Diesel-Fahrverbote ab dem 1. Januar 2018 als rechtlich umsetzbar
Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts Stuttgart
Deutsche Umwelthilfe fordert Ministerpräsident Kretschmann auf, zum Wohle seiner Bürger in der am stärksten von Dieselabgasgiften belasteten Stadt Deutschlands das Urteil anzunehmen und zum 1. Januar 2018 Diesel-Fahrverbote einzuführen – 102-seitige Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts Stuttgart zum Sieg der DUH in Klage gegen das Land Baden-Württemberg zur „Sauberen Luft in Stuttgart“ liegt seit dem 4.9.2017 vor – Gericht bewertet die Software-Nachrüstung schon deshalb als ungeeignet, weil sie rechtlich unverbindlich ist.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit seinem nun schriftlich vorliegenden Urteil der Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen das Land Baden-Württemberg in vollem Umfang stattgegeben. Die DUH forderte insbesondere die Einführung von umfassenden Fahrverboten für Diesel-Fahrzeuge im gesamten Stadtgebiet spätestens zum 1. Januar 2018. Das Gericht stellte klar, dass die bislang vorgesehenen Maßnahmen nicht ausreichen, um die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen und die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) schnellstmöglich einzuhalten. Unter „schnellstmöglich“ sei eben nicht, wie vom Land vorgebracht, das Jahr 2020, sondern der 1.1.2018 zu verstehen. Ganzjährige Diesel-Fahrverbote in der Stuttgarter Umweltzone, so das Gericht, seien unausweichlich, rechtlich zulässig und stellten keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar. Die britische NGO Client Earth, die die Klage der DUH unterstützt, begrüßt die klare Urteilsbegründung.
Das Wirkungsgutachten der baden-württembergischen Umweltamtes LUBW selbst hatte ein Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge als wirkungsvolle Maßnahmen benannt, um den seit 2010 geltenden Luftqualitätsgrenzwert für NO2 so bald wie möglich einzuhalten.
Kurz vor der Verhandlung im Juli 2017 hatte die baden-württembergische Landesregierung auf Druck der Diesel-Konzerne die bislang im Entwurf des Luftreinhalteplans vorgesehenen partiellen Fahrverbote gestrichen und sich auf die von der Bundesregierung und den deutschen Autobauern angekündigten Software-Updates von Teilen der Diesel-Pkw Flotte berufen. Dies hatte das Gericht inhaltlich wie formal als ungeeignete Maßnahme bewertet.
„Ich fordere Ministerpräsident Kretschmann dazu auf, das Urteil anzunehmen und zum Schutz der Menschen in Stuttgart zum 1. Januar 2018 ein umfassendes Diesel-Fahrverbot einzuführen. Nur so kann „Saubere Luft für Stuttgart“ und die Einhaltung der Luftqualitätswerte bereits ab 2018 sichergestellt werden. Mit den sinkenden Außentemperaturen beginnt jetzt wieder die Zeit, bei der die modernen Diesel-Pkw ihre Abgasreinigung weitgehend deaktivieren und mit der Ausrede ‚den Motor schützen zu müssen‘ die Lungen von Kindern, Asthmatikern, Alten und vorerkrankten Menschen belasten. Ich hoffe sehr darauf, dass Winfried Kretschmann noch vor der Bundestagswahl der Entscheidung des Gerichts uneingeschränkt folgt, das in seinem Urteil von der Landesregierung die Einhaltung geltenden Rechts fordert. Seit 2005 sträuben sich die zuständigen Behörden, Gerichtsurteile zur Verbesserung der Luftqualität umzusetzen. Die grüne Landesregierung hat sich da bislang von ihren Vorgängern noch nicht entscheidend abheben können. Es ist ein Unding, dass wir sie dazu zwingen müssen,“ sagt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.
Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in dem Verfahren vertritt sagt: „Die Stuttgarter Landesregierung muss jetzt entscheiden, was ihr wichtiger ist: Die Gesundheit der Menschen oder die Interessen von Daimler und Bosch. Das Urteil ist so klar, dass sie der Gesundheit den Vorrang einräumen und das Urteil annehmen muss.“
Ergänzend dazu sagt Rechtsanwalt Ugo Taddei von Client Earth: “The Administrative Court of Stuttgart has clarified that local authorities must act urgently to protect people’s health from harmful air pollution. Given what’s at stake, there is no time to waste waiting for car manufacturers to implement partial and ineffective software updates to diesel vehicles. This judgment sends a strong message across Europe: authorities at all levels must fulfil their legal and moral responsibilities and tackle air pollution immediately.”
Das Urteil des VG Stuttgart folgt einer Reihe von Entscheidungen, die die DUH in den letzten Jahren gewinnen konnte und die mit zunehmender Deutlichkeit den Handlungsauftrag von Behörden unterstreichen. Bislang liegt keine Reaktion der baden-württembergischen Landesregierung dazu vor, ob man das Urteil annehmen oder Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird. Das Verwaltungsgericht hat nicht nur die Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Mannheim, sondern auch die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Die DUH hat dieser Sprungrevision bereits zugestimmt.
Hintergrund:
Seit sieben Jahren wird der gesetzlich vorgeschriebene Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 μg/m3 an allen verkehrsnahen Messstationen in Stuttgart deutlich überschritten. An den Stationen Hohenheimer Straße und am Neckartor lagen die Werte im Jahre 2016 mit 78 μg/m3 bzw. 82 μg/m3 rund doppelt so hoch wie erlaubt. Hinzu kommen an der Station am Neckartor deutliche Überschreitungen des Grenzwertes für die Feinstaubkonzentration PM10. Stuttgart ist damit die schmutzigste Stadt Deutschlands, was die Belastung mit den beiden Dieselabgasgiften Feinstaub und Stickstoffdioxid angeht. Wegen anhaltender Überschreitung der Grenzwerte der 39. Bundesimmissionsschutzverordnung in Bezug auf Stickstoffdioxid (NO2) in Stuttgart hatte die DUH im November 2015 vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Regierungspräsidium Stuttgart, eingereicht. Die DUH hatte beantragt, die verantwortlichen Behörden dazu zu verpflichten, den für die Stadt Stuttgart geltenden Luftreinhalteplan so zu ändern, dass dieser die für das Stadtgebiet Stuttgart erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Grenzwertes für NO2 in Höhe von 40 µg/m3 und des Stundengrenzwerts für NO2 von 200 µg/m3 (der nicht öfter als achtzehnmal im Kalenderjahr überschritten werden darf) enthält. Nach Auffassung der DUH sind Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge die wichtigste Einzelmaßnahme.