Mobile Kraftwerke: E-Autos stabilisieren das Stromnetz
In Hagen wurde das erste Elektrofahrzeug für die Erbringung von Primärregelenergie zugelassen.
Neuartige Elektroautos, wie der Nissan Leaf, besitzen eine bidirektionale Schnittstelle, die es ermöglicht nicht nur Strom zu tanken, sondern diesen bei Bedarf auch wieder in das Netz einzuspeisen. Der Energieversorger ENERVIE aus Hagen hat seit Juni 2018 rund 5 dieser Autos in Betrieb. Die dazu passende Lade- und Energiemanagement-Technologie stammt vom Münchner Unternehmen The Mobility House (TMH).
„Das Projekt in Hagen soll zeigen, wie leistungsfähig Batterien sein können und dass die Fahrzeuge einen Mehrwert für das Energiesystem bringen. Wir glauben, dass sich völlig neue Geschäftsmodelle entwickeln werden, die das Fahrzeug als Teil des Energienetzes betrachten“, berichtet Marcus Fendt, Geschäftsführer bei TMH. „Speicher bieten einen Mehrwert für das Energiesystem, warum sollen das nicht die Speicher aus den E-Autos sein?“, ergänzt er.
Rund 200.000 E-Autos Ende 2018
Anfang des 4. Quartals 2018 zählte das Kraftfahrtbundesamt 195.500 Elektroautos und Plugin-Hybride auf deutschen Straßen. Die Eine-Million-Grenze wird wohl erst im Jahr 2022 geknackt. Ein enormes Potenzial: Denn entgegen seiner eigentlichen Aufgabe steht ein durchschnittliches Auto bis zu 95 Prozent der Zeit herum, ohne bewegt zu werden. Zeit, die mit der so genannten Vehicle-to-Grid-(V2G)-Technologie besser genutzt werden kann. Bei Überproduktion erneuerbarer Energien können bidirektionale E-Fahrzeuge Strom aufnehmen. In Zeiten eines erhöhten Energiebedarfs können die mobilen Batteriespeicher diesen dann auf dem Primärregelenergiemarkt in Regelleistung umsetzen. Versorgungsengpässe werden dadurch ausgeglichen.
E-Mobil als Regelkraftwerk zugelassen
Um diese Aufgabe übernehmen zu dürfen, musste der Nissan Leaf in Kombination mit der intelligenten Steuerung von TMH zunächst als Regelkraftwerk zugelassen werden. Übertragungnetzbetreiber Amprionlegt hierfür hohe technische und regulatorische Anforderungen fest. Nachdem lange an der Hard- und Software gearbeitet wurde, hat TMH das Fahrzeug im Oktober 2018 schließlich als Regelkraftwerk präqualifiziert und wurde erfolgreich in das deutsche Stromnetz integriert – ein Durchbruch zur Etablierung der V2G-Technologie
„Unser Projekt zeigt: Vehicle-to-Grid ist technisch und regulatorisch möglich. Der Proof of Concept ist gemacht. Nun müssen die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es muss belohnt werden, dass nicht alle Autos gleichzeitig ans Netz gehen, wenn die Menschen um 17 Uhr von der Arbeit nach Hause kommen. Wir brauchen ein dynamisches Anreizsystem“, so Fendt. Er glaubt daran, dass durch das Dual-Use-Prinzip Elektromobilität auf Dauer günstiger wird, als herkömmliche Automobile.
Viele kleine Schritte machen irgendwann den Unterschied
Ein Auto allein macht jedoch noch keinen großen Unterschied. Um die Schwankungen der erneuerbaren Energien signifikant ausgleichen zu können, bedarf es mehrerer Millionen bidirektionaler E-Autos. Fendt betont jedoch, dass jedes Auto wichtig sei: „Angefangen beim Auto zuhause, bis hin zu Firmenparkplätzen: Wir müssen klein anfangen und uns sukzessive steigern.“
Neben den Verbrauchern gilt es aber auch auf höherer Ebene umzudenken: „Die zukünftigen E-Autos werden alle bidirektional ausgestattet sein. Technisch gesehen wird es kein Problem sein. Die Herausforderung besteht darin, Marktregularien anzupassen und zwei Industrien zusammen zu bringen. Deutschland ist führend in erneuerbaren Energien und führend in der Automobilbranche. Jetzt gilt es die beiden Branchen mit intelligenter Software zu verbinden. Andere Länder sind da stärker und experimentierfreudiger unterwegs, als wir.“ So sind es in erster Linie Modelle von Mitsubishi und Nissan, die bei der V2G-Technologie hervorpreschen. Die deutschen Hersteller sind noch zurückhaltender. Laut Aussage eines VW-Sprechers, prüfe Volkswagen derzeit den Serieneinsatz einer bidirektionalen Ladefunktion. Wenn die Prüfungen positiv verlaufen, wird die Technologie in den kommenden Jahren schrittweise in allen E-Fahrzeugen verfügbar sein.
Auf eine Tasse Tee
Voraussetzung für das bidirektionale Laden ist nach heutigem Stand ein sogenannter CHAdeMO-Ladeanschluss. Die Abkürzung lässt sich auf den japanischen Satz „Ocha demo ikaga desuka“ zurückführen – was so viel bedeutet wie „Wie wärs mit einer Tasse Tee?“ und auf die Ladezeit eines E-Autos von 15 bis 30 Minuten anspielt. Die in Japan entwickelte Schnittstelle steht in Konkurrenz zum CCS-Anschluss (Combinded Charging System), auf das die europäischen und US-amerikanischen Autohersteller setzen. CCS steckt jedoch noch in den Kinderschuhen, was Bidirektionalität angeht.
Und was ist mit der Lebensdauer der Batterie? Wird die durch das ständige Be- und Entladen nicht drastisch reduziert? Diese kritischen Fragen kann Marcus Fendt nicht ganz von der Hand weisen: „Der Batterieverschleiß ist beherrschbar, wenn das Laden intelligent erfolgt. Das heißt, dass die Autos bestenfalls kurz vorm Losfahren geladen werden und auch nicht komplett entladen werden. In Kooperation mit der TU München haben wir festgestellt, dass je nach Anwendung ein vorzeitiges Altern der Batterien zwar nicht komplett verhindert werden kann, aber sehr gut beherrschbar ist.“
Das Hagener Projekt zeigt: Kritik und Sorgen, dass die wachsende Anzahl Elektroautos das Stromnetz belasten wird, lassen sich mit Hilfe der V2G-Technologie – und einer Tasse Tee – aus dem Weg räumen.
Hintergrundinformationen
The Mobility House: Eine emissionsfreie Energie- und Mobilitätszukunft zu gestalten – das ist das Ziel von The Mobility House. Unsere Technologieplattform verbindet die Automobil- und Energiebranche. Wir integrieren durch intelligente Lade-, Energie- und Speicherlösungen Fahrzeugbatterien ins Stromnetz. Damit fördern wir den Ausbau erneuerbarer Energien, stabilisieren das Stromnetz und machen Elektromobilität günstiger. Das Technologieunternehmen The Mobility House wurde 2009 gegründet und ist von den Standorten München, Zürich und Sunnyvale (CA) weltweit in über 10 Ländern aktiv. Neben vielen führenden Automobilherstellern sind unsere Kunden Fuhrparkbetreiber, Installationsunternehmen, Energieversorger und Elektroautofahrer.
Elektromobilität in NRW
Das Thema E-Mobilität ist derzeit ein Fokus der Landespolitik in Nordrhein-Westfalen. Im Auftrag des NRW-Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie bündelt die Dachmarke „ElektroMobilität NRW“ Informationen zu E-Mobilität unter der Führung des Kompetenzzentrums ElektroMobilität NRW und der EnergieAgentur.NRW. Zusätzlich werden Veranstaltungen, Workshops und Seminare für Politik, Wirtschaft, Forschung, Verwaltung und die Bürgerschaft des Landes NRW organisiert sowie Beratungen und Informationsangebote zu Förderprogrammen angeboten.