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Ausblick 2030: Mobilitätstrends in Deutschland bieten 22% mehr Wertschöpfung für Automobilzulieferer

PwC-Analyse zeigt: In Zukunft werden nicht nur mehr, sondern vor allem technisch hochwertigere Autos auf Deutschlands Straßen fahren.

Dadurch ergeben sich für die Zulieferindustrie völlig neue Absatzchancen – denn die Wertschöpfung könnte von derzeit 63 Milliarden Euro bis 2030 auf rund 77 Milliarden Euro steigen. Verluste beim klassischen Antrieb werden durch Zuwächse beim Elektroantrieb mehr als kompensiert – viel Potential besteht auch bei Achsen, Sensorik und Interieur.

Die automobile Transformation wird die klassischen Zulieferer in schwere Bedrängnis bringen, lautet eine weitverbreitete These. Dass diese Entwicklung jedoch nicht zwangsläufig ist, zeigt nun die PwC-Studie „DON‘T PANIC – The Transformation of the Automotive Value Chain“. Für die Analyse unterteilten die Experten der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft die Produktionskosten eines Autos in sieben Funktionsgruppen und 40 Komponenten. Auf der Basis des PwC Autofacts-Marktmodells „eascy“ errechneten die Experten dann detailliert, wie sich der Wertschöpfungsbeitrag der einzelnen Bestandteile in den nächsten Jahren verändern wird.

Das Ergebnis: Die durchschnittlichen Herstellungskosten eines in Deutschland verkauften Pkw könnten sich bis 2030 von heute circa 18.000 Euro um real 10 Prozent auf circa 19.800 Euro erhöhen – diese Kosten entsprechen auch der Wertschöpfung, die Zulieferer und Automobilkonzerne in der Herstellung erbringen. Dadurch sinkt die Wertschöpfung im deutschen Markt – anders als oft angenommen – nicht etwa. Sondern sie steigt laut PwC-Studie bis 2030 von momentan 63,2 Milliarden Euro um real 22 Prozent auf 77,2 Milliarden Euro. 

Felix Kuhnert, PwC Global Automotive Leader
„Trends wie autonomes Fahren, Car-Sharing oder Elektromobilität verlangen nach tiefgreifenden Veränderungen, bieten für die Zulieferindustrie aber auch große Chancen. Wer sich frühzeitig auf diesen Wandel einstellt, wird entsprechend profitieren.“

Elektrische Antriebe für Deutschland bieten fast 15 Milliarden Euro Umsatzpotential
Wie erwartet wird das heutzutage wertvollste Fahrzeugsystem – der klassische Antriebsstrang – im Zuge der Umstellung auf den Elektromotor allmählich an Bedeutung verlieren und 2030 bezogen auf den deutschen Markt noch einen Wertschöpfungsbeitrag von 13,1 Milliarden Euro leisten. Zum Vergleich: Aktuell sind es geschätzte 15,9 Milliarden Euro, das Maximum wird 2023 mit 17,4 Milliarden Euro erreicht. Diese Verluste werden aber durch die zusätzlichen Umsätze bei elektrischen Antriebsstrangkomponenten mehr als kompensiert. Schon heute sorgt die Nachfrage des deutschen Markts nach elektrischen Antrieben für eine Wertschöpfung von circa 1,3 Milliarden Euro. Im Jahr 2030 sind es der PwC-Analyse zufolge errechnete 14,7 Milliarden Euro, einschließlich der erforderlichen Batteriespeicher.

In Summe könnte der Wert der für den deutschen Markt hergestellten Antriebskomponenten bis 2030 gegenüber heute real um knapp 60 Prozent zunehmen – von heute circa 17,4 Milliarden Euro auf fast 28 Milliarden Euro. Dass diese Erkenntnisse bislang kaum verbreitet sind, liegt laut Christoph Stürmer, Global Lead Analyst von PwC Autofacts, daran, dass der eigentliche Charakter der automobilen Transformation noch kaum erkannt wird.

 Christoph Stürmer, Global Lead Analyst von PwC Autofacts
„Die Debatte um die Zukunft der Zulieferindustrie ist noch zu einseitig auf die potenzielle Ablösung traditioneller Antriebstechnologien fokussiert. Natürlich werden im Elektroauto viele klassische Fahrzeugteile wie der Grundmotor oder die Abgasanlage verschwinden – aber das Verbrennerfahrzeug wird noch viele Jahre gebraucht werden. Zudem erschöpft sich der Wandel ja nicht in der Elektrifizierung des Antriebs. Parallel kommen andere wertvolle technische Inhalte wie das autonome Fahrsystem, Connectivity-Bausteine oder intelligente Interieurs auf uns zu.“

Das Auto der Zukunft werde deshalb nicht nur anders angetrieben als heute, sagt Kuhnert: „Stattdessen bedeutet automobile Transformation, dass sich die Mobilität als solche verändert – weg vom traditionellen Individualverkehr, hin zu völlig neuen Mobilitätsformen wie selbstfahrenden Robo-Taxis, in denen sich manchmal nur ein oder zwei, manchmal aber auch fünf oder zehn Personen bewegen. Deshalb werden Autos in der nächsten Generation schon andere Komponenten brauchen als heute – und in zwei Generationen noch mal ganz andere Fahrwerke, Systeme oder Interieurs.“

Die OEMs müssen ihre Produktpalette weiter ausdifferenzieren
Die aus Sicht der Automobilindustrie entscheidende Frage lautet freilich: Wo und durch wen wird die künftige Wertschöpfung erbracht? Dabei liegt die besondere Herausforderung für Hersteller wie Zulieferer darin, dass sich der zeitliche Beginn der automobilen Transformation nicht exakt definieren lässt – „und dass wir es aller Voraussicht nach mit lokal unterschiedlichen Entwicklungen zu tun haben, die nicht nur von technologischen, sondern auch stark von politischen und kulturellen Faktoren beeinflusst werden“, so Stürmer. In China zum Beispiel, wo die Regierung klare Anreize zur Etablierung von neuen Mobilitätsformen setzt, dürfte sich der breite Wandel wesentlich früher vollziehen als in den USA. Und in den Städten schneller als auf dem Land. „Die Automobilbranche wird ihre Produktangebote darum in den nächsten fünf bis zehn Jahren stärker ausdifferenzieren müssen, um sowohl klassische als auch moderne Nutzergruppen anzusprechen“, so Christoph Stürmer.

Dabei spricht vieles dafür, dass der Trend zum autonomen Fahren – in Kombination mit Car-Sharing – die Branche weitaus nachhaltiger verändern wird als der elektrische Antrieb. Ein Beispiel: Heutige Autos werden in Deutschland im Schnitt gut 17 Jahre alt. Dagegen zeigt die PwC-Studie, dass selbstfahrende, im Sharing-Betrieb genutzte Autos aufgrund des viel höheren Verschleißes nur noch knapp vier Jahre in Betrieb sein dürften. „Die Zahl der im Verkehr benötigten Fahrzeuge sinkt also, zugleich steigt der Absatz strukturell weiter an, weil es mehr Ersatzbedarf gibt“, erläutert Kuhnert. „Und logischerweise wird auch das Verkehrsaufkommen noch einmal zunehmen, da individuelle Mobilität günstiger, besser und komfortabler genutzt werden kann. Andererseits werden autonome, geteilte Autos viel seltener geparkt sein, und damit kostbaren Verkehrsraum freigeben. Ebenso werden intelligente Konnektivitäts-Lösungen bis hin zu zentralen Verkehrsmanagement-Systemen die Effizienz und Sicherheit des Straßenverkehrs nachhaltig erhöhen. Die Folge: Selbst auf Basis der heutigen Infrastruktur wird viel mehr Mobilität möglich sein.“

Neue Mobilität braucht neue Fahrzeuge – und neue Komponenten
Für die deutsche Zulieferindustrie bedeutet dies: Die Zukunft wird zwar um einiges anders werden, was aber nicht unbedingt zulasten der Absatzchancen gehen muss – im Gegenteil. So sagt die PwC-Studie für 2030 bereits einen Anteil selbstfahrender Autos (Level 4 und 5) an den Neuzulassungen von 36 Prozent in China und 28 Prozent in Europa voraus. „Weil das autonome Fahren zum Beispiel ein aktives Fahrwerk mit vielfältigen Kompensationsfunktionen erfordert, braucht es allein in diesem Bereich einer Vielzahl neuer Komponenten“, sagt Kuhnert. Zudem müsse die gesamte Karosserie auf den wesentlich leiseren elektrischen Antrieb ausgelegt werden – und darauf, dass bei elektrischen Autos viel weniger Energie für Heizung, Klimatisierung und andere Systeme zur Verfügung steht.

Damit wächst zum Beispiel der Wertanteil der elektrischen und elektronischen Komponenten wie Stromversorgung, Sensoren und Aktuatoren, Datenverbindungen und Rechenleistung massiv. Laut PwC-Analyse dürfte sich hier der Beitrag zur Wertschöpfung allein für den deutschen Markt von knapp sieben Milliarden Euro um über 50 Prozent auf mehr als elf Milliarden Euro erhöhen – obwohl einzelne Komponenten einem zum Teil drastischen Preisverfall unterliegen dürften.

Christoph Stürmer, Global Lead Analyst von PwC Autofacts
„Diese absehbare Entwicklung könnte dazu führen, dass das zwischenzeitliche Umsatzwachstum bei autonomen Fahrfunktionen und Konnektivität bald wieder abebbt. Dadurch dürfte es auf mittlere und lange Sicht zu einer Konsolidierung der angebotenen Technologien in diesem Bereich kommen – worauf sich die Unternehmen schon heute vorbereiten sollten.“

Viele neue Opportunitäten ergeben sich im Bereich Interieur – „schließlich werden wir in autonomen Fahrzeugen ganz anders ‚leben‘, als wir das heute tun, wo wir meist selbst am Steuer sitzen“, so Stürmer. Ein einfaches Beispiel: Da es in sogenannten Robo-Taxis keinen Fahrer mehr gibt, der für die zentrale Steuerung aller Funktionen zuständig ist, müssen auch alle anderen Sitze im Auto mit vielfältigen Informations- und Bedienfunktionen ausgerüstet werden. Folge: Kommt die Innenausstattung für den deutschen Automobilmarkt aktuell auf einen Wertschöpfungsbeitrag von sieben Milliarden Euro jährlich, könnten es 2030 knapp zehn Milliarden Euro sein. Insbesondere in diesem Bereich ist aktuell die Wertschöpfung fast ausschließlich bei den Zulieferern angesiedelt. Gut möglich, dass das Interieur deshalb demnächst zu einem Kandidaten für In-Sourcing-Strategien von Autoherstellern wird.

Warum deutsche Zulieferer weiterhin in der Pole-Position sind
Dafür allerdings seien einschneidende Änderungen beim Geschäftsmodell notwendig. Dass die Struktur der hiesigen Zulieferindustrie vorwiegend mittelständisch geprägt ist, bedeutet Kuhnert zufolge keinen Nachteil. „Die Autoindustrie tritt in eine Phase ein, die so transformativ ist, dass es nicht nur Manager, sondern echte Unternehmer braucht, die den notwendigen Wandel einleiten und führen. Insofern könnte die eigentümergeführte Struktur sogar im Vorteil sein.“ Auch sehr große, börsengelistete Zulieferer können im Rahmen ihres strategischen Portfoliomanagements die erforderliche Agilität und Weitsicht umsetzen.

Allerdings erfordern grundlegende Änderungen des Geschäftsmodells auch große Risikobereitschaft und Kapitalkraft. Dazu wiederum benötigen die Firmen die entsprechende Unterstützung der Kreditindustrie: „Die deutschen Banken sind gut darin, das normale operative Geschäft zu finanzieren, haben jedoch seit der großen Krise 2009 die Sicherheitsanforderungen an die Unternehmen weiter verschärft. Die Transformationen der nächsten Jahre werden hohe Investitionen in zum Teil völlig neue Geschäftsfelder erfordern – was sich mit klassischen Finanzierungsinstrumenten nur schwer abbilden lässt“, so PwC-Experte Stürmer. Es wird also neuer, möglicherweise unkonventioneller Finanzierungsquellen bedürfen, um die Transformation der Automobilindustrie zu finanzieren. Und so lautet eine Empfehlung der PwC-Untersuchung: Die klassischen Kreditinstitute wären gut beraten, sich das zukünftig weiterwachsende Automotive-Geschäft nicht entgehen zu lassen.

Quelle

PwC | 2018

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