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Nachhaltig ist nicht immer gleich nachhaltig

Zur Begriffsgeschichte eines misshandelten Wortes und zur Bioökonomie. Von Rupert Neudeck

Man erfährt, wie vornehm-wissenschaftlich und manchmal dann auch englisch wir betrogen werden – und uns auch betrügen lassen. Man sollte das schon kennen, den Unterschied zwischen Convenience und Functional Food. Unter Convenience Food versteht man industriell vorgefertigte Gerichte, die zum Verzehr meist nur noch zusammengerührt und erhitzt werden müssen. „Functional Food“ sind alle industriell gefertigten Nahrungsmittel, die einen gesundheitlichen Zusatznutzen verheißen, weil sie mit Stoffen wie „Vitaminen, Mineralien, ungesättigten Fettsäuren oder mit Bakterien angereichert wurden, was angeblich einen positiven Effekt auf die Gesundheit“ haben soll. Dazu gehöre sowohl probiotischer Joghurt wie mit Vitaminen und Calcium versetzte Säfte oder auch mit Omega – 3 Fettsäuren angereicherte Brötchen.

Das Erfreuliche, die Autoren durchschauen die Technologiegläubigkeit solcher Bezugsworte und Wirklichkeiten und gehen zusätzlich den Profiten nach, die damit gemacht werden können, wenn man sie nur geschickt genug in einer politisch-wissenschaftlich korrekten Sprache anheimelnd anpreist. Zu Recht schreiben sie, dass eben solche Nahrungsmittel mit technologischen Mitteln selber verschuldete Mängel aufheben sollen, ohne das unbequeme Haltungs- und Handlungsänderungen bei uns selbst erforderlich sind. Diese Akzeptanz von Functional Food zeugt unser aller Bereitwilligkeit, die „Eigenverantwortung für eine gesunde Lebensführung der Bequemlichkeit zu opfern“. Die Vorstellung, Wohlstandserkrankungen durch den Konsum raffinierter Produkte in den Griff zu bekommen, sei verlockend für eine Gesellschaft, „deren  Mitglieder zur Hälfte übergewichtig sind und die sich viel zu wenig bewegen“.

Die Autoren sind dabei ganz einig mit dem Geschäftsführer von Foodwatch, Thilo Bode: Functional Food sei eine Täuschung, keine Innovation. Wenn ein solches Produkt eine Wirkung hat wie Cholesterin senkende Margarine, „handelt es sich um eine Art Medikament und nicht um Lebensmittel. Gesunde Menschen brauchen das nicht“. Wer aber krank sei, soll zum Arzt oder Apotheker gehen.

Das Buch beschreibt, wie Bioökonomie durch diejenigen massiv gefördert wird, die an der Bioökonomie verdienen. Die Autoren zerlegen deshalb ziemlich peinlich für die Betroffenen den „Bioökonomierat der Bundesregierung“ und auch die Akteure der bioökonomischen Forschung. Das zweite Kapitel fragt nach dem Sinn und Nutzen der Bioökonomie für das Leben von uns allen. Dabei wird auf erfreuliche Weise auch etwas Kritik an der technologisch korrekten Semantik, sprich auch Modewörtern getrieben. Die sog. nachhaltige Agroindustrie und Ökonomie besteht in geradezu absurden und für die betroffenen Tiere grauenhaften Folgen und Konsequenzen. Die Böden werden degradiert, die Grundlage aller Landwirtschaft gefährdet, die biologische Vielfalt auf den Feldern verringert, die Tiere mit ihren vitalen Bedürfnissen nicht beachtet. Die ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft werde nicht nur nicht gefördert, sondern ausgetrocknet. Der agrarpolitische Bericht der Bundesregierung 2011 entblödet sich nicht, das gute Wort Nachhaltigkeit oder nachhaltig ständig zu missbrauchen.

Zitat: Die Bundesregierung „sieht in der Agrarforschung ein großes Potential für die Landwirtschaft und deren nachhaltige Ausgestaltung.“ Deshalb unterstütze diese Bundesregierung auch mit Exportkrediten zwei gigantische Legehennenbatterien für acht (!) Millionen Hennen in der Ukraine, wo weiterhin die in Deutschland verbotene extrem tierquälerische Käfighaltung von Legehennen betrieben werden kann.

Die Lobby derer, die gegen Gentechnik sind, ist unerwartbar groß, wie das Buch aufweist. Als z.B. der Freistaat Bayern sich zur gentechnikfreien Zone erklären wollte sowie die Bestrebungen in der EU, dass möglichst jedes Land über die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen bestimmen sollte, protestierte die damalige Bundesforschungsministerin Annette Schavan. Das Bundesverfassungsgericht hat sich allerdings darüber in einem Urteil vom 24. November 2010 hinweggesetzt: Die Ausbreitung einmal in die Umwelt ausgebrachten gentechnisch veränderten Materials sei nur schwer begrenzbar. Der Gesetzgeber habe deshalb eine besondere Sorgfaltspflicht, zumal auch den in Art. 20a enthaltenen Grundgesetz-Auftrag, auch „in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen.“

Die Menschheit, so zitieren die Autoren den Geobiologen Reinhold Leinfelder, habe die Natur viel stärker beeinflusst als wir das wahrhaben wollen. Der Mensch ändere durch Verbrennung fossiler Treibstoffe die Atmosphäre, durch Überdüngung die Stoffkreisläufe von Stickstoff und Phosphor, durch Landnutzung die Artenvielfalt. „Er reguliert fast alle Flusssysteme, er gräbt den Untergrund um und verfrachtet um Größenordnungen mehr Sediment als es natürlichen Prozessen entspricht“. Dieses Buch will auch nicht sagen, dass die Benutzung der Natur als Selbstbedienungsladen bei der Bioökonomie begonnen hat. Neu aber sei neben der totalen Inbesitznahme allen Lebens die beliebige, einem skrupellosen Nutzungsinteresse unterworfene Um- und Neugestaltung, deren erschreckend blinde Überheblichkeit in den Formulierungen deutlich wird, „Lebewesen gentechnisch optimieren“ zu wollen. Auf dem Weg in diese Welt sei unsere Gesellschaft schon weit fortgeschritten.

Und inzwischen sei oft da, „wo ‚Bio’ draufsteht, Agrartechnologie und meist Gentechnik drin“. Für diesen Befund liefern die Autoren mehrere treffende Beispiele. Die Sprache ist umgepolt. Die Worte und Begriffe wie „Bio“ oder auch Nachhaltigkeit werden in ihrem Kern verdreht und umgemodelt. So verstieg sich die BASF in einer Presseerklärung zu der Behauptung, sie wolle durch „Produkte mit ertragssteigernden Eigenschaften …zur Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft beitragen“. Auch so trügerische Begriffe wie „Biomedizin“, „Green growth“, „Green Economy“, „biobasierte Bioökonomie“ müssen immer wieder auf einen trügerischen Umkehrwert geprüft werden.

In Anlehnung an die deutschen Forscher Ernst Ullrich von Weizsäcker und Friedrich Schmidt-Bleck vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie nennen die Autoren vier Leitlinien als Alternative zur totalitär genannten Bioökonomie: Das Vorsorgeprinzip, das sich an die Maximen von Immanuel Kant wie Hans Jonas anschließt und dafür plädiert, dass wir Menschen dafür Sorge zu tragen haben, dass ein menschenwürdiges Dasein auch in Zukunft möglich ist. „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen nicht zerstörerisch sind für künftige Möglichkeiten solchen Lebens“. Die zweite Leitlinie nachhaltigen Wirtschaftens wurde ebenfalls von Hans Jonas mitbegründet. Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, sei die Grundvoraussetzung jedes ethischen Handelns. Das dritte sei die Generationengerechtigkeit. Langfristig wird menschliche Existenz von dem Erhalt der Böden und der natürlichen Lebensräume und der Verfügbarkeit sauberen Wassers abhängen. Heute werden diese Grundpfeiler eines zukünftigen Lebens systematisch zerstört. Der vierte Grundpfeiler sei die Biodiversität. Die Agrarindustrie habe mit ihren massiven Eingriffen in die Natur bereits jetzt zu einem bedrohlichen Artensterben und einer dramatischen Abnahme der Agrobiodiversität geführt: als da sind, monokultureller Anbau, hoher Einsatz von Agrochemie und nichtorganischer Dünger, bodenversiegelnde Infrastrukturmaßnahmen.

Die Autoren scheuen sich nicht, auch drastische Zitate einzustreuen, wie das Zitat von Hanspeter Padrutt: Die Welt sei nun die Umwelt des Menschen. Die Natur sei nun seine Bedürfnisbefriedigungsanstalt. Die Dinge seien nun seine Objekte. „Der Mensch sitzt auf dem Thron und die Natur ist sein Pissoir.“

Quelle

Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014

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