Trump und Khamenei: Missbrauch von Religion
Eine der wichtigsten Lehren der Geschichte heißt: Wenn Religion ins Spiel kommt, wird Politik hochgefährlich. Das ist zur Zeit beim Konflikt zwischen den USA und dem IRAN zu beobachten. Ein Kommentar von Franz Alt
Missbrauch von Religion gab und gibt es in allen Religionen. Ein aktuelles Beispiel: Anfang Januar 2020 wurde auf Befehl des christlichen US-Präsidenten Donald Trump der muslimische, iranische General Qassim Soleimani durch eine ferngesteuerte Rakete ermordet. Er war der zweitmächtigste Mann im Iran. Über eine Million Muslime trauerten und beteten für ihren „Martyrer“, der zuvor für den Tod von hunderten US-Bürgern verantwortlich war. Die Trauernden schworen „Rache“ und „Tod den Amerikanern“.
Für sie ist der Getötete ein gefallener Held und ein „Martyrer“ ihrer islamischen Republik und ihrer islamischen Religion, ermordet von den „Ungläubigen“ einer anderen Religion. „Für diesen Tod wird Amerika büßen“, drohte der iranische Staatschef Ajatollah Khamenei bei der Trauerfeier. Ein muslimischer Parlamentarier sagte: „Wenn Gott es will, werden wir sogar das Weiße Haus in Washington angreifen“. Und Trump drohte zurück „Das wird nicht ohne Folgen bleiben“.
Auch 1914 ist die Welt wie von Blindheit geschlagen in den Ersten Weltkrieg gestolpert. Ergebnis: 15 Millionen Tote und ein zerstörter und zerbombter Kontinent. Der Unterschied zu heute: Wir leben im Atomzeitalter, in dem jeder Krieg der letzte sein könnte, weil es danach keine Menschen mehr gäbe, die noch einen Krieg führen könnten.
Nach den Trauerfeiern für den getöteten General berief sich auch Präsident Trump auf Gott. Auch er wusste: „Wir haben Gott auf unserer Seite“. Auch in den USA wurde gebetet. Je wuchtiger die gegenseitigen Drohungen, desto drastischer wurden die Gebete. Das Ur-Ethos aller Religionen „Du sollst nicht töten“ wurde wieder einmal schlicht vergessen und verdrängt. Nur wenige Stunden nach der Ermordung des Generals segneten in Florida mehrere evangelikale Pastoren ihren Präsidenten und feierten ihn für seinen Mut gegenüber den „Andersgläubigen“.
Wenn jeder um seinen Sieg bei seinem Gott bittet: Was soll denn dann der arme Gott machen?
Im gesamten Nahen Osten tobt ein Krieg zwischen sunnitischen Muslimen und schiitischen Muslimen wie im Mittelalter zwischen Protestanten und Katholiken in Europa. Und beide Seiten beten jeweils um ihren Sieg zum selben Allah. Was soll denn in dieser Situation der arme Allah machen?
Feindesliebe oder Feindeshass?
Beim Anblick der hasserfüllten Gesichter zehntausender Demonstranten im Fernsehen und ihren „Rache“-Rufen kommt mir das Jesus-Wort von der „Feindesliebe“ in den Sinn: „Dein Feind – er ist wie du“. Wie anders, wie friedlicher, wie gerechter könnte die heutige Welt sein, wenn wir diese 2.000 Jahre alte jesuanische Botschaft endlich verstehen würden: Dass alle Menschen vor Gott Schwestern und Brüder sind. Wenn wir doch wenigstens am Grab diese Lehre von der Geschwisterlichkeit in allen Religionen und in allen Weisheitslehren verstehen würden. Spätestens am Grab und am Sarg eines „Martyrers“ sollten wir doch lernen, was Geschwisterlichkeit ist und wie schrecklich „Rache“. Und wie könnte es sein, wenn wir „Dein Feind – er ist wie Du“ schon im Leben und nicht erst im Angesicht des Todes begreifen könnten.
Immanuel Kants Traum vom ewigen Frieden könnte wahr werden. Es war der Traum von Jesus, von Buddha und vielleicht auch von Mohamed von einer besseren Welt. Feindesliebe oder Feindeshass? Diese Frage ist spätestens jetzt im Atomzeitalter die Überlebensfrage der Menschheit geworden. In der größten Krise liegt zugleich auch die größte Chance für eine Umkehr. Das meint Feindesliebe wirklich.
Der Dalai Lama hat mir mal gesagt: „Ich kenne keine Feinde. Es gibt nur Menschen, die ich noch nicht kenngelernt habe.“
Der US-Präsident und der Staatschef des Iran sollten sich treffen und miteinander reden anstatt sich gegenseitig mit „Vernichtung“ und mit „Rache“ zu drohen. So schwer und doch so einfach ist das. Grund und Sinn, Aufgabe und Ziel von Politik ist Frieden.
Seit Jahrtausenden werden alle Religionen für Macht und Geld missbraucht. Deshalb hat der Dalai Lama 2015 gesagt: „An manchen Tagen denke ich, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Denn alle Religionen und alle Heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotential in sich“. Endlich hat ein prominenter Religionsführer öffentlich ausgesprochen, woran alle Religionen schon immer kranken. Eine geistige Revolution! Sie könnte überlebenswichtig sein für unsere Generation!
- Dalai Lama (Franz Alt Hrsg.) „Der Appell des Dalai Lama an die Welt – Ethik ist wichtiger als Religion“
- Dalai Lama (2015): „So retten wir die Welt“ | Glauben, Gewalt und die Kraft der Nächstenliebe: Franz Alt sprach mit dem Dalai Lama über die wichtigsten Fragen unserer Zeit. Ein Appell, der Hoffnung schenkt.
- Dalai Lama (2015): Ethik ist wichtiger als Religion | Das gab es noch nie: Einer der wichtigsten und populärsten Religionsführer der Welt sagt als Reaktion auf die Terrorakte in Paris Anfang Januar: „An manchen Tagen denke ich, es wäre besser, es gäbe keine Religionen.“