Verkehrssektor: Klimaschutzziele erfordern Strom aus erneuerbaren Energien als Hauptenergieträger
Bislang konnte der fast ausschließlich auf dem Einsatz von Benzin und Diesel basierende Verkehrssektor sich nahezu unabhängig von den restlichen Energieverbrauchssektoren entwickeln.
„Mit dem Ziel einer nahezu CO2-freien Energieversorgung ist auch ein Umbau der Energieversorgung des Verkehrssektors nötig. Das bedeutet eine Verknüpfung mit anderen Sektoren, die den Anforderungen der zukünftig primär auf erneuerbarem Strom basierenden Energieversorgung gerecht wird. Der Verkehrssektor muss damit insbesondere vor dem Hintergrund der Energiewende im Stromsektor betrachtet werden,“ fasst Projektleiter Norman Gerhardt vom Fraunhofer IWES in Kassel die Ergebnisse eines vom BMWi geförderten Forschungsprojekts zusammen. Dieser Entwicklung stehe jedoch die ungleiche Kostenbelastung von Strom und fossilen Kraftstoffen im Wege.
Wie kann die Energiewende im Verkehrssektor aussehen? In welchen der Sektoren Strom, Wärme oder Verkehr sollte die begrenzt verfügbare Biomasse eingesetzt werden? Welche Energieträger haben Chancen im Mobilitätssektor?
Diese Fragen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fraunhofer-Institute IWES und IBP in Kassel, der Stiftung Umweltenergierecht in Würzburg und des ifeu – Instituts für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg in Hinblick auf steigende Anteile fluktuierender erneuerbarer Energien im Strombereich unter Berücksichtigung der europäischen Entwicklung untersucht. In dem vom BMWi geförderte Forschungsprojekt „Interaktion EE-Strom, Wärme und Verkehr“ wurde die Interaktion zwischen diesen Sektoren in Deutschland untersucht. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand dabei die Frage, wie ein kostenoptimiertes Gesamtenergiesystem im Jahr 2050 aussehen könnte, das dem Ziel gerecht wird, eine Minderung der Treibhausgasemissionen in Deutschland und Europa um 80 % gegenüber 1990 zu erreichen.
Die entwickelten Handlungsempfehlungen ihrer „Roadmap Verkehr“ und ihrer Konsequenzen hat das Projektkonsortium heute in einem Stakeholder-Workshop im Fraunhofer-Forum in Berlin Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft zur Diskussion gestellt. „Mit zunehmendem Ausbau der Solar- und Windenergie wird Strom als Hauptenergieträger im Verkehrssektor umso bedeutender, weil dadurch im Stromnetz nicht nutzbare Erzeugungsspitzen insbesondere durch Photovoltaik gut in speicherbare Antriebsenergie gewandelt werden kann.“ erklärt Norman Gerhardt.
Hierzu wurden modellbasierte Analysen zur Entwicklung des Energieverbrauch als auch den Kosten für den Strom- (Fraunhofer IWES; Zubauoptimierung Strom- und Energiesektor), Wärme- (Fraunhofer IBP; Gebäude) und Verkehrssektor (IFEU; TREMOD – Verkehrssektor) durchgeführt. Als zentrales Bewertungsmodell steht hierbei die sektorenübergreifende (Strom, Wärme, Verkehr) Zubauoptimierung (Europa und Deutschland) im Mittelpunkt, welche es ermöglicht für das Klimaziel entsprechend der Rahmendaten das kostenminimale Energieversorgungsystem (Investition und Anlageneinsatz) zu ermitteln. Eine dynamische Simulation mit hoher zeitlicher Auflösung gewährleistet dabei, die Herausforderungen und Chancen, welche mit einer zunehmenden Nutzung fluktuierender wetterabhängiger Windkraft und Solarenergie einhergehen, konsistent abzubilden.
Im Rahmen dieser Zubauoptimierung wurden in verschiedenen Verkehrsszenarien eine Reihe von Technologieoptionen für das Jahr 2050 betrachtet, die über die Energienachfrage und Emissionen des Verkehrs sowie die Charakteristik der Stromnachfrage in Rückkopplung mit dem Gesamtsystem stehen. Hierdurch konnte der Technologie- und Entwicklungspfad des Verkehrssektors ermittelt werden, welcher für das Gesamtsystem kostenoptimal ist. Darauf basierend wurden eine Roadmap und Handlungsempfehlungen entwickelt, die auch unter rechtlichen Rahmenbedingungen betrachtet wurden (Stiftung Umweltenergierecht). Das Projekt soll bis Mitte des Jahres beendet werden.
Die gesamten zentralen Aussagen zur Ausgestaltung der Interaktion zwischen den Energiesektoren Strom und Verkehr haben die Projektpartner in den folgenden Kernaussagen zusammengefasst:
1. Der Verkehrssektor verschmilzt in Zukunft immer stärker mit dem Energiesektor. Um Synergien bei der Energieerzeugung, der Speicherung und Nutzung zu gewinnen, müssen im Sinne einer möglichst kostenminimalen und ressourceneffizienten Erreichung der Klimaziele alle Sektoren gemeinsam betrachtet werden.
2. Das kostenoptimale Szenario im Jahr 2050 ist dabei, mit einer Minderung der THG-Emissionen im Verkehrsbereich von 74 % (2050 vs. 1990), die Variante mit der höchsten THG-Reduktion aller betrachteten Technologieoptionen und möglichen Entwicklungspfade im Verkehr.
3. Die Schlüsseltechnologie des kostenoptimalen Verkehrsszenarios ist die direkte Stromnutzung (Elektrifizierung): Oberleitungshybrid-Lkw bei den SNF, BEV und PHEV bei den Pkw. Eine zusätzliche Kostenminderung des Gesamtsystems erfolgt durch den Ersatz von derzeit flüssigkraftstoff-betriebenen Verbrennungsmotoren in den PHEV durch gas-angetriebene.
4. Die Minderung des Endenergieverbrauchs im Verkehr (- 52% gegenüber 2005) geht durch die Dominanz der direkte Stromnutzung deutlich über die Ziele des Energiekonzepts der Bundesregierung (-40 % im Jahr 2050 ggü. 2005) hinaus.
5. Der Kostenvorteil der direkten Stromnutzung ergibt sich erst, wenn die Systeme ausgebaut sind. Dieser Ausbau muss durch Fördermaßnahmen unterstützt werden:
- a. Batteriegestützte Elektromobilität beim Pkw und kleinen Lkw benötigt in der Markthochlaufphase regulatorische Maßnahmen, um individuelle Nachteile (Kosten, Reichweite) auszugleichen.
- b. Elektromobilität stellt neben einer Erhöhung der Systemeffizienz auch ein hohes Flexibilitätspotenzial zur Integration fluktuierender EE, insbesondere der Photovoltaik, dar. Um dieses Potenzial zu heben sind regulatorische Maßnahmen notwendig, wie die Einführung dynamischer Umlagen (z.B. EEG) oder der Anreiz einer öffentlichen und gewerblichen Ladeinfrastruktur.
- c. Ein hoher Anteil Elektromobilität im Güterverkehr wird durch den Einsatz des Oberleitungshybrid-Lkw ermöglicht. Für den Aufbau der dafür benötigten Infrastruktur (Autobahn-Stromnetz) müsste ein regulatorischer Rahmen geschaffen werden.
6. Der Einsatz von Wasserstoff im Verkehrssektor ist sehr von den Strombezugskosten (Flexibilität ↔ Elektrolysekosten bzw. Auslastung) abhängig.
7. Die Nutzung von Biokraftstoffen ist wirtschaftlicher als eine Nutzung von strombasierten chemischen Energieträgern wie Power-to-Gas und Power-to-Liquid, jedoch ist das Potenzial an nachhaltiger Biomasse aufgrund der beschränkten Anbauflächen und Nutzungskonkurrenz begrenzt. Zur Erreichung der Klimaziele müssen daher auch strombasierten chemischen Energieträger im Verkehr eingesetzt werden.
8. Die Fahrzeugkosten der neuen Technologien (Kaufpreis, Abschreibung) sind im zukünftigen Massenmarkt aufgrund von Lernkurveneffekten nicht wesentlich höher als Referenztechnologien heute. Sie sind aber weiterhin der größte Kostenfaktor im Vergleich zu Energiekosten und Energieinfrastrukturkosten für den Verkehr.
9. Der Kostenunterschied zwischen den untersuchten Technologiepfaden des Verkehrs wird durch die Kosten für die Energiebereitstellung geprägt. Deswegen werden Effizienz und direkte Stromnutzung langfristig entscheidend.
10. Die Berücksichtigung der höheren Treibausgaswirkung von Flugemissionen in großer Höhe bei gleichem Gesamtziel (Europa -80 % THG) würde zu einer Steigerung des Strombedarfs in Deutschland um 25 % führen. Denn es werden dann deutlich höhere Anteile an erneuerbaren chemischen Energieträgern wie PtG und PtL benötigt.
Quelle
Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES 2015