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© Depositphotos.com | AndreyPopov | Viele erfolgreiche kommunale Bürgerenergieprojekte zeigen heute schon den Weg, wohin die Energiereise gehen wird: in eine 100%-Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien und Speichern und eben nicht in Erdgas, Erdöl, Kohle oder gar Atomkraft.

Bürgerenergieprojekte zeigen, wie man günstigeren Strom produziert als mit neuen Erdgaskraftwerken

Kanzler Merz will nun sogar 36 Gigawatt neue, klimaschädliche Erdgaskraftwerke bei der EU beihilferechtlich genehmigen lassen. Begründung: Der Ausbau der Netze laufe schleppend, und daher müsse der Ausbau der Erneuerbaren Energien verlangsamt werden.

Die Anmeldung des Kanzlers zur staatlichen Beihilfe für Erdgaskraftwerke zeigt bereits, dass Erdgaskraftwerke nicht billig sind und sich am Markt eben nicht selbst behaupten können. Deshalb benötigen sie hohe neue staatliche Subventionen, die von der EU-Kommission genehmigt werden müssen.

Das ist auch nachvollziehbar: Strom aus neuen Erdgasspitzenlastkraftwerken kostet nach Analysen der US-Investmentbank Lazard etwa 11 bis 23 Cent/kWh; Solarstrom mit Speichern dagegen nur 6 bis 21 Cent und Windstrom mit Speichern sogar lediglich 5 bis 13 Cent/kWh.

Es gibt viel günstigere Alternativen als Erdgaskraftwerke, um die Versorgungssicherheit mit weiterem Ausbau der Erneuerbaren Energien zu schaffen

Wie also Merz und Reiche billigen Strom mit neuen Erdgaskraftwerken erzeugen wollen, bleibt das Rätsel dieser beiden Politiker*innen.

Wer die Strombörse kennt, sieht schnell: Immer, wenn es viel Strom aus Wind und Sonne gibt, dann sind die Börsenstrompreise sehr niedrig, manchmal sogar negativ. Und wenn Wind- und Solarstrom wetterbedingt schwach sind, springen Erdkraftwerke ein, und die Strompreise an der Börse steigen sehr hoch. Nun sollen diese neuen, sehr teuren Erdgaskraftwerke zusammen mit der Verlangsamung des Ausbaus der viel günstigeren Erneuerbaren Energien den Strompreis verbilligen?

Da kann man schon an den intellektuellen Fähigkeiten von Merz und Reiche Zweifel bekommen.

Als Begründung werden die angeblich hohen Kosten für den Ausgleich der Schwankungen von Sonne und Wind vorgeschoben. Doch auch das kann man viel günstiger mit einem Mix aus allen Erneuerbaren Energien – Wasserkraft, Bioenergie, Geothermie, Speichern und flexibilisierter Nachfrage – realisieren, wie die Energy Watch Group längst vorgerechnet hat.

Die bei der EU-Kommission angefragten Beihilfegenehmigungen für Erdgaskraftwerke bedeuten nichts anderes, als dass der ohnehin schon überschuldete Staatshaushalt durch neue Erdgaskraftwerke weiter belastet würde. Wir alle als Steuerzahler*innen sollen also zu einem großen Teil die Investitionen für die angeblich billigen Erdgaskraftwerke tragen.

Dabei ist der Staatshaushalt bereits jetzt stark verschuldet, weshalb der Bundesrechnungshof der Regierung Merz/Klingbeil vorgeworfen hat, den Bund mit einer unsoliden Haushaltsführung in eine neue Schuldenspirale zu treiben.Er könne dann die staatlichen Kernaufgaben nicht mehr aus den Einnahmen finanzieren. „Der Bund lebt strukturell über seine Verhältnisse“, so der Bundesrechnungshof.

Angesichts der hohen Kosten für Erdgaskraftwerke muss es also andere Hintergründe für die Motivation von Merz und Reiche geben – und die sind auch schnell gefunden: ihre Bedienung des Lobbyismus der fossilen Wirtschaftsinteressen der Erdgasindustrie.

Mit viel Bürgerenergie können wir den teuren Erdgasausbau noch verhindern

Der Versuch, die Strompreise durch einen Erdgasausbau zu senken, kehrt sich also ins Gegenteil: Die Strompreise werden erheblich steigen. Steigende Strompreise werden aber ein zunehmender Anreiz für Millionen von Bürger*innen und Unternehmen sein, ihren Strom lieber selbst günstiger mit Solar, Wind, Biogas, Wasserkraft und Speichern zu produzieren, als den teuren Strom aus dem Netz zu kaufen.

Und sie wissen dann auch, was ihr eigener Strompreis in den nächsten 20 Jahren kosten wird – etwas, das sie wegen der Erdgas-LNG-Lieferanten Putin, Trump, Katar-Ölscheichs schon im kommenden Jahr nicht wissen können, wenn diese erneut Erdgas oder Erdöl als politische Waffe einsetzen.

Wenn also die bürgerlichen Investitionen in Erneuerbare Energien stark steigen, werden die Konzerne keinen Absatzmarkt mehr für ihren teuren Erdgasstrom sehen und von ihren Investitionsplänen absehen, selbst wenn hohe staatliche Subventionen winken. Genau das ist die Chance, die wir alle ergreifen sollten, damit die neuen klimaschädlichen Erdgaskraftwerke nicht kommen.

Viele erfolgreiche kommunale Bürgerenergieprojekte zeigen heute schon den Weg, wohin die Energiereise gehen wird: in eine 100%-Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien und Speichern und eben nicht in Erdgas, Erdöl, Kohle oder gar Atomkraft.

Millionen Bürger*innen und Unternehmen werden dem Beispiel solcher kommunalen Bürgerenergieprojekte folgen, ihren Strom selbst produzieren und nicht mehr oder nur noch zu geringen Mengen aus dem Netz kaufen. Das ist dann das K.O. für Strom aus Erdgas, Kohle und Atom – aber die Umwelt wird sauber, und der Klimaschutz wird vorangebracht.

Ein paar wenige, jüngere, vorbildliche Projekte aus einer großen Zahl beleuchten die Kraft und Vorteile der kommunalen Bürgerenergie schlagartig.

Das Bürgersolarkraftwerk in Ochsenfurt

Der neue Solarpark mit 70 Megawatt in Darstadt, einem Ortsteil der Stadt Ochsenfurt im Landkreis Würzburg, ist in Betrieb gegangen. Einen Teil der Freiflächen-Photovoltaikanlage hat die EGIS eG als Bürgersolarpark realisiert. Die Genossenschaft organisiert als Bürgerenergiepartner die Beteiligung der Bevölkerung über Genossenschaftsanteile. Bürgerinnen und Bürger können über die EGIS eG am Projekt partizipieren, denn sie erhalten eine jährliche Dividende, unter anderem vom Ertrag ihres Solarparks.

Die Betreiber – Max Solar und die EGIS eG – zahlen zusätzlich jährlich eine freiwillige Kommunalabgabe im sechsstelligen Bereich an die Stadt Ochsenfurt. Dieses Geld kann beispielsweise für Spielplätze, Kindergärten, die Vereinsgemeinschaft oder andere kommunale Projekte verwendet werden. Auf 30 Jahre gerechnet fließen somit rund 4,8 Millionen Euro durch die Photovoltaikanlage in den städtischen Haushalt. Hinzu kommen Einnahmen aus der Gewerbesteuer.

Das Besondere an diesem Solarpark ist: Die Finanzierung erfolgt ausschließlich über langfristige private Stromlieferverträge (PPA – Power Purchase Agreements). Es wird also nicht einmal die gesetzliche Einspeisevergütung benötigt. Damit erhalten gewerbliche Kunden aus der Region günstigen Strom aus der Solaranlage und können so wirtschaftlich besser bestehen.

Mit den von Merz und Reiche geplanten neuen Gaskraftwerken hätte die Kommune Ochsenfurt keine Gewerbesteuereinnahmen, keine freiwillige Solarabgabe, die Bürger*innen keine Einnahmen aus der Stromerzeugung, und die Gewerbeunternehmen keinen günstigen Solarstrom – lediglich einige Konzerne wie E.On oder EnBW würden noch reicher werden.

Koblenz: Kommunale Unternehmen gründen Gesellschaft, um mit Bürgerkapital Solaranlagen auf Schulen und anderen kommunalen Gebäuden zu bauen

Die Stadt Koblenz, die Stadtwerke Koblenz und die evm haben gemeinsam die KO-Solar GmbH gegründet, eine Gesellschaft zum verstärkten Ausbau von Solaranlagen. Damit wollen sie städtischen Liegenschaften wie Schulen und Verwaltungsgebäuden günstigen Strom ermöglichen, damit diese ihre anderen Aufgaben besser wahrnehmen können. Finanziert werden die Solaranlagen, einschließlich der Speicher, hauptsächlich über Bürgerkapital.

Der Umbau der Kläranlage in Bad Kissingen

Vorbildlich auch das kommunale Kläranlagenprojekt in Bad Kissingen.

Kläranlagen sind oft die großen, teuren Energiefresser in Kommunen. Die Kissinger Kläranlage beispielsweise benötigte bislang etwa so viel Energie wie der Stromverbrauch von rund 2.800 Bürger*innen pro Jahr. Aufgrund steigender Energiekosten werden Kläranlagen damit zunehmend teuer. Einen hohen CO₂-Ausstoß verursachen Kläranlagen zudem durch den hohen Erdgasverbrauch.

Die Stadt Bad Kissingen setzt auf eine Lösung, die zwar zunächst einige Investitionen erfordert, aber letztlich Planungssicherheit, Kostensicherheit und CO₂-Neutralität verspricht. Die geplanten Maßnahmen haben ein Investitionsvolumen von rund 17 Millionen Euro und sollen die Kläranlage zukünftig mit 100 % Erneuerbaren Energien versorgen. Diese Selbstversorgung mit Energie schafft eine nahezu hundertprozentige Preisstabilität für die nächsten 20 Jahre. Das wird sich auch in der Preisstabilität der Abwassergebühren niederschlagen.

Am Sonntag, 12. Oktober, findet ein Tag der offenen Kläranlage statt. Interessierte können von 10 bis 17 Uhr die Kläranlage besichtigen und sich über die geplanten Maßnahmen informieren. Der Tag steht unter dem Motto: „Vom Klärwerk zum Energiewerk“.

Ich kann nur allen Bürger*innenund vor allem den kommunalen Entscheidungsträger*innen empfehlen, diese einmalige Informationsgelegenheit wahrzunehmen.

Bürgersolarkraftwerk im von der Flutkatastrophe verwüsteten Landkreis Ahrweiler

Die Menschen im Ahrtal wissen nur zu genau, was es bedeutet, wenn die Erdaufheizung zum Beispiel durch Methan- und CO₂-Emissionen aus neuen Erdgaskraftwerken weiter voranschreitet. Sie haben 2021 einen schlimmen Starkregen erleben müssen, der Häuser, Brücken und Straßen komplett zerstörte und fast hundert Menschen das Leben kostete.

Viele wollen dort nun mit eigener Bürgerenergie Klimaschutz betreiben und ihre eigene günstige Stromerzeugung schaffen, wie ich letzte Woche als Redner bei einer großen Veranstaltung der Kreisverwaltung erleben durfte. Erfreut war ich über die vielen bürgerlichen Projekte, die auf der Veranstaltung vorgestellt wurden.

So auch die BürgerEnergie Rhein-Sieg eG (Rhein-Sieg-Kreis).Sie plant neue Solarparks. Die ersten zwei PV-Freiflächenanlagen sollen bereits 2026 im Kreis Ahrweiler und im Rhein-Sieg-Kreis in Betrieb genommen werden. Um frühzeitig die Vorarbeiten starten zu können, wurde das regionale Unternehmen F & S solar service GmbH aus Euskirchen mit Bau und Errichtung der Solarparks in Sinzig und Much beauftragt.

Das Besondere: Die Freiflächenanlagen werden in großem Maße durch Beteiligung von Bürger*innen finanziert. Damit werden die Freiflächenanlagen zum „BürgerSolarpark“.

Kommunale bürgerliche Energieprojekte schaffen für hochverschuldete Kommunen finanziellen Spielraum oder gar Schuldenfreiheit

Der Bezirkstagpräsident im Bezirk Unterfranken hat gerade Alarm geschlagen: Die hohe Schuldenbelastung der fränkischen Kommunen. Sie würden bald ihren Offenbarungseid leisten müssen.

Dabei gibt es durchaus schuldenfreie Kommunen in Deutschland, wie die Hunsrück-Gemeinde Fohren-Linden. Sie ist schuldenfrei dank der Windenergie.

Überhaupt hat der gesamte Landkreis Rhein-Hunsrück mit seinen Gemeinden einen sehr niedrigen Schuldenstand, weil dort schon seit über 25 Jahren hohe Investitionen in Solar- und Windparks sowie in Nahwärme mit Bioenergie getätigt wurden. So konnten die hohen Ausgaben für den Einkauf von Erdöl, Erdgas oder Atom- und Kohlestrom vermieden und stattdessen Einnahmen mit Erneuerbaren Energien erzielt werden. Das hat den Landkreis Rhein-Hunsrück von einem der Armenhäuser Deutschlands in den 1990er Jahren heute in einen wohlhabenden Landkreis verwandelt.

Mit Erdgaskraftwerken, die sicher in anderen Regionen investiert würden, hätte der Landkreis Rhein-Hunsrück die weitgehende Schuldenfreiheit nie erreicht.

Neues Buch: Michael Bukowski: ein deutsches Sonnenmärchen

Es gibt viele solcher bürgerlichen Erfolgsgeschichten. Sie alle wurden möglich durch das deutsche EEG. Ein neues Buch kommt jetzt zur rechten Zeit und zeigt, wie weit die Solarrevolution weltweit, angestoßen durch das EEG in Deutschland, gekommen ist.

Darin steht alles, was Merz und Reiche nicht wissen oder nicht wissen wollen: Das deutsche Sonnenmärchen hat die Welt bereits revolutioniert und wird sie noch immer schneller verändern. Die Erdgas-, Erdöl-, Kohle- und Atomlobby fürchten die Solarevolution so stark, dass sie ohne Ende lobbyieren und schmieren – Trump, Macron, Merz und andere –, doch sie werden die Solarrevolution nur noch etwas aufhalten, aber nicht mehr verhindern können.

Und das liegt daran, dass immer mehr Menschen ihren Strom lieber günstig und versorgungssicher selbst erzeugen, statt ihn teuer von Konzernen einzukaufen.

Das Sonnenmärchen ist auch eine Wirtschaftswundergeschichte aus Deutschland, auf die wir stolz sein können. Eine wirklich ungewöhnliche und unwahrscheinliche Entwicklung, dass und wie wir mit dem EEG die einstige Weltraumtechnologie auf den Boden, auf die Erde geholt haben. Und dass die Photovoltaik – einst eine unbezahlbare Träumerei – heute nicht nur unsere saubere Energieversorgung in alle Ewigkeit sichert, sondern auch vieles andere zum Positiven verändern wird.

Quelle

Hans-Josef Fell 2025 | Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG

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