einen 8000 Kilometer langen und 15 Kilometer breiten Grünstreifen quer durch die Sahelzone zu errichten. Ich halte es für realistisch, dass das Projekt in die Tat umgesetzt wird. Denn Äthiopien hat es vor zwei Jahren geschafft, an einem Tag 350 Millionen Bäume zu pflanzen. Dabei müssen die reichen Länder den Afrikanern helfen. Wir haben schließlich durch unseren Lebensstil die Probleme erzeugt.

Ließen sich nicht drei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn der Fleischverzehr global reglementiert würde? Dies wäre zugleich im Sinne des Tierwohls, der CO2-Reduktion und  der Gesundheitsförderung.
In einer Demokratie kann den Menschen nicht vorgeschrieben werden, was sie essen sollen. Das muss jede und jeder selbst entscheiden – auch wenn die Menschen durch den Fleischkonsum krank werden. Unser deutsches Gesundheitswesen muss jedes Jahr 70 Milliarden Euro für Folgen einer falschen Ernährung aufwenden.

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Sie schreiben in Ihrem aktuellen Buch „Nach Corona – unsere Zukunft neu gestalten“, dass die Corona-Krise eine Folge des Krieges sei, den die Menschen gegen die Natur führen …
Ja, mit dem Klimawandel und mit dem Artensterben führen wir den Dritten Weltkrieg gegen die Natur, das heißt gegen uns selbst, denn wir sind ja ein Teil der Natur. Das Motto „Der Mensch im Mittelpunkt“ gilt als fortschrittlich. Wir müssen aber lernen, dass nicht der Mensch, sondern das Leben im Mittelpunkt steht. Ohne Tiere und Pflanzen gibt es auch keine Menschen. Zurzeit rotten wir an jedem Tag 180 Tier- und Pflanzenarten aus. Überleben ist ­jedoch nur möglich in Vielfalt, nicht in Einfalt. Mein Freund, der Dalai Lama, sagt dazu: „In der Tiefe ist alles eins.“ Naturvergessenheit ist unser Haupt­problem. Wer diese Zusammenhänge nicht versteht und nicht entsprechend handelt, bekommt Corona und den Klima­wandel. Das erleben wir ja gerade.

António Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, sagte, dass die Corona-Erholung und die Reparatur des Planeten zwei Seiten einer Medaille sein könnten. Wie verstehen Sie diesen Satz?
António Guterres ist einer der wenigen Weltpolitiker, die diese Zusammenhänge verstehen. Klimawandel und Artensterben sind die Überlebensfragen der Menschheit. Er sagt zu Recht: „Der Planet ist kaputt und die Menschheit ist in Lebensgefahr.“ Neueste wissenschaftliche Studien haben ergeben, dass das Leben von zwei Dritteln der Menschheit gefährdet ist. Erich Kästner sagt es so: „Es geht auf keinen Fall so weiter, wenn es so weitergeht.“

Laut einem Plan von UN-Experten sollen bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent der Erde unter Naturschutz gestellt werden. So sollen Ökosysteme geschützt und das Aussterben von Arten verhindert werden. Ist das machbar?
Das ist – wie so vieles – eine Frage des politischen Willens und Wollens. Die G8-Staaten haben diesen Plänen bereits zugestimmt. Wenn wir das nicht hinkriegen, möchte ich nicht mein Enkel sein.

Obwohl unsere Erde in Lebensgefahr ist, sehen Sie Hoffnungszeichen am Horizont aufziehen
Die Wissenschaft warnt immer wieder und zu Recht vor den Kipp-Punkten wie brennenden Wäldern, schmelzenden Gletschern und auftauenden Permafrost-Böden. Wenn diese Kipp-Punkte erreicht sind, gibt es kein Zurück mehr. Aber es gibt auch geistige Kipp-Punkte zum Positiven. Greta Thunberg zum Beispiel und ihre Bewegung hat kein Wissenschaftler vorausgesehen, auch ich nicht. Oder ein anderer geistiger Kipp-Punkt: Die sensationellen Urteile von Gerichten wie dem deutschen Bundesverfassungsgericht, das die Politik unter Zugzwang gesetzt hat. Ich vertraue darauf, dass diese geistigen Kipp-Punkte eintreten, wenn viele Menschen sich für Klimaschutz und Umweltschutz engagieren. Dieses Vertrauen beruht auf geistigen Gesetzen, die wir weitgehend ignoriert haben.

Sie schreiben auch, wenn wir uns mehr auf die Einheit von Geist, Seele und Körper besinnen würden, also auf unsere natürliche Intelligenz, könnte es uns gelingen, die Welt vor dem Klimakollaps zu retten. Aber Gier und Raubtier­mentalität verhinderten dies.
Ja richtig. Durch riesiges materielles Wachstum sind die Menschen nicht glücklicher geworden. Nur geistig, seelisch, kulturell oder religiös können wir grenzenlos wachsen. Hier liegen die eigentlichen Potenziale für eine bessere Zukunft. Und die gibt es nur, wenn es eine bessere Zukunft für alle wird.

Wir brauchen also einen spirituellen Neuanfang. Was würde sich dadurch ändern?
Nicht Wut, Angst oder Frust werden uns helfen, sondern allein Mut, Motivation und Lust. Wir brauchen Lust auf Zukunft.

Patmos Verlag | Nach Corona - Unsere Zukunft neu gestalten
© Patmos Verlag | Nach Corona – Unsere Zukunft neu gestalten

Weil der Mensch sterblich ist, denkt er aber nicht so weit. Würden wir uns mehr für die Bewahrung unseres Planeten einsetzen, wenn wir an die Wiedergeburt glaubten?
Da bin ich mir mit meinem Freund, dem Dalai Lama, einig: In unserem gemeinsamen Buch sagt er dazu: „Menschen, die von Wiedergeburt überzeugt sind, engagieren sich für die Umwelt, denn sie wollen ja auch im nächsten Leben auf einem gesunden und schönen Planeten leben.“

Was glauben Sie, wie wird unsere Erde in 20 oder 30 Jahren aussehen?
Das hängt allein von uns ab. Es wird genau so warm, wie wir es noch machen. Wir können nicht länger den lieben Gott oder die Natur für das verantwortlich machen, was wir hier treiben. Wir ernten, was wir säen – auch das ist ein geistiges Gesetz.

Quelle

Erstveröffentlichung: natürlich gesund und munter 6/2021, Seite 38-40 | Das Gespräch führte Inge Behrens

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