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oekoroutine.de | Angela von Brill | Dr. Michael Kopatz, Diplom Sozialwissenschaftler, studierte im Schwerpunkt Umweltpolitik/Umweltplanung und ist seit 1997 wissenschaftlicher Projektleiter des Wuppertal Instituts.

© oekoroutine.de | Angela von Brill | Dr. Michael Kopatz, Diplom Sozialwissenschaftler, studierte im Schwerpunkt Umweltpolitik/Umweltplanung und ist seit 1997 wissenschaftlicher Projektleiter des Wuppertal Instituts.

Ökoroutine

„Der Standard unserer Wirtschaft ist auf Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch ausgelegt“, sagt Autor Kopatz. Eine Rezension von Marc Winkelmann in „enorm“ Nr. 04/16

„Die Fakten sind längst bekannt. Wir fliegen zu häufig und essen zu viel Fleisch. Wir fahren täglich mit dem Auto statt mit der Bahn. Wir kaufen Fernseher, obwohl die alten noch funktionieren, und auch der Plastikkonsum ist immens. Kurzum: Wir leben, als könnten wir jederzeit auf eine zweite Erde umsiedeln, sobald die erste verschlissen ist. Was, wie wir wissen, nicht der Fall ist.

Wieso gelingt es trotzdem nicht, anders zu handeln?

Michael Kopatz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie ist nicht der erste, der dieser zentralen Frage nachgeht. Der Verdienst des Sozialwissenschaftlers ist es aber, in seinem Buch „Ökoroutine“ einen neuen Weg aufzuzeigen, wie der Wandel trotz der Widerstände von Verbrauchern und Unternehmen klappen kann.

Deren widersprüchliches Verhalten ist, genauer betrachtet, nachvollziehbar. Bisher werden sie nämlich bestraft: Wer Bio kauft – zahlt mehr als der konventionelle Konsument. Wer höhere, faire Löhne verspricht – riskiert Umsatzziele und Arbeitsplätze. Immer gibt es Alternativen, die weniger Kosten und mehr Profit abwerfen und deshalb attraktiver sind.

Kopatz plädiert dafür, diese Alternativen abzuschaffen. Statt auf moralische Appelle zu setzen, die zu wenige Menschen erreichen, oder neue Verbote zu erlassen, müsse es darum gehen, allgemeine Standards anzuheben. Langsam, aber beharrlich.

Wie das geht, zeigt er am Staubsauger. Weil die Saugkraft heutiger Geräte größer als benötigt und damit der Stromverbrauch durchweg zu hoch ist, hat die EU der Leistung ein Limit gesetzt. 1400 Watt gelten derzeit, ab 2017 sind es 900 Watt. Das ist immer noch ausreichend – von selbst hätte sich aber kein Hersteller getraut, das als Fortschritt anzupreisen. Größer, schneller, weiter: „Der Standard unserer Wirtschaft ist auf Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch ausgelegt“, sagt Kopatz dazu.

Essen, Wohnen, Kaufen, mobiles Leben, Arbeiten: Auf knapp 400 Seiten nennt er Stellschrauben, mit denen man diese Standardeinstellung verändern könnte. Das Ziel: Ökologisches Verhalten muss zur Selbstverständlichkeit werden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Sowohl Konsumenten als auch Unternehmen wären vom Druck befreit zu überlegen, wie sie „das Richtige“ tun könnten, ohne Nachteile zu erleiden – die neuen Standards würden ja für alle gelten. Die Qualität würde steigen; bei Lebensmitteln, wenn bio für alle gelten würde; bei Smartphones, wenn ihre Haltbarkeit auf fünf Jahre garantiert werden würde.

Zugleich würde man Regeln vereinfachen. Es müssten keine Ausnahmen mehr für einzelne Branchen oder Unternehmen her. Darin liegt das Wegweisende der „Ökoroutine“.

So klug der Ansatz aber ist: Er erfordert Mut von Politikern, ihn durchzusetzen, vor allem auf internationaler Ebene. Möglich ist das. Die EU hat sich bereits Vorschriften gegeben, wonach gewisse Produkte oder Stoffe nicht eingeführt werden dürfen, wenn sie etwa die Gesundheit gefährden. Und es gibt eine Basis, auf der man aufbauen könnte: Die Deutschen sind laut Studien sehr an Umweltschutz interessiert. Zudem ergab eine Umfrage der UN unter 1000 globalen Konzernen, dass 80 Prozent der Vorstandsvorsitzenden von der Politik striktere Auflagen fordern, weil sie – jeder für sich – die Wende nicht hinbekämen.

Trotzdem wäre wohl mit großen Lobby-Widerständen und Kritikern zu rechnen, die eine „Ökodiktatur“ und die Einschränkung persönlicher Freiheiten wittern würden. Dem versucht Kopatz vorzubeugen. Beim Rauchen sei es auch gelungen, das gesellschaftliche Verhalten zu verändern. Andere einst eingeführte Standards wie die Anschnallpflicht im Auto hinterfrage ebenfalls keiner mehr. Und ein Recht auf Billigfleisch habe angesichts der sozialen und ökologischen Folgen niemand, erklärt er.

Bis in diesem Punkt allerdings eine „Ökoroutine“ erreicht ist, ist es wohl noch ein langer Weg.“

oekoroutine.de
Quelle

Marc Winkelmann, „Kraft der Routine“ – Rezension in „enorm“ Nr. 04/16

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