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Machen wir Frieden oder haben wir Krieg?

Hochsicherheitstrakt Kabul – Wie ein UN-Chef dort „behundet, behütet und bebbellt“ war – zu einem wunderbaren Buch von Tom Koenigs, heute MdB und davor UN-Repräsentant in Afghanistan.

Das hält man nicht für möglich: Jemand, der als Seiteneinsteiger in das Diplomaten Geschäft gekommen ist und jetzt eine Bilanz zieht, hat sich einen Stil zugelegt, dass man selten erfrischender und erkenntnisreicher eine Buch-Lektüre zu einem der schwierigsten Politik-Felder beendet: Afghanistan. Es sind herrliche Beobachtungen eines Menschen, der seinen Mutterwitz und Humor ganz ausdrücklich im Hexenkessel des Hochsicherheitstraktes von Kabul nicht verloren hat. Immer wieder geht es um Sicherheit („Also Unsicherheit“, schreibt Koenigs). Er hat zwölf rumänische Leibwächter, warum zwölf, weiss er auch nicht. Aber die sind ihm in der Einsamkeit des Hochsicherheitstraktes sicher lieber als – z.B. ordentliche und Regeldisziplinierte Deutsche. „Ich habe eigentlich immer noch vor so vielen Leuten, die schlampig mit Waffenumgehen, mehr Angst als vor gezielten Angriffen“. Am Ende aber – so schreibt er – war er in Kabul gut „behütet, behundet und bebellt“.

Er beschreibt eine dieser vielen Termine, die mit höchstem Sicherheitsaufwand und Geld nur gemacht werden, um der Klaustrophobie der Hauptstadt zu entgehen. Er beschreibt die sinnlosen Reden bei so einer Gelegenheit, es geht um die Minenräumarbeit. Es werden dann Minen Panzerminen gesprengt mit so Koenigs wörtlich – einem RAWUMM. Er schreibt am Schluss auch wieder so schön unkonventionell, weil man nur mit ein bisschen Frechheit gegenüber Bürokratie und Ordentlichkeit so eine Zeit übersteht: Ich frage mich natürlich, was das soll? Viel Geld ist ausgegeben worden, Viele Soldaten sind bewegt worden, viel Benzin vergeudet worden. Ob das eigentlich WOMAT sei? Und der löst das Wort auf: „Waste of Money and time. Er würde da vielleicht noch Life dazu fügen, also WOMLAT sagen.

Man merkt dem UN-Hochrepräsentanten an, wie gern er jetzt wieder normal geworden ist. Denn der diplomatische Zirkus und der Zirkus von Sicherheit, also Unsicherheit ist so pompös und filigran, dass man da nur mit Jandl und Wilhelm Busch sich retten kann. Beim japanischen Botschafter und der Einladung nach Tokyo kommt ihm Jandl in den Sinn: „There is a Fleck on the Flag, let’s putzen“. Und er fragt sich: was soll er denn eigentlich in Tokio, wo er noch nicht mal 30 Kilometer außerhalb von Kabul war. Wilhelm Busch sei da positiver. „Schön ist es auch anderswo und hier bin ich sowieso.“ Es sind Tagebuch Happen, die er sich als Autor und auch dem Leser zumutet. Es ist hart an der Grenze zu einer Generalkritik von allem, was das westliche Bündnis da seit zehn Jahren gemacht hat. Rangeen Spanta, der damalige Außenminister und jetzige Sicherheitsberater des Präsidenten Karzai, sagt ihm sibyllinisch: Kein Land der Welt hält fremdes Militär über zehn Jahre aus. Na ja.

Im Bildungsbereich sieht er noch massiven Bedarf der Zusammenarbeit. Denn da sind jetzt 140.000 Schülerinnen und Schüler mit Hochschulbefugnis, nur 60.000 von denen dürfen an eine Hochschule. Dass wir knauserig sind mit dem Goethe Institut, während für die Bundeswehr alle Nahrungsmittel eingeflogen werden, kann er auch nicht verstehen. Immer wieder zuckt durch das Buch die für uns Deutsche erfreuliche Nachricht, wie gerne Afghanen mit uns Deutschen den zivilen Aufbau machen würden.Er kann diese Bürokratiewelt manchmal nicht ertragen. Sie reden sich um Kopf und Kragen und bekommen nichts hin. Und immer wieder geht es um Unsicherheit. Er wird nachts geweckt, weil es mal wieder gerummst hat.

Mal ist das einfach die Tatsache, dass wegen eines Betriebsfehlers sich ein Boiler in der Nachbarsiedlung aufgeheizt hat und explodiert ist. Die afghanische Polizei sei dann der Meinung, eine Granate sei im Boiler versteckt worden. Andere erzählen – so berichtet der höchste UN-Beamte in Kabul – „die Hälfte der Raketen in Kabul würde von der Polizei selbst abgefeuert, um die Sache dann schnell aufklären zu können und irgendjemand in die rauchenden Schuhe zu schieben. Zum höheren Preise der Polizei und zum beweis, dass der Polizeichef nicht korrupt, sondern effektiv sei und zum General befördert werden solle“.

Das Buch beginnt mit der breit ausgemalten Geschichte des sog. Konvertiten Abdul Rahman, der wahrscheinlich mit diesem Trick nur aus Afghanistan herauswollte, was Hunderttausende von Afghanen wollen, und schon besonders nach Deutschland. Im März 2006 kann er in Mazar i Sharif die Blaue Moschee besuchen, zu der am 21. März also dem afghanischen Neujahrsfest die Afghanen in einer Zahl bis zu zwei Millionen pilgern. Die Moschee darf man nur ohne Schuhe betreten. Es gibt dann einen Schuhbewacher, der offenbar in der Lage sei, „die Schuhe von zwei Mio Pilgern auseinanderzuhalten“. Als Ungläubiger darf Koenigs nicht in die Innenräume. Hinter ihm die zahlreichen Leibwächter, die auf dem heiligen Gelände alle ihre Waffen bei sich, „die Schuhe aber mussten auch sie ausziehen“. Da macht der ex-Chef von UNAMA noch einen nobelpreiswürdigen Vorschlag zur Verbesserung: „Schuhe anlassen und Waffen ausziehen – aber das erlaubt wohl der Prophet nicht“.

Das Buch gehört auch in die Hände von MdBs, die so gerne und so einfach, arrangiert wie eine Ehe von der Bundeswehr, nach Afghanistan fliegen und den Journalisten bis zur Tagesschau. Letztere haben immer für Sicherheit („also Unsicherheit“) nur eine Erklärung, ein Wort: Taliban. Dazu lohnt es sich Koenigs zu lesen: Die Reihe der Störenfriede ist lang:

  1. die Kriminalität, die in schwachen Ländern grassiert. Das große Geld komme zu 95 % aus dem Drogenanbau.
  2. die Selbstmordattentäter: Opfer seien meist die Afghanen.
  3. IED, „Improvised Explosive Devices“, selbstgemachte Bomben, meist aus alten Munitionsteilen zusammengebastelt.
  4. Dann kommen 4. erst die Taliban. Das Wiedererstarken der Taliban habe auch mit der Schwäche und Korruption der Karzai-Regierungsvertreter zu tun.
  5. Natürlich gibt es auch Al Qaida, die habe wohl in Pakistan eine Basis. Erfolge gäbe es hier wenige.
  6. gibt es noch die alten Rechnungen aus dem Krieg gegen die Sowjets, aus dem Bürgerkrieg gegeneinander, dazu örtliche Streitigkeiten zwischen den Warlords.
  7. die Rocket-propelled grenades, die von überall kommen können.

Er beobachte in seiner Zeit, so Tom Koenigs, dass es keine gemeinsame Strategie für Erfolge gäbe. Zurzeit (2010f.) sähe es so aus, dass die Feinde Nr. 1 – 7 auf dem Vormarsch wären. Und nicht WIR, „schon gar nicht little me“. So bescheiden bilanziert das Buch die Unsicherheitsdebatte.

Quelle

Rupert Neudeck 2011Grünhelme 2011

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